Tag der Erinnerung in Israel – Yom HaZikaron

c-qsfv4waaiv6t8
(Photo: IDF)

Heute ist der Yom HaZikaron, der Tag des Gedenkens an die Opfer von Krieg und Terror in Israel.

Wie jedes Jahr, gab es in fast jedem Ort eine oder mehrere Veranstaltungen, öffentliche Trauerfeiern. Die imposanteste von allen war die aus Jerusalem, wo die Klagemauer ihrem Namen endlich mal alle Ehre macht. Sie wurde live im Fernsehen und auf mehreren Kanälen gleichzeitig übertragen.

Nicht minder beeindruckend ist aber die Veranstaltung auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv. Dieses Jahr bin ich leider mal nicht hin gefahren. Aber letztes Jahr war ich dort.

Ich nahm zwei junge Mädchen aus Deutschland mit, die gerade hier in Israel in Ra’anana ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvierten. Eine von ihnen arbeitete in dem Kindergarten, in den mein kleiner Sohn ging. Daher kannte ich sie.

Ich musste die beiden ein wenig überreden. Sie dachten, das wird so eine nationalduselige Selbstbeweihräucherungs- und Selbstmitleidsveranstaltung, auf der sie fehl am Platz sind. Erstens, weil sie Deutsche sind und zweitens, weil sie sich selbst als „kritisch“ gegenüber Israels Militärpolitik sahen und daher einer Trauerveranstaltung für Israelische Soldaten nicht wirklich viel abgewinnen konnten.

Dabei lohnt sich diese Veranstaltung schon alleine deshalb, weil man noch nie so viel Stille in Mitten von Tel Aviv und in Mitten von so vielen Menschen erlebt hat. Der Platz im Zentrum der Stadt ist gerammelt voll und während der gemeinsamen Schweigeminute ist es so still, dass ein leises Maunzen einer streunenden Katze am anderen Ende des Platzes laut und deutlich zu vernehmen ist.

Auch wenn gerade nicht geschwiegen wird, ist es ein ungewohntes Setup. Die größten Stars des Landes treten auf, singen traurige Lieder, die viele mitsingen können und es auch leise tun und es klatscht niemand. Wirklich niemand. Gestandene Männer weinen leise und halten sich an ihren starken Frauen fest. Am Ende singt man gemeinsam und andächtig die in Moll gehaltene Hatikva, die Nationalhymne, und geht dann nahezu schweigend nach Hause (Genau wie beim Yom Hashoah, siehe Video).

Ich bereitete die Mädchen auf den Abend vor und erzählte all das obige. Sie waren etwas skeptisch aber neugierig. Aber als ich ihnen versprach, dass zwischen den Liedern die Geschichten von Gefallenen und Terroropfern in kurzen Videos erzählt werden und dass es immer auch eine arabische und drusische Familie gibt, deren Geschichte erzählt wird, da glaubten sie mir einfach nicht.

Ich hatte nicht gelogen. Und auch, wenn es jetzt ein Jahr her ist, das Gesicht des kleinen arabischen Jungen, der voller Stolz von seinem als Israelischer Soldat gefallenen Bruders (oder was es Cousin?) sprach, vergesse ich nicht. In kindlichem hebräisch und mit arabischem Akzent lobte er die Liebe und Aufopferung, die er von ihm erfahren hat und schwor feierlich, in seine Fußstapfen zu treten, wenn er groß ist.

18040013.jpg
Nasreen Quadri (Photo: Ron Kedmi)

Wir gedenken an diesem Tag all unseren Toten, unbesehen ihrer Religion und Herkunft. So ist es auch nur folgerichtig, dass eine der Künstlerinnen, die dieses Jahr auf der Bühne in Jerusalem stand, eine Israelische Araberin ist. Nasreen Qadri, die als Sängeren der Vorgruppe von Radiohead auf Tournee ist, ist für diesen Tag als stolze Israelin nach Hause gekommen, um zu singen.

