Anschlag in Tel Aviv kurz vor dem Holocaust-Gedenktag

IMG_4338
Veranstaltung in Ra’anana zum Yom Hashoah

Seit gestern machte ich mir Gedanken darüber, ob und was ich zum heutigen Holocaust-Gedenktag schreiben soll. Irgendwie schreibt man doch sowieso immer das selbe: „Erinnern ist wichtig, Holocaust darf sich nicht wiederholen“ und andere Floskeln.

Als ich heute Nachmittag auf dem Weg zum Kindergarten war um meine Kinder abzuholen, las ich, dass mitten in Tel Aviv an der Strandpromenade vier Menschen von einem Terroristen mit einem Messer angegriffen wurden. Zum Glück wurde nach jetzigem Stand niemand ernsthaft verletzt.

Aber es trifft mich doch mitten ins Herz. Ein Paar Stunden, bevor wir unseren im Holocaust verstorbenen Verwandten gedenken und wir bei den zahlreichen Gedenkfeiern in fast jeder Stadt in Israel in Tränen ausbrechen, versucht jemand meine Mitmenschen umzubringen, nur weil sie Juden sind.

Einige sind der Meinung, wir haben Israel dem Holocaust zu verdanken. Das ist natürlich äußerst zynisch und ist meiner Meinung nach auch nicht zutreffend. Was aber schon stimmt ist, dass durch den Holocaust das Nationalgefühl in Israel ein Besonderes ist. Man hat es satt, immer wieder Opfer in der Geschichte sein. Holocaust war der Höhepunkt der jüdischen Opfergeschichte. Jetzt sind wir in der Lage, uns selbst zu verteidigen. Deshalb hing der Anschlag heut in Tel Aviv mit dem heutigen Holocaust-Gedenktag zusammen. Der Terrorist wurde überwältigt und eingesperrt. Er wird seine Strafe bekommen. Das war für unsere Verwandten vor nicht mal 80 Jahren nicht möglich. Nicht nur wurden sie systematisch und grausam ermordet und kaum einer ist eingeschritten, sondern sogar noch nach dem Holocaust sind bis heute etwa 90% der Deutschen, die am Holocaust beteiligt waren, nicht zur Rechenschaft gezogen worden.

Zu diesem Thema habe ich letztes Jahr die Kampagne #WoSindDieTäter gestartet.

Ich kenne aber auch viele tolle Menschen, die sich gegen das Vergessen mit wichtigen Projekten einsetzen. Ich kenne auch tolle Organisationen, die gegen den Antisemitismus heute kämpfen. Ihnen möchte ich danken.

Ich habe mich entschieden, auch einen bescheidenen Beitrag für die Zukunft zu leisten. Letztes Jahr gründete ich hier in Israel eine Organisation, die sich für Deutsch-Israelische Beziehungen einsetzt. Eines unserer Projekte ist ein Deutsches Bildungszentrum, wo Kinder aus deutschsprachigen Familien die Deutsche Kultur und Sprache lernen.

Trauern und Erinnern an die Deutsch-Jüdische Vergangenheit ist und bleibt wichtig, aber was wir aus unserer gemeinsamen Zukunft machen, ist noch viel wichtiger.

Der Terror ging mir noch nie so nah

Unser Kleinster weckte uns alle gestern um 6:30 auf. Mein erster Gedanke war: G-tt sei Dank, hat er durchgeschlafen. Am Tag davor bekam er zwei Impfungen und war Abends etwas unruhig.

Mein Mann ging mit beiden Jungs ins Wohnzimmer. Ich holte mein Handy und öffnete Facebook, um zu schauen, was ich Nachts verpasst habe. (Ja, ich weiss, ich bin ein Facebook-Junkie)

Mehrere Freunde, die in Tel Aviv leben, schrieben: „I’m safe!“ Sofort dachte ich: „Oh nein, was ist passiert?“ Kurz darauf zeigte mein Feed die Nachrichten vom Terroranschlag in Tel Aviv, der sich am Mittwoch ereignete, als wir schon schliefen.

