Gedenken in Lollar an den Fremden Juden

In Lollar, einem beschaulichen Städtchen nördlich von Giessen, stand mal eine Synagoge. Bis sie zerstört wurde. Jetzt, 80 Jahre später, will man an ihrer Stelle eine Gedenktafel aufstellen. Lokalpolitik hat schon häufig Stilblüten getrieben und ich will mich auch gar nicht über Parteien und was sie dort tun aufregen. Es geht um die Sache.

Um die geht es auch den Lokalpolitikern vor Ort. Einer von der CDU, Herr Markus Wojahn, hat mich auf Twitter angesprochen und mich nach meiner Meinung zu den Vorschlägen für die Inschrift gefragt. Diese drei Sprüche wurden diskutiert:

  1. Hier Stand in der Zeit von 1848 bis November 1938 die Lollarer Synagoge.

    Zur Mahnung und Ermutigung der heutigen und zukünftigen Generationen, zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenhass.
  2. Im Hinterhof der Gießener Straße 23 stand ab 1848 die Lollalrer Synagoge, die während des Progroms (sic!) im November 1938 von den Nationalsozialisten zerstört wurde.

    Zur Mahnung und Ermutigung der heutigen und zukünftigen Generationen, zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenhass.
  3. Im November 1938 wurde hier die in 1848 errichtete Synagoge der jüdischen Gemeinde Lollar durch den nationalsozialistischen Terror zerstört.
    Wir gedenken aller Opfer von Antisemitismus, Rassismus und politischer Verfolgung.
    Es ist und bleibt unsere Verpflichtung:
    Nie wieder sollen Menschen wegen ihrer Religion, Nationalität, Hautfarbe und politischer Gesinnung verfolgt werden oder gar ihr Leben lassen müssen.

Ich muss, denke ich, nicht betonen, dass ich alle drei Vorschläge indiskutabel fand. Sie machen Juden zu Fremden und missbrauchen das Gedenken an den eliminatorischen Antisemitismus für Allgemeinplätze gegen Ismen jeglicher Art.

Wir telefonierten, waren der Meinung, dass das so nicht sein kann und er kam mit meinen Argumenten im gestärkten Rücken zurück in die Verhandlung um die Gedenktafel. Die Zeitung „Giessener Allgemeine“ berichtete darüber und nannte dabei auch meinen Namen.

Auch Volker Beck mischte sich auf meine Bitte hin ein und schrieb seinen Parteikollegen vor Ort eine Nachricht. Der Grünen-Lokalpolitiker Wolfgang Haußmann recherchierte daraufhin meine Email-Adresse und schrieb mir:

[…] Wir Grünen Lollar haben unmittelbar nach dem Attentat in Halle die dringende Notwendigkeit gesehen, die Gefahr eines wieder erstarkenden Antisemitismus in Deutschland u.a. durch das Aufstellen einer Gedenktafel am Ort der ehemaligen Synagoge deutlich zu machen. […]
Wenn Sie sich nun den Formulierungsvorschlag Nr. 3 ansehen, werden Sie erkennen, dass dort von Antisemitismus geredet wird, UND von anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die sich im Nationsozialismus verwoben. Dabei soll auf keinen Fall die unermessliche Grausamkeit und Ausmaß der Shoa verkleinert werden. […]

Hier ist meine Antwort:
Ich finde es natürlich richtig, eine Tafel aufzustellen. Das Ausmass der Zerstörung jüdischen Lebens in Deutschland muss sichtbar gemacht werden. Das Projekt „Stolpersteine“, von denen mWn. auch in Lollar welche verlegt wurden, erreicht dieses Ziel sehr gut. Auch hier gibt es Kritikpunkte, aber die Mahnung vor der Vergangenheit wird hier nicht durch plumpe Aufrufe produziert, sondern durch Wiedergabe von Fakten. Wer durch diese Fakten nicht von selbst auf die Idee kommt, dass ein unglaubliches Verbrechen in Deutschland passiert ist und wer erst durch schlaue Sprüche daran erinnert werden muss, dass man Menschen nicht aufgrund von egal welchen Merkmalen in KZs sperrt und vergast, der wird es auch mit erhobenem Zeigefinger nicht verstehen. Daher empfehle ich, anders als im dritten Vorschlag, die Fakten zur Synagoge so detalliert wie möglich darzustellen. Wann erbaut, von wie vielen Juden regelmässig zum Gebet genutzt, wer war der oder die letzte Gemeindevorsteher*in, was ist mit ihm oder ihr und dem Rest der Gemeinde passiert, wann wurde das Gebäude zerstört und von wem („Lollener Nationalsozialisten“ wäre wahrscheinlich die ehrlichste Beschreibung) und dann noch, was auch immer der Historiker, mit dem Sie zusammenarbeiten, noch alles herausfinden kann. Die schonungslose Offenlegung aller Fakten ist wirkmächtiger als alle zur Mahnung rufenden Sprüche.