Die beiden Deutschen Mädchen vom letzten Jahr waren auf der Rückfahrt im Auto sprachlos. Ich hatte mit nichts übertrieben, alles was ich angekündigt habe, ist genau so eingetroffen. Und doch waren sie überrascht und überwältigt. Ich glaube, wer ein Mal mit uns in Israel den Yom HaZikaron begangen hat, der versteht uns besser. Versteht unsere Sehnsucht, unsere Liebe und unsere Hoffnung als Israelis, als Menschen in dieser Welt auf diesem kleinen Stück Erde im Nahen Osten.

Und der wird uns trotz aller Kritik auch die Freude gönnen, die wir am nächsten Tag versprühen, wenn wir überschwänglich unseren Unabhängikeitstag feiern. Durch den Kontrast wird die Freude noch größer und, was noch wichtiger ist, nicht zu einer bedeutungslosen Party. Wer um die Opfer trauert, die für dieses wunderbare Land gebracht wurden und werden, der kann es auch aus tiefstem Herzen feiern.

Besatzung oder Militärpräsenz?

militaerbesatzungtwitterblur
Ein Benutzer auf Twitter wirft mir meine Wortwahl vor

Mein Artikel auf Salonkolumnisten zum Thema Zwei-Staaten-Lösung gefällt nicht jedem. Dabei lässt er komplett offen, welche Lösung für den Nahostkonflikt nun die „richtige“ ist. Denn alles, was ich erreichen will, ist dass eine Diskussion über die Zwei-Staaten-Lösung in Gang kommt und überhaupt ein Weg aus dem Status Quo gefunden wird.

Die richtige Wortwahl

Diesen beschreibe ich im Text auch entsprechend negativ. Er ist zwar stabil und für alle Seiten gerade noch so erträglich, aber einen Ausweg wünsche ich mir für mich und meine Mitmenschen hier. Und vor allem auch für meine Kinder. Sie sind heute zwar noch sehr klein, aber in weniger als 15 Jahren werden sie auch in den Militärdienst eingezogen. Israels Armee ist eine Volksarmee und keine Berufsarmee. Es gibt auch einen Zivildienst, aber ich werde meine Kinder nicht drängen, diesen Weg einzuschlagen. Andere Eltern haben auch Kinder, die in der Armee dienen und mich und meine Kinder unter Einsatz ihres Lebens schützen. Warum sollen meine das nicht auch tun? Auch wenn ich über Jahre keine Ruhe haben werde, bis alle den Dienst beendet haben.

Ich nutze in der Beschreibung des Status Quo das Wort „Militärpräsenz“ und nicht etwa „Besatzung“, um die Schwierigkeiten zu beschreiben, die die Palästinenser ertragen müssen. Der Grund ist folgender: Militärpräsenz ist ein neutraler Begriff. Eine Präsenz von Militär kann gute und schlechte, gerechte und ungerechtfertigte, aggressive und defensive, ja selbst zivile oder militärische Gründe haben.

Eine Besatzung wiederum ist ein aggresiver, invasiver Akt. Die völkerrechtliche Beurteilung ist dabei wichtig genau wie die praktische Umsetzung der Militärpräsenz. Das Völkerrecht ist hier alles andere als eindeutig, auch wenn das von „Israelkritikern“ gebetsmühlenartig immer und immer wieder wiederholt wird.

Die Umsetzung der Militärpräsenz wiederum kann man durchaus als Besatzung verstehen, das stimmt. Ich aber nicht. Denn eines Tages wird einer meiner Söhne dort schwerbewaffnet stehen müssen, wenn bis dahin keine Lösung gefunden wurde. Und heute stehen die Söhne und Töchter meiner Freunde und Mitmenschen dort. Und die alle würden lieber ihre Kinder zuhause haben, in der Uni studieren sehen oder eine Weltreise machen lassen, als sie mit Gewehr und schussicherer Weste im Westjordanland stehen zu wissen.

Judäa und Samaria ist „Siedlersprech“

Das Westjordanland nenne ich oft „Judäa und Samaria“. Auch das wurde mir vorgeworfen. Ich nutze beide Begrifflichkeiten und versuche „Westjordanland“ im rein politischen Zusammenhang und „Judäa und Samaria“ im geographischen zu nutzen. Judäa ist das Gebiete südlich Jerusalems und Samaria nördlich. Diese Bezeichnung ist in Israel die offizielle Bezeichung der Gebiete, wird aber von Kritikern meiner Texte als „Siedlersprech“ oder „Bibelnamen“ diffamiert. Dabei waren diese Namen auch bei der arabsichen Bevölkerung bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts die geläufigen Namen.

