Bücher lesen während der Corona-Krise

Wenn man Abends müde auf dem Sofa sitzt und durch die Timelines der Social Media Kanäle scrollt, bekommt man das Gefühl, dass sehr viele Menschen den ganzen Tag Bücher lesen. Natürlich sind Bilder eine Momentaufnahme, aber tatsächlich zeigt eine Studie, dass das Bücher lesen während der Corona-Krise um 26% zugenommen hat. Das ist eine tolle Nachricht. Bei mir sind es wahrscheinlich eher 5%.

Neben Arbeit, Homeschooling, Home-Kindergartening und Sonstigem komme ich nicht viel dazu, zu lesen.

Trotzdem freue ich mich über die extra Paar Minuten mehr, in denen ich lesen kann.

Zurzeit lese ich dieses tolle Buch:

Schwestern der Revolution: Aktivistinnen im Kampf gegen Diktatur und Unterdrückung: Amazon.de: Bernecker, Arabelle, Glass, Susanne, Kolb, Bernd: Bücher

Es sind verschiedene Geschichten von Frauen, die friedliche Revolutionen in den letzten Jahren und Jahrzehnten in verschiedenen Ländern vorangetrieben haben.

Welches Buch lest ihr gerade?

Ist die Gleichberechtigung schon da?

Entstanden ist der 8te März als Initiative zur Gleichberechtigung von Frauen und Wahlrecht für Frauen.Das Wahlrecht gibt es immer noch nicht in allen Ländern. Und die Diskussion, ob Frauen heute in den westlichen Ländern gleichberechtigt sind, erstaunt mich. Dass die Frauen heute eine bessere gesellschaftliche Stellung haben als noch vor 10, 20, 50 Jahren ist unbestritten. Aber dass Frauen heute bereits die Gleichberechtigung erreicht haben, ist eine Ausblendung der Realität.
Dass die Gewalttaten gegenüber Frauen immer noch so verbreitet sind ist nur ein Indikator. Wenn man seine Frau, Freundin, Mitarbeiterin auf Augenhöhe betrachten würde, käme man nicht auf die Idee, die männliche, meistens körperliche Überlegenheit auszunutzen und den Frauen Gewalt antun.
Im Business und in der Politik erlebe ich regelmässig, dass Frauen nicht ernstgenommen werden, belächelt werden, schlechter bezahlt werden. Mit dem Argument, dass sich Frauen schon alleine durchsetzen können, wenn sie wollen, kann ich nichts anfangen. Frauen wurden im beruflichen Leben so lange übergangen, unterdrückt, dass es wohl nicht verwunderlich ist, dass die meisten Angst haben, laut ihre Forderungen im Beruf zu stellen. Das erlebe ich so oft. Frauen kommen zu mir und bitten mich um Rat, wie sie sich beruflich durchsetzen können oder sich trauen, auf Veranstaltungen Männer anzusprechen und ihre Business Idee vorzustellen. Ja, Frauen haben es absolut drauf, aber oft teilen die Männer alles unter sich auf. „Auch noch Expertinnen auf ein Panel einladen? Dann habe ich ja keinen Platz mehr.“
Auch die Gesetzgebung und die Gesellschaft stehen Frauen oft im Weg, vor allem wenn sie auf die verrückte Idee kommen, Kinder zu kriegen und beruflich erfolgreich sein zu wollen. Als ich nach zwei Jungs eine Tochter bekam, sagte mir ein Nachbar: „Ah, jetzt hast du dir eine Helferin im Haushalt geboren.“ Ja, wir leben in Israel und nicht in Deutschland, aber Israel ist ein sehr europäisches und liberales Land. Auch in Deutschland höre ich ähnliche Sätze.
Das sollte eigentlich nur ein ganz kurzer Post werden…
Danke an die Männer, die es als selbstverständlich nehmen, Frauen auf Augenhöhe zu behandeln.
Die anderen Männer, versucht euch in die Situation der Frauen reinzuversetzen.

Und an die Frauen: „Ihr seid toll, klug, ehrgeizig! Kämpft weiter für unsere Rechte! Alles Gute zum Weltfrauentag!“ 💪🏼

Dein Mann ist eben keine Mutter

Darf eine Frau, die auch noch Mutter ist, eigentlich auf Geschäftsreise gehen? Die meisten werden wahrscheinlich sagen: „Na klar.“ Darf aber diese Frau und Mutter ihren Mann und den Vater der Kinder mit den Kindern allein lassen? Da sehen die meisten Antworten leider anders aus. Heute bin ich auf meine vermutlich längste Geschäftsreise aufgebrochen. Ich bin die ganze Arbeitswoche weg und komme kurz vor Schabbat wieder zurück.

Was meint ihr wieviele Male ich in den letzten Tagen gefragt wurde: „Was? Dein Mann bleibt alleine mit den drei Kindern zu Hause? Wie wird er es schaffen?“ Meine Antwort war dann: „Wenn er auf Geschäftsreise ist, bin ich doch auch mit den Kindern alleine.“ Dann kommt immer dieselbe Reaktion nämlich, dass das doch nicht dasselbe sei. Ich frage dann provokativ: „Warum?“ Die Antwort lautet dann meistens: „Naja, er ist ja keine Mutter.“

Mit manchen diskutiere ich dann weiter, bei manchen lasse ich es bleiben.