Herr Haußmann war nicht so ganz meiner Meinung, wie eine weitere Email von ihm bewies. Und das ist sein gutes Recht. Ich finde aber dennoch, dass er sich irrt und das auf dem Rücken der Juden. Auch auf meinem Rücken, denn auch wenn ich ein Konvertit bin, so bin ich auch ganz ohne Rabbinatsbrief ein direkter Nachkomme von Shoah-Opfern.

In Lollar wird noch diskutiert und lokalpolitisiert. Ich wünsche den Menschen dort, dass sie eine Lösung finden, die Juden weder missbraucht noch zu Fremden im Land macht. Die Diskussion läuft und braucht diesen meinen Blogpost hoffentlich nicht mehr.

Aber es gibt noch viele Ruinen von Synagogen in Deutschland, die bis heute brach liegen oder anonym überbaut wurden und mindestens eine Gedenktafel verdienen. Und dort sollen sie die Fehler aus Lollar bitte nicht wiederholen.

Oldenburg Mahnmal

Als ich am Montag in Oldenburg zu meinem ersten Vortrag ankam und neben dem Kulturzentrum PFL parkte, fiel mir sofort dieses Mahnmal ins Auge. Ich sah die teilweise umgefallenen Steine und die Tafel mit hebräischen Buchstaben. „Bestimmt ist es ein Holocaust Mahnmal für die Juden aus Oldenburg“, dachte ich.

An einer Erklärtafel daneben stand, dass an diesem Platz die Synagoge und die jüdische Schule vor dem Holocaust stand. Vor meinem Vortrag führte der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Oldenburg mich durch ein Paar Straßen im Zentrum und erzählte mir über die Geschichte der Juden in Oldenburg.

Es ist schon beeindruckend, wieviel jüdische Geschichte in deutschen Städten steckt und wie diese Geschichte aufrecht erhalten wird.

Übrigens gibt es in Oldenburg wie in München keine Stolpersteine. Oldenburg hat neben dem Kulturzentrum eine große Tafel aufgestellt mit Namen der Juden, die aus Oldenburg ermordet wurden.

ZPS: Jenny und Eliyah in den Medien

Die Aktion des Zentrums für Politische Schönheit, für die sie (angeblich?) Asche von Holocaust-Opfern in einer Skulptur vor dem Reichstag in Berlin und an anderen Orten ausgestellt haben, hat viel Widerspruch geerntet. Auch von uns.

Unabhängig voneinander wurden wir von Journalistinnen angesprochen und interviewt. Hier findet ihr die Ergebnisse:

Jenny bei noizz.de, interviewt von Katharina Kunert.

Eliyah bei jetzt.de (Süddeutsche Zeitung), interviewt von Nadja Schlüter.

Andere Zeitungen wie die etwa die Jüdische Allgemeine haben auch Tweets von uns zitiert.

Wir sind dankbar, dass unsere Stimmen gehört wurden. Diese Aktion des ZPS hat mehr Schaden verursacht, als den Initiatoren bewusst war. Die Scherben aufzusammeln obliegt jetzt leider Menschen wie uns.

Nazilieder auf Klassenfahrt

germany_deutschland_buchenwald_konzentrationslager_wire_nazi_alemania_kz-482663
Buchenwald – License: CC 2.0

Gut 200 km Straße trennt die Stadt Grünwald von der Holocaust Gedenkstätte KZ Buchenwald. Am 15. Oktober dieses Jahres legten Neuntklässler diesen Weg zurück mit ihrer Schule auf einer Klassenfahrt in die Deutsche Vergangenheit.