4 Menschen wurden im Restaurant bei ihren Abendessen geradezu hingerichtet. Viele andere wurden verletzt. Den ganzen Tag kreisten sich meine Gedanken darum. Auch Facebook war voll von Videos, Bildern und Nachrichten.

Wie die meisten meiner Freunde fühlte ich Trauer, Wut, Verzweiflung.

13428359_1202070273138454_4553267436341676086_n

Mein Großer und ich holten den Kleinen vom Kindergarten ab. Er ist in der Babygruppe und hat vier Kindergärtnerinnen: eine Russin, eine Israelische Palästinenserin und zwei jüdische Israelinnen.

Als wir in den Raum kamen und der Kleine uns entgegen krabbelte, nahm ich ihn auf den Arm und merkte, dass die russischsprachige Kindergärtnerin Marina zwei weiteren Müttern etwas aufgeregt auf Hebräisch erzählte. Ich verstand nur die Hälfte. Aber es war klar, dass sie etwas persönliches über den Anschlag erzählte: Ihre Tochter war während des Anschlags in dem Restaurant. Marina erzählte mir dann, dass ihre Tochter kurz vor dem Anschlag mit einer Freundin auf die Toilette gegangen ist und sich so zufällig gerettet hat. Ihre anderen Freundinnen aber wurden verletzt und liegen noch im Krankenhaus. Die Tochter hat zwei Kinder im selben Alter wie meine beiden.

Ich fing an zu heulen. Ich stellte mir vor, mein Kind ruft mich an und erzählt, wie es in dem Restaurant war während des Anschlags. Das ist eine echte Horrorvorstellung für Eltern. Ich küsste meine Jungs und wir fuhren nach Hause. Morgen bringe ich den Kleinen wieder in seinen Kindergarten: zur Palästinenserin, zur Russin und den anderen beiden Israelinnen.

IMG_9463
White Wine Festival

Am Abend war ich mit einer Freundin verabredet. Wir gingen zum Wein Festival in Herzliya, dass nördlich von Tel Aviv liegt. Die Frage, ob wir Angst haben, stellte sich nicht. In Israel lässt man sich nicht unterkriegen. Das Leben geht weiter.

Den Spaß wollten wir uns nicht entgehen lassen. Das Festival, das am Hafen von Herzliya statt fand, war sehr gut besucht, es war richtig voll. Wir probierten fast alle Weine, aßen Käse und tanzten zur Livemusik.

Beim Rausgehen bedankte ich mich angetrunken und etwas überschwänglich bei den am Eingang stehenden Polizisten für ihre Arbeit. Hallo!? Ich habe unzählige Weine getrunken, die waren einfach zu lecker!

IMG_9466
Nastassja und ich betrinken uns hemmungslos kosten viele gute Weine

Ich wünsche allen einen friedlichen Shabbat und Shavuot Fest und schönes Wochenende.

IMG_9467
Besucher des White Wine Festivals

 

Purim und Brüssel

IMG_1078
Perser an Bäumen aus der Purimgeschichte?

Heute war Purim, ein jüdisches Fest, das vor allem bei den Kindern beliebt ist. Es wird sich verkleidet wie beim Fasching oder auch wie der wilde Max in seinem Wolfspelz in Maurice Sendaks „Wo die Wilden Kerle wohnen“.

Mein älterer Sohn war nicht als Wolf verkleidet wie Max, sondern als Löwe, als gestern Abend in der Synagoge die Geschichte über Esther, Mordechai und Haman aus der Bibel vorgelesen wurde. Immer, wenn letzterer genannt wird, machen die Kinder und auch die Erwachsenen Krach und übertönen seinen Namen. Wer die Geschichte nicht kennt, hier eine kleine Zusammenfassung.