Unsere Kinder sind jetzt 7,4 und 1. Doch ich erinnere mich, dass es auch schon so war, als wir nur ein Kind hatten oder zwei. Also ist es nicht unbedingt die Anzahl der Kinder, um die sich ich oder mein Mann in dem Fall alleine kümmern, die die Menschen wundert, sondern wer sich um die Kinder kümmert.

Viele Diskussionen rund um Women Empowerment drehen sich gerade darum, ob man die ganzen Initiativen braucht, um Frauen zu unterstützen oder ob die Frauen es ganz alleine schaffen sollen.

Meiner Meinung nach ist es notwendiger denn je. Es gibt immer mehr Frauen, die Karriere machen und erfolgreich sind, aber die Probleme und mangelnde Unterstützung seitens der Gesellschaft sind gravierend. Viele Frauen trauen sich nicht, diese Gleichberechtigung von der Gesellschaft einzufordern.

Von meinem Mann habe ich diese Gleichberechtigung von Anfang an eingefordert, was jetzt in meinem Fall einfach war. Auf Diskussionen über die Gleichberechtigung lasse ich mich auch ohne Probleme ein. Aber wie oft habe ich von Freundinnen, Bekannten oder Frauen, die ich auf Veranstaltungen oder online kennen lerne, gehört: „Ich bewundere dich so sehr für deinen Feminismus. Ich schaffe es nicht, meine Gleichberechtigung einzufordern“. Das macht mich traurig. Ich versuche, diesen Frauen Mut zu machen. Und ich versuche ein gutes Beispiel zu sein, dass man Mutter von drei kleinen Kindern sein kann und eine Geschäftsfrau.

Ich wette, mein Mann wurde noch nie vor einer Geschäftsreise gefragt: „Was? Deine Frau bleibt alleine mit den drei Kindern zu Hause? Wie wird sie es schaffen?“

Gut Schabbes Selfie – Pinchas

IMG_1273Mein letzter Gut Schabbes Selfie ist schon eine Weile her. Seit Pessach habe ich keinen mehr geschrieben. Ich weiss auch seit Pessach nicht so genau, zu welcher Parascha, also zu welchem Abschnitt ich etwas schreiben soll. Seit dem sind wir in Israel dem Rest der Welt einen Abschnitt voraus, denn währen wir schon Schabbat gefeiert haben, wurde ausserhalb Israels der letzte Tag von Pessach gefeiert. Wir lesen diese Woche „Pinchas“ während man etwa in Deutschland „Balak“ liesst (nein, nichts über Fussball). Bald werden zwei Abschnitte zusammen gelesen und so werden wir wieder eingeholt, aber diesen Schabbat noch nicht.

In Pinchas ist eine Stelle, die mir besonders gut gefällt. Es geht um fünf Damen: Machlah, Noah, Chogla, Milka und Tirza.
Sie fordern ihren Anteil am Land Israels ein, der ihnen verwehrt werden sollte, nur weil sie Frauen sind. Sie kamen zu Moses und verlangten ihr Recht. Moses sagte Nein. Sie kamen mit einem neuen Argument, und wieder sagte er Nein. Auch ein drittes Mal verwehrte er ihnen, was ihnen zustand. Danach erst konnten sie ihn überzeugen und er änderte seine Meinung.

Ist das nicht unglaublich? Moses, der größte aller Propheten sagt drei Mal Nein und diese mutigen Frauen widersprechen! Und er ändert seine Meinung, weil er versteht, dass sie Recht haben. Weil ihre Argumente gut sind, besser als seine!

Ausserdem sie sind die besseren Juden in dem Moment. Sie fordern ihren Anteil an Israel. Sie fordern, weiter zu gehen und nicht umzukehren. Sie wollen das jüdische Leben in Israel gestalten, während zur gleichen Zeit die Männer laut klagen über den Weg durch die Wüste und nach Ägypten zurück wollen.

Chabad, eine jüdische, chassidische Gruppe, die man wohl „ultra-orthodox“ nennen kann, schreibt auf ihrer Webseite (english) einen wunderbaren Text darüber, wie im Judentum die Frau bisher zu sehr unterdrückt wurde und dass uns der Wochenabschnitt Pinchas eines besseren belehren sollte.

Unsere Religion ist nicht statisch. G-tt sei Dank. Und nächste Woche lest ihr das auch ausserhalb Israels in der Synagoge.

Klagen über ein gemischtes Doppel an der Mauer

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Das Kapitel Feminismus in meinem Buch „Wie werde ich Jude

Die Westmauer oder Kotel, spöttisch Klagemauer genannt, ist das letzte Überbleibsel des zweiten Tempels.

Uns Juden sind Orte nicht heilig. Nur die Torah ist es. Wenn ein Haus als Synagoge genutzt wird, dann hat es dadurch eine Heiligkeit, die aber verschwindet, sobald die Juden, die dort beten und die Torah, die sie dort gelernt haben, auch verschwunden sind.