Kinder in Deutschland kennen Krieg und Vernichtung nur aus den Nachrichten ferner Länder, dem Geschichtsunterricht und aus Videospielen. Sie sind glücklicherweise in einem scheinbar ewig währenden Frieden aufgewachsen und all das Leid ist weit weit weg. Auf jeden Fall weiter als 200 km.

Ich war in einem ähnlichen Alter, als meine Schule alle Schüler in Bussen in ein Kino verfrachtet hat um uns den Film „Schindlers Liste“ zu zeigen. Damals war es nicht anders als heute und es war schrecklich. Die Kids hatten keinen Respekt und alberten um mich herum, während ich mit meinen Gefühlen kämpfte, da der Film auch einen Teil meiner Familiengeschichte widerspiegelt.

Traurig und erwartbar

Deswegen schockierte es mich nicht, über den Vorfall aus Buchenwald zu lesen. Drei der 14 jährigen Kinder haben auf dem Rückweg im Bus antisemitische Lieder abgespielt, offenbar auf ihren Smartphones, und die Texte laut mitgesungen. Man kann sich natürlich fragen: Warum kannten sie diese Lieder und Liedtexte überhaupt? War das den Lehrern vorher bewusst?

Gesungen haben sie die Lieder aber in genau diesem Moment, um diese Distanz, in der sie aufgewachsen sind und die das Leben so wohlig einfach macht, wieder herzustellen. Buchenwald musste direkt auf der Heimfahrt im Bus wieder entzaubert werden, die direkte Konfrontation mit dem Leid vor der eigenen Haustür wieder in die Ferne geschoben werden.

Keine Zwangsbesuche in Gedenkstätten!

Ich halte es für einen Fehler, Kinder zwangsweise so zu konfrontieren. Ich weiß, dass ich mit dieser Meinung relativ alleine bin. Die Erinnerung muss doch aufrecht erhalten werden!?

Ja, das muss sie. Aber diese drei Kids waren offenbar vorher schon mit Antisemitismus vergiftet und der Besuch in Buchenwald hat daran nichts geändert. Das ist so traurig wie erwartbar. Man kann eben nicht davon ausgehen, dass man alle erreichen kann mit der Erinnerung an den Holocaust. Es wird immer Menschen geben, die menschenverachtende Ansichten haben, aus Dummheit, aus Feigheit, aus Minderwertigkeitskomplexen, aus welchem Grund auch immer.

Es muss freiwillig sein, damit es funktioniert

Die Gedenkstätten sind dafür da, diejenigen zu erreichen, die auch erreicht werden können und wollen. Es muss für die Schüler freiwillig sein, dort hin zu gehen. Und wenn sie zurück kommen und dank des Besuchs wahrlich überzeugt davon sind, dass die Vergangenheit Deutschlands eine Verantwortung für die Menschen heute ist, dann sind sie der Impfstoff in der Gesellschaft, der widerspricht, wenn ein Antisemit Parolen grölt.

Die Gesellschaft gegen Nazis impfen

Dass es immer Nazis und Antisemiten gegeben hat und geben wird, muss man leider als gegeben akzeptieren. Aber die Nazis waren damals, und sind es heute wieder, nur deshalb so erfolgreich, weil es keinen ausreichenden Widerspruch gab und gibt in ihrem direkten Umfeld. Die Strategie muss sein, diesen Widerspruch zu stärken, die Menschen, die widersprechen zu stärken durch Erinnerung und vorgelebter Solidarität mit Juden heute. Und mit allen anderen Menschen, die Opfer gruppenbezogenem Menschenhasses sind.

Äpfel und Birnen vergleichen

apfelbirne

Es gibt Leute, die sagen, man könne Äpfel und Birnen nicht vergleichen. Doch das stimmt nicht. Hier der Beweis:

Apfel Birne Übereinstimmung
Form rundlich, Stil am oberen Ende „birnenförmig“, also unten meist breiter und oben spitz zulaufend mit abgeflachtem Abschluss nein
Farbe verschiedene Farben, meist grün oder rot und Musterungen meist grün, manche Sorten werden in der Reife gelb nein
Geschmack süß-sauer süß, sämig, leicht bitter nein
Obstsorte Kernobst Kernobst ja
Gewächs Laubbaum, sommergrün Laubbaum, sommergrün ja
Familie Rosengewächse Rosengewächse ja
Fruchtart Scheinfrucht Scheinfrucht ja
Reife Erst sehr sauer, dann über die Reife immer süßer. Reift nach der Ernte nach. Anfangs viel Gerbsäure, teilweise ungenießbar. Reift nach der Ernte nach und wird sehr süß. nein
Lagerfähigkeit gut, steuerbar schlecht nein
Nutzung Frischobst, Sirup, Saft, Marmelade, Trockenobst, Alkoholika Frischobst, Sirup, Saft, Marmelade, Trockenobst, Alkoholika ja