Viel kritischer ist das Wort „Westjordanland“ zu sehen. Es ist im Grunde ein politischer Kampfbegriff. Er wurde von der PLO geprägt. Die Aussage „Die Juden haben uns Judäa weggenommen“ klingt einfach zu lächerlich, daher musste ein neuer Name für diese Gebiete her. Wem dieser Kampfbegriff noch zu harmlos ist, der sagt „Besetzte Gebiete“. Aber dazu werde ich mich nicht herablassen.

Worte sind mächtig

Meine Wortwahl ist also nicht zufällig. Ich bin Zionist. Ich liebe unser Land und achte die Leute, die hier leben. Alle, nicht nur die Juden. Ich werde nicht in den Chor der Israelhasser einstimmen, indem ich ihre tendenziöse Wortwahl übernehme. Unsere Soldaten sind in Judäa und Samaria präsent und sie sind dort, weil sie es müssen und nicht weil sie es wollen. Davon bin ich überzeugt. Wer das anders sieht, soll das gerne tun.

Polizeigewalt gegen Jeschiwastudenten

Heute waren wir, meine Frau, mein Sohn und ich, auf einem Ausflug ins „Merkaz“, ins Zentrum Israels. Wir haben auch Givat Shmuel besucht, der Ort neben Bnei Brak und der Coca-Cola-Kreuzung, in dem wir selbst bis vor einem Monat gewohnt haben. Inzwischen sind wir zurück nach Jerusalem gezogen.
Wir gönnten uns in Givat Shmuel noch Schuwarma im Laffa-Brotfladen als Abendessen und trafen dabei zufällig auf Freunde, die gerade ihren vierten Hochzeitjahresstag mit einem Essen im selben Lokal feierten. Satt und zufrieden setzten wir uns ins Auto und machten uns auf den Heimweg, den Berg hoch nach Jerusalem.
An der Coca-Cola-Kreuzung bildete sich in dem Moment ein großer Stau. Unser Navigationsgerät leitet uns daran vorbei und so kamen wir erst kurz nach dieser Kreuzung, eine Auffahrt später auf die Schnellstrasse 4. Und was wir dort sahen, erschreckte uns. Ein paar Jugendliche in weissen Hemden, schwarzen Anzügen und mit Hüten, offenbar Studenten einer orthodoxen Jeschiwa, hatten mitten auf der Autobahnauffahrt, über die wir fuhren, brennende Kisten aufgestellt. Es waren noch halbe Kinder, die dort sich selbst und andere in Gefahr brachten. Wir fuhren langsam im Stau daran vorbei, als auf ein Mal ein Polizeimotorrad mit Blaulicht angefahren kam. Die Kids haben derweil schon damit begonnen, die Kisten wieder zu löschen.
In Israel hat die Polizei keine Motorräder wie in Deutschland. Die Verkehrspolizei fährt üblicherweise zahme Motorroller, jedoch die Motorradpolizei ist deutlich martialischer. Es sitzen immer zwei Polizisten in schwarzer Kluft und schwer bewaffnet auf einer ebenso schwarzen Enduro.
Ein solches Motorrad kam also angefahren. Der hintere von den beiden Polizisten sprang vom Motorrad und prügelte und tritt auf einen der Jungen ohne Vorwarnung los. Der versuchte sich zu retten, rannte weg und wurde verfolgt und gestellt und weiter geschlagen.
Wir waren sprachlos und hilflos im Auto. Wir wollten aber auch nicht den Stau verschlimmern, indem wir gaffend im Schritttempo an der Szenerie vorbeischleichen und daher konnten wir nicht sehen, was weiter passierte.
Ich sass am Steuer. Meine Frau surft mit dem Smartphone auf israelische News-Webseiten um zu sehen, was das gewesen sein könnte. Sie wurde schnell fündig: Die Coca-Cola-Kreuzung wurde durch eine Spontandemonstration, wie sie in vielen Orten Israels heute Abend stattfanden, von Charedim blockiert. Die Jungs waren wohl ein Aussenposten davon.
