Morddrohungen gegen Michaela (ex-MdB)

Wir haben Michaela 2016 kennengelernt, als sie mit einer Delegation von Bundestagsabgeordneten in Israel zu Besuch war. Ihre offene Art, ihr verschmitztes Lächeln und ihre klaren Positionen haben uns beide beeindruckt.

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Michaela Engelmeier, Jenny Havemann, Katharina Kunert, Eliyah Havemann (v.l.)

Sie ist eine Politikerin, wie man sie sich wünscht: Sie ist Sportpolitikerin mit einer eigenen Sportlerkarriere (Mitglied der Judo Nationalmannschaft und heute Vizepräsidentin des DJB), die als Quereinsteigerin mit einer Portion Glück und viel ehrlichem Enthusiasmus 20

13 den Sprung ins Deutsche Parlament geschafft hat. Sie stammt nicht aus einem Parteikader, ist keine Industrielle mit Eigeninteressen oder Aufsichtsratsposten und ihre beiden Nebenjobs während ihrer Zeit als MdB sind allesamt 100% ehrenamtlich ohne Zuwendungen oder Aufwandsentschädigungen. Sie hat es sich auch nicht bequem gemacht als Hinterbänklerin, sondern sie hat Politik gestaltet. Sie war viel unterwegs, hat wichtige internationale Beziehungen für den Deutschen Sport geknüpft und das Wahlprogramm der SPD im Wahlkampf 2017 trägt in Teilen auch ihre Handschrift.

Und sie ist eine Freundin Israels. Das ist in der SPD leider keine leichte Sache, wenn Spitzenpolitiker wie Schulz die Brunnenvergifterlegende des Palästinenserpräsidenten Abbas „inspirierend“ findet und Sigmar Gabriel den selben Mann als Freund bezeichnetund Steinmeier Kränze für den Terroristen Arafat niederlegt. Aber sie liess sich nicht beirren, hat nie aus falschen Erwägungen mit ihrer Meinung hinter dem Berg gehalten und hat auch uns bei ihrem Besuch 2017 im Café Hamburg mit klaren Positionen zur Nahostpolitik ihrer eigenen Partei überrascht.

War das der Grund, warum sie in ihrem Wahlkreis keinen Listenplatz ergattert hat, der ihr den Wiedereinzug in das Parlament ermöglicht hätte? Immerhin war sie das Gesicht ihres Wahlkreises und musste sich zweitplatziert als Direktkandidatin dem CDU-Mann geschlagen geben.

Das Wahlergebnis war für sie eine herbe Enttäuschung. Nicht nur persönlich, nicht nur, weil ihre SPD so schlecht abgeschnitten hat, sondern vor allem auch, weil die rechtsradikale AfD mit Positionen, die den ihren diametral entgegen stehen auch in ihrem eigenen Wahlkreis zweistellig war. Vor der Kamera von Journalisten befragt, war sie den Tränen nahe. Sie ist eben ein Mensch. Kein Parteifunktionär, der funktioniert.

Die AfD Anhänger überschütteten sie daraufhin mit bitterer Häme. Doch nicht nur das, sie ist echten Morddrohungen ausgesetzt. Drohungen, die die Polizei sehr ernst nimmt.

Schon während ihrer Zeit im Bundestag war sie mit Hass konfrontiert. Vor allem aus den sozialen Netzwerken wurde sie tagtäglich attackiert. Sie hielt daher das NetzDG für eine gute Idee, auch wenn es nur ein Strohhalm war, an dem sie sich festgehalten hat.

Der Hass ist aus den Sozialen Netzen ausgebrochen und sitzt in Fraktionsstärke im Bundestag.

Und Michaela sitzt vor einem Scherbenhaufen. Wir haben sie als Kämpferin und starken Menschen kennengelernt. Sie wird die Scherben wieder zusammenkehren und weitermachen.

Wir hoffen, dass ehrliche Politiker in Zukunft auch dann erfolgreich sind, wenn sie wie Michaela ehrlich gegen Rassismus, Antisemitismus und Hass aufstehen und nicht nur, wenn sie ganz ehrlich ihrem Hass freien Lauf lassen und dann als AfD Abgeordneter die Hinterbänke im Parlament vollpupsen.

Michaela, wir wünschen Dir für die Zukunft das Beste!