Wie Sie sehen, es gibt in diesem Vergleich fünf Übereinstimmungen und ebenfalls fünf Unterschiede. Man kann also beide Früchte miteinander vergleichen. Warum also wird einem dann immer vorgeworfen, man würde Äpfel mit Birnen vergleichen, wenn man zwei verschiedene Themen vermischt?

Man kann grundsätzlich alles mit allem vergleichen. Fahrräder mit Hochhäusern, Sprachen mit Stromzählern und Telefone mit Nadelbäumen. Aber in den meisten Fällen kommt beim Vergleich eben heraus, dass sie nichts miteinander zu tun haben. Daher unterlässt man solche Vergleiche und konzentriert sich auf solche, wo der Vergleich einen Erkenntnisgewinn bringt.

Äpfel und Birnen sind besser zu vergleichen als Fahrräder mit Hochhäusern und Nadelbäumen. Sie haben tatsächlich Gemeinsamkeiten. Dennoch liefert der Vergleich keinen Erkenntnisgewinn und daher wurde dieser sinnlose Vergleich sprichwörtlich.

So gesehen gibt es Dinge, die sind tatsächlich unvergleichlich. Und dazu gehört auch der Holocaust. Lasst es bitte. Danke.

 

Anschlag in Tel Aviv kurz vor dem Holocaust-Gedenktag

IMG_4338
Veranstaltung in Ra’anana zum Yom Hashoah

Seit gestern machte ich mir Gedanken darüber, ob und was ich zum heutigen Holocaust-Gedenktag schreiben soll. Irgendwie schreibt man doch sowieso immer das selbe: „Erinnern ist wichtig, Holocaust darf sich nicht wiederholen“ und andere Floskeln.

Als ich heute Nachmittag auf dem Weg zum Kindergarten war um meine Kinder abzuholen, las ich, dass mitten in Tel Aviv an der Strandpromenade vier Menschen von einem Terroristen mit einem Messer angegriffen wurden. Zum Glück wurde nach jetzigem Stand niemand ernsthaft verletzt.

Aber es trifft mich doch mitten ins Herz. Ein Paar Stunden, bevor wir unseren im Holocaust verstorbenen Verwandten gedenken und wir bei den zahlreichen Gedenkfeiern in fast jeder Stadt in Israel in Tränen ausbrechen, versucht jemand meine Mitmenschen umzubringen, nur weil sie Juden sind.

Einige sind der Meinung, wir haben Israel dem Holocaust zu verdanken. Das ist natürlich äußerst zynisch und ist meiner Meinung nach auch nicht zutreffend. Was aber schon stimmt ist, dass durch den Holocaust das Nationalgefühl in Israel ein Besonderes ist. Man hat es satt, immer wieder Opfer in der Geschichte sein. Holocaust war der Höhepunkt der jüdischen Opfergeschichte. Jetzt sind wir in der Lage, uns selbst zu verteidigen. Deshalb hing der Anschlag heut in Tel Aviv mit dem heutigen Holocaust-Gedenktag zusammen. Der Terrorist wurde überwältigt und eingesperrt. Er wird seine Strafe bekommen. Das war für unsere Verwandten vor nicht mal 80 Jahren nicht möglich. Nicht nur wurden sie systematisch und grausam ermordet und kaum einer ist eingeschritten, sondern sogar noch nach dem Holocaust sind bis heute etwa 90% der Deutschen, die am Holocaust beteiligt waren, nicht zur Rechenschaft gezogen worden.

Zu diesem Thema habe ich letztes Jahr die Kampagne #WoSindDieTäter gestartet.

Ich kenne aber auch viele tolle Menschen, die sich gegen das Vergessen mit wichtigen Projekten einsetzen. Ich kenne auch tolle Organisationen, die gegen den Antisemitismus heute kämpfen. Ihnen möchte ich danken.

