Jude, Zionist und #BlackLivesMatter. Ein Widerspruch?

#blacklivesmatter in meinem Twitterprofil

Als George Floyd im Mai dieses Jahres von einem Amerikanischen Polizisten ermordet wurde, gab es einen weltweiten Aufschrei. „I can’t breathe!“ stand als Graffiti an den Wänden und die Hashtags #BLM und #BlackLivesMatter trendeten weltweit in den Sozialen Medien.

Auch mich hat das Schicksal von George Floyd berührt. Nicht nur seinetwegen. Seine Ermordung hat ein grelles Scheinwerferlicht auf den strukturellen Rassismus in Amerika geworfen und die weltweite Bewegung, die daraus entstand, hat auch in anderen Teilen der Welt und in Deutschland dafür gesorgt, dass rassistische Strukturen in der Gesellschaft allgemein und in der Polizei im speziellen, stärker ans Tageslicht kamen. Es ist kein Wunder, dass ausgerechnet 2020 die diversen Nazi-Chatgruppen deutscher Polizisten entdeckt wurden. Menschen sind sensibilisiert und hatten den Mut, sie öffentlich zu machen.

Auf Twitter, wo ich zu viel Zeit verbringe, habe ich „Black Lives Matter“ in meinen Header mit aufgenommen. Seit über einem halben Jahr ist er da drin und ich habe mehrfach überlegt, ihn zu entfernen. Schließlich werden gerade andere Säue durchs Dorf getrieben und Themen wie Moria und natürlich der immer gewalttätiger zum Vorschein tretenden Antisemitismus sind mir auch nah und wichtig. Aber ich habe mich dagegen entschieden. BLM bleibt leider immer aktuell.

Ich wurde deswegen mehrfach auf Twitter angegangen. Von linken Antizionisten sowie von rechten Israelis. Beide finden, BLM und Zionist kann man nicht gleichzeitig sein. Warum nicht?

Die Antizionisten glauben, der Zionismus wäre eine rassistische Ideologie und daher inkompatibel mit BLM. Das ist natürlich Quatsch. Deswegen juckt mich dieser Vorwurf auch gar nicht. Schwerer wiegt da der Vorwurf der anderen Seite, die mich darauf hinweisen, dass unter den BLM Aktivisten auch viele Antisemiten den Ton angeben.

Der strukturelle Rassismus ist ein Problem, das jeden Menschen mit Nicht-weißer Hautfarbe betrifft. Egal, ob er Antisemit ist, oder nicht. Ich werden meine Unterstützung für diesen wichtigen Kampf nicht davon abhängig machen, ob Antisemiten bei BLM beteiligt sind oder nicht. Es gibt auch rassistische Juden, und dennoch freue ich mich über jede PoC, die den Kampf gegen Antisemitismus unterstützt.

„Aber die Querdenker lehnst Du doch auch ab, weil dort Nazis mitlaufen!“ – Ja. Sie laufen dort aber nicht nur mit, die ganze Idee der Querdenker ist eben keine einfache, legitime Kritik an Coronamaßnahmen der Bundesregierung, sie beruht auf antisemitisch aufgeladenen Verschwörungsmythen und die Nazis sind ideell bei diesen Demos zuhause. Ein antisemitischer BLM-Aktivist dagegen agiert im Grunde gegen seine eigenen Interessen.

Rassismus und Antisemitismus sind nicht das selbe. Ganz und gar nicht. Die Diskriminierungserfahrungen sind andere und die Mechanismen sind es auch. Als hellhäutiger Jude kann ich als „white passing“ vom Privileg, weiß zu sein profitieren, was PoC nicht können. Andererseits ist Antisemitismus im Kern eliminatorisch und zielt auf die „Endlösung“, während Rassismus die (erneute) Versklavung und Unterwerfung von PoC anstrebt. Gemeinsam haben sie, dass beides ist für einen direkt Betroffenen regelmäßig tödlich ist und die Schnittmenge der Antisemiten und Rassisten ist riesig. Wir haben einen gemeinsamen Gegner. Natürlich müssen wir uns gegenseitig beistehen.

Es ist schon ein paar Jahre her, da habe ich in der WELT einen Artikel veröffentlicht, der den Titel hat „Israel zeigt, dass ethnisches Profiling hilft„, der zuerst hier im Blog erschien. Es war 2016, um genau zu sein, und damals wurde Europa von vielen islamistischen Anschlägen erschüttert. Im Text geht es um ein Einkaufszentrum in Jerusalem, in dem ich regelmäßig war und das von Juden und Arabern gleichermaßen besucht wird. Die Araber aber werden genauer kontrolliert, wenn sie das Zentrum betreten wollen. Ich bin mit dem Titel des Artikels auf welt.de nicht einverstanden. War ich schon damals nicht, aber die Redaktion hat ihn eigenmächtig gesetzt. Ich hatte einen anderen gewählt. Und ich würde den Text heute auch nicht mehr so schreiben. Die redaktionelle Verkürzung in der WELT hat den Text zusätzlich noch verschärft. Ich verstehe heute einiges besser, auch dank einiger toller Menschen, die ich auf Twitter kennengelernt habe, und die islamistischen Anschläge von damals belasten mich emotional nicht mehr so direkt. Dennoch kann und will ich mich nicht komplett von diesem Artikel distanzieren.