Haman mag weder die Juden allgemein noch Mordechai im Besonderen und plant mit des Königs Hilfe ihre Ermordung in allen seinen Ländereien. Er stellt Bäume oder Galgen auf um Mordechai daran aufzuhängen und erlässt mit dem Siegelring des Königs signierte Erlasse, die die Ermordung aller Juden und der Plünderung ihrer Habe befielt.
Ungünstigerweise für ihn ist Esther, die Königin (eine von vielen im Harem des Königs) die Cousine des Mordechai. Sie bekommt daher Wind davon, ordnet ein Fasten an (Taanit Esther, der Tag vor Purim erinnert daran) und bezirzt unter Einsatz ihres Lebens den König. Mit Erfolg: Am Ende hängt Haman mit seinen Söhnen am Galgen, den er für Mordechai gebaut hat und die Juden werden gerettet und stattdessen Hamans Leute getötet. Eine sehr blutige Geschichte, die ausnahmsweise mal gut ausging für uns Juden.

Wir wollen mit dem Krach den Namen Haman symbolisch auslöschen, denn er war nicht nur ein abgundtief böser Mann, er stammte aus dem Volk Amalek, das die schwachen und hilflosen hinterrücks überfallen hat auf der Flucht Israels aus Ägypten. Und Amalek müssen wir vernichten und vergessen machen, befiehlt uns G’tt und Moses in der Torah.

In Brüssel wurden vor wenigen Tagen auch Wehrlose hinterrücks überfallen und ermordet von Terroristen. Die Taten dieser Mörder werden gerne „feige“ genannt. Warum? Es gehört schon Mut oder zumindest Übermut dazu, ein Attentat zu verüben, bei dem man höchstwahrscheinlich selbst stirbt. Es ist nicht feige, Wehrlose zu ermorden, die von der (Flughafen-)Polizei bewacht werden, es ist niederträchtig und abscheulich und vor allem: böse.

Die Purim-Geschichte in der Bibel ist in einem Punkt sehr besonders. Es ist die einzige Geschichte, in der G’tt nicht vorkommt. Weder als Name, oder als Preisung oder Hoffnung, noch als Helfer beim Kampf gegen das Böse. Denn das Böse müssen wir ganz alleine besiegen.

Das haben wir in Israel verinnerlicht: Wer uns einen Galgen baut, wird selbst daran baumeln. Aber auch, dass wer uns die Hand reicht, den empfangen wir mit offenen Armen.

Europa hat beides noch nicht verstanden. Die Flüchtlinge werden von allen politschen Kräften verschieden schlecht behandelt. Der rechtsaussen-Pöbel verbrennt ihre Häuser, die Konservativen wollen sie schnellstmöglich wieder los werden oder gar nicht erst reinlassen und die Linken wollen sie wie schwer erziehbare Kinder bemuttern, scheren sich am Ende aber nur um ihr eigenes politisches-gesellschaftliches Ansehen, nicht aber um die Bedürfnisse dieser Menschen (von rühmlichen Ausnahmen abgesehen).

Und die Unterstützer und Wegbereiter der Mörder von Brüssel, das sind die Um-jeden-Preis-Relativierer, die Schuld-bei-uns-selbst-Sucher, die Hat-nix-mit-dem-Islam-zu-tun-Verklärer, aber auch all die Muslime, die lautstark schweigen zu solchen Taten, werden auch nicht auf ihre Plätze verwiesen.

Es müssen ja nicht gleich Galgen sein. Es reicht auch, wenn man einfach mal die richtigen Worte findet. Meine Söhne und ich haben heute Abend das Buch von den Wilden Kerlen gelesen. Sie haben furchtbare Augen und furchtbare Zähne und Krallen und brüllen furchtbar laut. Wenn man Kindern unverblümte Sprache in Kinderbüchern und in der Purim-Geschichte zumuten kann, warum dann nicht auch Erwachsenen?

Nach Deutschland flüchten Menschen und nicht Flüchtlinge und sie wollen wie Menschen behandelt werden, im Guten wie im Schlechten. Terroristen wiederum sind Mörder und nicht Kämpfer für ihre Sache und wer das und ihre Motivation nicht beim Namen nennt, sollte lieber Kinderbücher lesen, anstatt in einer Diskussion über Terror in irgendwelchen Talkshows rumzuorwellen.

Dann wird es vielleicht irgendwann mal was mit dem Kampf gegen den Terror und der Integration der Neuankömmlinge. Bis dahin, viel Glück!