Ich habe mich entschieden, auch einen bescheidenen Beitrag für die Zukunft zu leisten. Letztes Jahr gründete ich hier in Israel eine Organisation, die sich für Deutsch-Israelische Beziehungen einsetzt. Eines unserer Projekte ist ein Deutsches Bildungszentrum, wo Kinder aus deutschsprachigen Familien die Deutsche Kultur und Sprache lernen.

Trauern und Erinnern an die Deutsch-Jüdische Vergangenheit ist und bleibt wichtig, aber was wir aus unserer gemeinsamen Zukunft machen, ist noch viel wichtiger.

Danke fürs Gedenken

The curved ceiling of the Hall of Names is pictured during a visit by U.S. President Barack Obama at the Yad Vashem Holocaust Memorial in Jerusalem
Yad VaShem in Jerusalem

Heute haben alle Menschen der Welt, zumindest die anständigen unter denen, die überhaupt davon wissen, den ermordeten Menschen des Holocaust gedacht. Danke. Unter diesen Opfern ist auch mein Großvater und seine ganze Familie. Und bis auf wenige Überlebende auch die Familie meiner Frau.

Aber warum soll man Gedenken? Vor allem, wenn man nicht gerade direkt betroffen ist wie wir Nachkommen der Opfer oder die Nachkommen der Täter? Man gedenkt, um daraus seine Schlüsse zu ziehen, um etwas zu lernen.

Und das ist der üble Beigeschmack bei der ganzen Veranstaltung. Denn manche lernen daraus Dinge, für die ich sie lieber nicht hätte Gedenken lassen. Hier die Lehren, die man zieht:

1. Es ist nicht OK, Menschen einfach so zusammenzupferchen und dann in Gaskammern zu stecken, um sie massenhaft abzuschlachten

Ja, das stimmt natürlich. Aber wer den Holocaust brauchte, um das zu kapieren, der hätte wohl selber mitgemacht und sich dann auf einen Befehlsnotstand berufen. Und er (oder natürlich auch sie) hätte dann auch folgende Lehre ziehen wollen:

2. Man darf sich nicht erwischen lassen

Ja, schon blöd, wenn man nicht vorsichtig genug war und dann bei der Entnazifizierung nicht genügend Lügengeschichten parat hatte, um sich vor der Verantwortung zu drücken.

3. So was kommt von so was

Will sagen, wir müssen aufpassen, dass wir Juden uns nicht noch mal so schlecht benehmen, dass man uns unbedingt umbringen will. Denn: Ja, natürlich, das war so nicht ok vonnem Adolf, aber einen Massenmord, sofern er denn stattgefunden hat, macht man doch nicht ohne Grund!

4. Die Juden müssen deswegen besonders gute Menschen sein

Denn wer dem Holocaust entronnen ist, der hat eine von den Nazis betriebene Besserungsanstalt besucht, die leider nicht viele überlebt haben. Und deswegen ist es wichtig, dass Juden heute bessere Menschen sein müssen als alle anderen Menschen der Welt. Und auch anders be- und verurteilt werden, wenn sie sich mal nicht so christlich, äh, jüdisch benehmen, wie sie sollten. Etwa, wie sie mit den Palästinensern umgehen. Das führt doch nur zu Punkt 3. (siehe oben).

5. Wer am besten erinnert, ist am unschuldigsten

Ja, besonders hübsch ist das Holocaust-Denkmal im Zentrum unserer wunderschönen Hauptstadt nicht, aber immerhin ein Publikumsmagnet. Ausserdem können wir soooo stolz sein, das Gedenken perfektioniert zu haben. Die Devise war: Nicht kleckern, sondern klotzen! Die Klotzen dann noch direkt neben dem Brandenburger Tor verteilt, und keiner kann uns nachsagen, wir hätten irgend welche Kosten und Mühen gescheut. Und nun lasst uns mit dem Moralinsauer in Ruhe. Schlussstrich.

6. Nie wieder!

Ja, nie wieder. Nur was man nie wieder soll, darüber ist man sich nicht ganz einig. Die einen wollen nie wieder Juden umbringen. Sehr löblich (siehe Punkt 1). Die anderen wollen nie wieder Krieg, egal welchen und egal zwischen wem. Und wieder andere wollen nie wieder mit dem Holocaust behelligt werden. Und wenn, dann nur, um Juden zu erklären, dass sie selbst auch nie wieder überhaupt jemanden töten dürfen, und sei es in Notwehr. Denn Juden sind ja… siehe Punkt 4.