„Wie kannst Du Racial Profiling gut finden und #BLM im Header haben? Heuchler!“ So wurde es mir vorgeworfen. Dazu muss ich sagen: Ich habe damals bewusst von „Ethnischem Profiling“ gesprochen. Juden und Araber sind äußerlich nur durch Kleidung und Sprache zu unterscheiden und nicht anhand irgend welcher eingebildeten Menschenrassen. Und außerdem, wenn man den Text wohlwollend liest, dann steht dort eigentlich: Ethnisches Profiling funktioniert nicht außerhalb dieses Spezialfalls des Einkaufszentrums in Jerusalem, wo nach der harten Kontrolle an der Tür eben keine Unterschiede mehr gemacht werden und Juden und Araber zusammen mit der ganzen Familie bequem shoppen gehen und ihr Essen essen. Racial Profiling ist ethisch falsch und praktisch unbrauchbar. Ohne Ausnahme.

Also ja. Ich unterstütze #BLM. Ich werde es weiter tun. Und ich kenne meine Privilegien. Als „white passing“ in Europa und als Jude in Israel. Denn wer seine Privilegien nicht begreift, wer sich selbst nicht reflektiert, dessen Unterstützung ist sowieso nicht viel wert.

#WeRemember

Wir haben beide große Teile unserer Familien im Holocaust verloren. Am 27. Januar ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, an dem nicht nur wir, die wir täglich damit leben müssen, dass wir Nachkommen von Überlebenden dieses Hinmordens unserer Familien sind, sondern auf der ganzen Welt Menschen den Opfern dieses Menschheitsverbrechens gedenken. Danke!

In Zeiten von wachsendem Islamismus weltweit, Höck’schem Geschichtsrevisionismus in Deutschland, Erstarken der Rechten in Europa und Übersee und generell wachsender Judenfeindlichkeit und mörderischem Antizionismus, ist das Erinnern auch heute und besonders heute so wichtig.

Die letzten Zeitzeugen werden bald von uns gegangen sein und wir werden ihren Platz in der Erinnerungsarbeit übernehmen müssen. Wir, die wir entweder ohne Großeltern und mit vom Morden fürs Leben gezeichneten Eltern und Großeltern aufgewachsen sind, müssen die Erinnerung an unsere Kinder weitertragen. Denn bald müssen auch sie in die Welt schreien: #WeRemember

„Zionisten sind schlimmer als die Nazis!“

„Scheiss Israel! Scheiss Zionisten! Hat nix mit Juden zu tun! Zionisten sind schlimmer als die Nazis!“
So schallte es gestern Abend durch Berlin Mitte. Hier sind wir gerade auf der Durchreise und zu Besuch bei meiner Mutter. Wir haben Schabbat in der Gemeinde Adass Yisroel in der Brunnenstrasse in Berlin gefeiert und sind nach Schabbatausgang noch kurz zum Kaisers gelaufen, um koscheres Eis für einen netten Fernsehabend zu holen. Meine Frau liebt die Sorte „dulce de leche“ von Häagen-Dazs besonders.
Auf dem Rückweg von Supermarkt mit unserem zweijährigen Sohn und der Tüte Einkäufe beladen, begegneten wir diesem Mann: Er wirkte betrunken und sprach mit Akzent Deutsch. Die Flüche „Scheiss Israel, Scheiss Zionisten“ wiederholte er mehrfach und klang dabei so klagend und aufgebracht, als hätte ihm ein Zionist höchstpersönlich gerade eben sein letztes Bier geklaut. Und durch den Satz „Hat nix mit Juden zu tun“ und den Hinweis auf die Nazis machte er deutlich, dass er eben doch die Juden und nicht die Zionisten meint.
In mir kochte es langsam hoch. Keiner auf der Strasse widersprach und der Typ schreit seinen Hass einfach so heraus. Meine Frau hielt mich zurück. Doch als er dann behauptete, wir Zionisten, ich bin auch einer, wären schlimmer als die Nazis, war für mich eine Linie überschritten. Es gibt noch mehr Knallchargen, die sich nicht entblöden, den Gazastreifen mit dem Warschauer Ghetto zu vergleichen und auch das bleibt viel zu oft unwidersprochen. Ich schrie ihm also irgend was blödes zurück aber er taumelte unbeeindruckt weiter.
Heute Nachmittag gehen meine Frau und ich und viele unserer Freunde auf die Demo „Steh auf! Nie wieder Judenhass.“ in Berlin um zu zeigen: Wer einem Antisemiten, der durch die Strassen läuft laut widerspricht, ist nicht allein! Denn der fehlende Widerspruch macht uns Juden in Deutschland mehr Angst, als die antisemitischen Ausfälle irgend welcher Idioten.
Mein Buch, „Wie werde ich Jude„, kann helfen, Antisemitismus abzubauen. Die meisten Nazis in Deutschland leben dort, wo sie selten bis nie auf einen Ausländer treffen. Das Unbekannte wird leichter zum Feindbild als das Bekannte. Wer mit anderen Gruppen zusammenlebt, ihre Bräuche versteht und ihre Gewohnheiten kennenlernt, der hat eher Verständnis für manche Schrulligkeiten. Und von denen haben wir Juden wahrlich genug!