Die Westmauer in Jerusalem ist eine Ausnahme, zumindest nach der Meinung einiger Rabbiner. Sie hat eine eigene Heiligkeit, die vom Tempel herrührt und dem besonderen Ort, an dem sie ist. Dort ist die Aufopferung Isaaks passiert, dort träumte Jakob seinen Traum von der Himmelsleiter und dort ist die ewige Schchina, die Anwesenheit G’ttes, angezeigt durch die Tauben, die dort fliegen. Sie ist damit unser einziges, wahres und ewiges Heiligtum auf der Welt.

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Zion Karasanti, Yitzhak Yifat und Haim Oshri, IDF Fallschirmjäger an der Westmauer kurz nach ihrer Befreiung. Dieses berühmte Foto wurde fotografiert von David Rubinger

Im Sechs-Tage-Krieg hat die IDF die Kotel von den Jordaniern befreit. Seit dem ist sie ein nationales Symbol für die Befreiung Jerusalems, eine Open-Air-Synagoge und Pilgerort (nicht nur) für Juden aus der ganzen Welt.

Der Zutritt ist nach Geschlechtern getrennt. Nicht nur das, der Bereich für Männer ist ungleich größer als der für Frauen. Das liegt daran, dass die Kotel eine orthodoxe Synagoge ist. Dagegen gab und gibt es immer wieder Widerstand, am prominentesten durch die „Women of the Wall“ Aktivistinnen. Mit einer ihrer Anführerinnen haben wir mal gemeinsam Schabbat gefeiert.

Jetzt hat der Staat Israel sich dem Druck gebeugt und ein Areal für das Gemeinsame Beten von Männern und Frauen in Aussicht gestellt.

Das klingt gut und gerecht. Ich bin trotzdem dagegen.

Das Judentum, vor allem das orthodoxe, kennt keine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Ich habe mich, als ich selbst orthodox geworden bin, damit auseinandersetzen müssen, den tief im Herzen bin ich ein Feminist. Noch immer. Daher war auch das Kapitel über den Feminismus in meinem Buch für mich das so ziemlich schwierigste, das ich geschrieben habe.

Ich will das Kapitel hier nicht wiedergeben. Wen es (hoffentlich) interessiert, dem empfehle ich einfach mal unverfroren den Kauf meines Buches. Es lohnt sich. Zusammenfassend sage ich dort: Frauen und Männer müssen gleichwertig sein und nicht zwingend gleichberechtigt.

Mein Grund, warum ich gegen das neue Areal bin, ist aber ein anderer.

Wer in Deutschland mal in einer Einheitsgemeinde wie etwa in Hamburg oder Berlin war, dem wird aufgefallen sein, dass dort nach orthodoxen Riten gebetet wird, die Männer und Frauen getrennt sind, aber mit Abstand die meisten Juden, die dort hinkommen am Schabbat mit dem Auto vor der Tür parken. Sie sind also nicht orthodox. Warum lassen sie sich die Bevormundung durch die orthodoxen gefallen? Das ist doch geradezu undemokratisch!

Ist es nicht. Denn Demokratie heisst nicht „die Meinung der Mehrheit wird immer durchgesetzt„, sondern oft auch einfach „der kleinste gemeinsame Nenner wird gefunden„. Und das ist bei einer Synagoge eben die Orthodoxie. Sie erlaubt es jedem, egal wie religiös er ist, die Synagoge zu besuchen und dort zu beten. In eine Synagoge mit gemischtem Gebet wäre das nicht möglich, die orthodoxen Juden, so wie auch meine Frau und ich, wären aussen vor.

Wenn es aber genügend Juden gibt in einer Stadt, dann gibt es für jedes Plaisier eine eigene Synagoge. In Jerusalem beispielsweise findet man alles in jeder Schattierung, sogar orthodox-egalitär und liberal-getrennt. Wenn es aber schwierig ist, überhaupt genügend Juden zu versammeln, dann muss die Synagoge allen passen, die da sind. In Kiel etwa ist das eine liberale Gemeinde, in Hamburg eine orthodoxe.

Die Kotel ist unser heiligstes, wie ich oben schon ausgeführt habe. Ich will auch nicht den reformierten oder liberalen Juden absprechen, dass ihnen die Kotel heilig ist, wie das ein anderer Kommentator getan hat. Auch für nichtreligiöse Israelis ist sie ein nationales Symbol. Aber es gibt nur eine Kotel für alle und daher muss sie dem kleinsten gemeinsamen Nenner genügen. Und der ist orthodox mit Geschlechtertrennung. Das neue Areal sollte lieber den Frauen zugeschlagen werden, denn das würde deutlich mehr Frauen zugute kommen, als die gemischte Extrawurst.

Wenn es nach den Wünschen einer Mehrheit von Israelis aus Tel Aviv ginge, wäre dort wahrscheinlich eher ein Beachclub oder ein Café.

 

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Der alte Bahnhof in Jerusalem „Hatachana Harischona