Was wir Juden daraus gelernt haben

Wir haben gelernt, dass wir einen eigenen Staat mit einer eigenen Armee und eigener Regierung, Gerichtsbarkeit, Gesetzgebung und allem was dazu gehört brauchen. Denn auf andere Staaten können wir uns nicht verlassen. Die Aliierten, denen wir durchaus dankbar sind für die Befreiung von den Deutschen, haben es nicht mal hinbekommen, die Gleise nach Auschwitz zu bombardieren. Jetzt haben wir unsere eigene Luftwaffe mit den modernsten Flugzeugen der Welt.

Und das ist meiner Meinung nach die einzige echte Lehre, die man aus dem Holocaust ziehen kann:

7. Wer einen Holocaust androht, dem muss man glauben

Wer dann wieder Appeasement versucht wie das Münchner Abkommen, der hat nichts gelernt. Genau wie diejenigen, die gerade den Iran mit Atomdeals appeasen wollen. Denn eines wissen wir sicher: Es ist passiert und das heißt, es kann wieder passieren.

#WeRemember

Wir haben beide große Teile unserer Familien im Holocaust verloren. Am 27. Januar ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, an dem nicht nur wir, die wir täglich damit leben müssen, dass wir Nachkommen von Überlebenden dieses Hinmordens unserer Familien sind, sondern auf der ganzen Welt Menschen den Opfern dieses Menschheitsverbrechens gedenken. Danke!

In Zeiten von wachsendem Islamismus weltweit, Höck’schem Geschichtsrevisionismus in Deutschland, Erstarken der Rechten in Europa und Übersee und generell wachsender Judenfeindlichkeit und mörderischem Antizionismus, ist das Erinnern auch heute und besonders heute so wichtig.

Die letzten Zeitzeugen werden bald von uns gegangen sein und wir werden ihren Platz in der Erinnerungsarbeit übernehmen müssen. Wir, die wir entweder ohne Großeltern und mit vom Morden fürs Leben gezeichneten Eltern und Großeltern aufgewachsen sind, müssen die Erinnerung an unsere Kinder weitertragen. Denn bald müssen auch sie in die Welt schreien: #WeRemember

Unter Belagerung

Ein Jahr ist vergangen seit dem letzten 10. Tevet: Der Fasttag, der so nah an Channukkah liegt. Freude und Leid waren schon immer enge Verbündete. Die Nähe dieser beiden Tage im Kalender erinnert uns daran. Der eine feiert das Ende und der andere den Beginn der Belagerung Jerusalems, wenn auch durch verschiedene Belagerer. Aber von denen gibt es ja mehr als genug.

Die 13 Blumen

IMG_0946 Der Tempel in Jerusalem als Modell (Israel Museum)

Heute ist nach dem jüdischen Kalender der Zehnte Tevet, der Tag der Beginn der Belagerung Jerusalems durch Nebuchadnezzar, die zur Zerstörung des ersten Tempels führte. Wir fasten und beten viel. Es ist ein nationaler Trauertag. Wer nicht weiss, zu welchem Datum seine Verwandten etwa im Holocaust tatsächlich ermordet wurden, kann heute das Trauergebet, das Kaddisch, für sie sagen, das üblichweise am Tag der Yahrzeit, also am Todestag nach dem jüdischen Kalender gesprochen wird.

Ich faste nicht gerne. Und heute fühle ich mich auch sonst nicht besonders fit. Daher hätte ich Grund genug, diesen doch nachrangingen Fastttag ausfallen zu lassen und mit den Kollegen Essen zu gehen, wie jeden Tag.