Jenny&Eliyah Havemann

Wählen gehen zu den Hohen Feiertagen

wahl2017roshhashanahDie Hohen Feiertage im Jüdischen Kalender haben begonnen. Wie jedes Jahr drängen sich die einzelnen Feier- und Fasttage eng aneinander, warum manche auch von einem Feiertagsmarathon sprechen. Besonders in diesem Jahr, wo Rosch Haschanah auf Donnerstag und Freitag fallen und nahtlos in den Schabbat übergehen: Drei Tage am Stück nur Essen, beten und schlafen. Heute ist dieser Auftakt zu Ende gegangen.

Wir wünschten uns „Chatima Tova“ an Rosch Haschanah und dann „Gmar Chatima Tova“ zu Jom Kippur. Übersetzt heisst das: Mögest Du im Guten [ins Buch des Lebens] eingeschrieben werden“. Das vorangestellte „gmar“ steht für den Abschluss, das endgültige Urteil, das an Jom Kippur über uns gefällt wird.

Harter Tobak. Und vor allem einer, der komplizierte theologische Winkelzüge erfordert. Denn wie kann man abschließend eingeschrieben sein und dennoch einen freien Willen haben? Wozu noch Gutes tun und beten, wenn das Schicksal doch bereits beschlossene Sache ist?

Die Rabbiner lehren uns, dass man sich natürlich für das nächste Jahr wieder ein positives Urteil verdienen muss und dass man durch gute Taten und Gebet ein anderer Mensch wird. Ein Mensch, über den es noch kein abschließendes Urteil gibt.

Viele Menschen in Deutschland haben sich auch noch kein abschließendes Urteil darüber gebildet, wen sie morgen, am 24. September wählen sollen. Der Wahltag ist der Sonntag nach Rosch Haschanah und ausserdem der Fasttag Tzom Gedaliah, der den Verlust der Kontrolle über die Stadt Jerusalem betrauert. An diesem Tag wurde das Schicksal des Tempels in Jerusalem besiegelt.

Kontrollverlust ist auch eines der großen Themen des Wahlkampfes in Deutschland und am 24. September liegt die Kontrolle für kurze Zeit in der Hand der Wähler. Und es gibt noch viele Menschen in Deutschland, die vor ihr Urteil, für welche Partei sie ihr Kreuz machen werden, noch kein „gmar“ vorangestellt haben.

Rosch Haschanah ist der Tag, an dem wir Jahr für Jahr Gott wieder als unseren König krönen. Die Regierung des Landes hat mit den vier Jahren mehr Vertrauensvorsprung. Ich wünsche mir sehr, dass viele Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Dass sie wählen gehen und damit extremistischen Ansichten und Parteien die Stirn bieten. Dass sie die Demokratie lebendig halten, so wie wir jedes Jahr unsere jüdische Religion aufs Neue feiern.

Und genau wie wir Menschen, die wir zwar unser Schicksal am Yom Kippur besiegelt sehen und uns dennoch weiter bemühen müssen, genau so ist die Regierung in den vier Jahren ihrer Herrschaft nicht frei von Rechenschaft. So gesehen ist der theologische Winkelzug nichts anderes als das wirkliche Leben.

Ich habe in letzter Zeit immer öfter Menschen getroffen, die genervt sind von der Demokratie. Die sich eine kluge, handlungsfähige Führung wünschen, sei es eine Technokratie, Epistokratie oder eine Monarchie mit einem „guten“ Herrscher. Die hohe Zustimmung für Putin in Russland zeigt das deutlich, aber auch in Deutschland gibt es immer mehr Menschen, die solchen Ideen anhängen. Mich erschrickt das. Ich wünsche mir mehr Lust an der Demokratie, mehr Lust am rumnörgeln und Kompromisse finden. Das Ergebnis wird nie ideal sein, nicht mal immer zum Wohle der Mehrheit. Es ist wie das Leben. Nie perfekt, aber wunderbar.

Wir werden am Jom Kippur eingeschrieben ins Buch des Lebens. Und wir ergeben uns dennoch nicht unserem Schicksal. Und wenige Tage vorher sind die Deutschen aufgefordert, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Und ich werde das aus Israel mit großem Interesse verfolgen. Leben die Deutschen die Demokratie? Schreiben sie Deutschland ein ins Buch des Lebens?