Aber Asara BeTevet, wie der Tag auf hebräisch heisst, ist doch ein besonderer Fasttag. Würde er auf einen Schabbat fallen, was er niemals tut, dann würden wir am Schabbat fasten. Das ist…

Ursprünglichen Post anzeigen 110 weitere Wörter

#WoSindDieTäter – Wo sind die Täter

 

‪#‎WoSindDieTaeter‬

Die deutsche Justiz hat versagt: Von etwa 3000 Mitgliedern der vier SS Einsatzgruppen, die vor allem in Osteuropa, abseits der Vernichtungslager, über eine Million Menschen ermordeten, wurden ganze 24 dieser Mörder angeklagt und verurteilt. Die übrigen führten und führen ein unbehelligtes Leben. Die überlebenden Familienmitglieder der Opfer leiden bis heute in der dritten Generation unter dem Schmerz des Verlustes.

Einer nach dem anderen wird eine ganze Familie mit Waffengewalt von Soldaten aus ihrem Haus herausgezerrt. „Raus!“ schreien sie, „Raus, raus!“. Mutter, Vater und die kleine Tochter, die noch keine 6 Jahre alt ist, laufen aus dem Haus. Das Mädchen trägt ein hübsches blaues Kleid mit Blumen. Sie versteht nicht, was passiert. Verängstigt folgt sie mit ihren Eltern den Soldaten. Nach einigen Minuten kommen sie zu einer Stelle, an der noch andere Menschen aus ihrem Dorf stehen und auch von Soldaten bewacht werden. Die Soldaten zwingen sie, in ein großes Loch zu steigen. Das Mädchen klammert sich an ihre Eltern und klettert mit ihnen in das Loch. Die Soldaten fangen an, Erde auf die Menschen in der Grube zu schütten. Das kleine Mädchen guckt einen Soldaten an und fragt unschuldig: „Warum schütten Sie mir Sand in die Augen?“ Sie ahnt noch nicht, dass der Soldat sie gerade lebendig begräbt.

An diesem Punkt endet die Filmszene und auch meine Erinnerung an den Film. Doch dieser Filmausschnitt hat mich damals im Alter von etwa 7 Jahren schwer schockiert und sehr geprägt. Ich versuchte mir vorzustellen, es wäre nur Fiktion, aber es ist die Geschichte meiner eigenen Familie. Genau so wurde auch meine Familie im Holocaust von der SS-Einsatzgruppe C lebendig begraben. Meine Uroma erzählte uns all diese Geschichten wieder und wieder und ich wusste, dass auch ich diese Erinnerungen weiter tragen muss. Dieses unbeschreibliche Verbrechen darf nicht vergessen werden.

Letztes Jahr traf ich auf einer Veranstaltung einen Mitarbeiter des Simon-Wiesenthal-Centers. Sie pflegen eine Liste von SS-Einsatzgruppen-Mitgliedern, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass sie noch am Leben sind, relativ hoch ist. Sie starteten bereits zwei Aktionen mit dem Titel „Spät, aber nicht zu spät“ mit dem Ziel, Hinweise zu noch lebenden Mördern zu finden, leider mit überschaubarem Erfolg.

Leider ist es für Strafverfolgung jetzt zu spät, denn die meisten Täter sind entweder schon tot oder werden in den nächsten Jahren sterben. Doch was bedeutet der Holocaust für die junge Generation? Laut einer Bertelsmann-Studie wünschen unverändert seit nunmehr 20 Jahren über 80% der Deutschen ein Schlussstrich unter der Aufarbeitung des Holocaust. Für die junge Generation der Opferfamilien kommt dies nicht in Frage.

In sozialen Medien über den Hashtag #WoSindDieTaeter will ich an die Verbrechen der SS-Einsatzgruppen, die auch meine Familie auf dem Gewissen haben, erinnern. Ich will auch mit dem Mythos aufräumen, die BRD hätte den Holocaust vorbildlich aufgearbeitet. Das mag für die historische Aufarbeitung stimmen, für die juristische aber, das zeigt dieses Beispiel deutlich, stimmt es mitnichten. Ich möchte, dass das Versagen der Justiz ins öffentliche Bewusstsein rückt. Denn auch die historische Aufarbeitung war ein mühsamer Prozess. Und ich will an meiner eigenen Biographie deutlich machen, dass diese Aufarbeitung noch nicht vollbracht ist.
Helfen Sie mir! Schreiben Sie in Artikeln, Blogposts und Nachrichten über diesen Aufruf, wenn er am 4-5 Mai 2016 zum Yom HaSchoa Tag in die Öffentlichkeit startet und nutzen Sie dabei immer den Hashtag #WoSindDieTaeter. Danke!

IMG_9090IMG_9093