Die Demonstrationen richteten sich gegen die Inhaftierung eines Jeschiwa-Studenten, der einen Einberufungsbefehl der Armee ignoriert hat. Seit Neustem gibt es ein Gesetz das regelt, dass auch Ultra-Orthodoxe zur Armee müssen und dieser Student war wohl der erste, der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes die Einberufung ignoriert hat.
Hier tobte bis vor Kurzem der Gaza-Krieg und wir alle hoffen, dass er so bald nicht wieder aufflammt. Im Angesicht dieses Krieges, der mal wieder so deutlich machte, dass unsere Soldaten zur Sicherung unseres Landes leider dringend gebraucht werden, waren die Charedim in besonderer Erklärungsnot, warum sie für sich zwar Ausnahmen vom Wehrdienst fordern, den Schutz der Armee aber gerne in Anspruch nehmen.
Deren Argumentation ist alt und schwach. Trotzdem hat einer der größten Torahgelehrten unserer Tage, Rabbiner Moshe Sternbuch, sie am 31. Juli 2014 in einem Kommentar mit dem Titel „Soldiers and armies: who is guarding who?“ sehr unoriginell aufgewärmt und sich dann noch über die Soldaten selbstgefällig erhoben. In den ersten Zeilen schreibt er noch, dass wir für die Soldaten beten sollen und alle Gefallenen als „heilig“ und „fromm“ (chossid) bezeichnet. Danach endet aber die Empathie für die Israelische Verteidigungsarmee. G’tt und nur G’tt allein kann uns retten, sagt er und nur durch intensives Torah-Lernen wird G’tt dazu animiert, das auch zu tun. Die Frage „Wer wacht über wen?“ aus dem Titel beantwortet er also eindeutig: Ohne lernende Jeschiwa-Stundeten würde G’tt den Soldaten keinen Iron Dome und keinen militärischen Sieg geben.
Mein Chavruta, also mein Lernpartner, hat mir den Artikel von Rav Moshe Sternbuch weitergeleitet. Wir haben gerade die Torahstelle über den Angriff von Amalek auf das Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten gelesen, übersetzt und Kommentare von Gelehrten diskutiert, sprich wir haben die Stelle gelernt. Dort steht das junge Volk Israel einer Vernichtungsdrohung gegenüber und muss sich wehren. Moshe Rabbeinu, der gute alte Moses also, schickt Jehoshua Ben Nun als Feldherren und mit ihm viele Junge Männer mit Waffen los, um Amalek zu schlagen. Er betet derweil für sie und wird dabei von seinen Nächsten unterstützt. So lange er seinen Arm zum Himmel hebt, ist das Volk Israel überlegen, wenn er den Arm fallen lässt, behält Amalek die Überhand.
Auf der einen Seite bestätigt diese Torahstelle Rav Moshe Sternbuchs Argumentation: Ohne Gebet und G’ttes Hilfe, verliert die Armee. Aber auf der anderen Seite sagt uns die Torah: Ohne Soldaten hilft auch kein Gebet. Sonst hätten sich die ganzen jungen Männer, die doch eigentlich 40 Jahre durch die Wüste ziehen sollten um die gerade erhaltene Torah zu lernen einfach weiter lernen und beten sollen, und sich nicht in die Schlacht begeben und ihr Leben im Kampf geben!
Ein Grundsatz des jüdischen Glaubens ist, dass man sich nicht auf G’tt alleine verlassen darf. Beispiel: Wer krank ist, soll sich schonen, Medizin nehmen und wenn es sein muss zum Arzt gehen und jede medizinische Hilfe annehmen, die es gibt. Einfach beten und hoffen, dass man von alleine, sprich nur durch G’ttes Hilfe gesund wird, ist keine Option. Geht man selbst den ersten Schritt, dann hilft uns G’tt von da an. Aber nur rumsitzen und beten, auch wenn es in einer angesehenen Jeschiwa ist, ist niemals genug. Und zu glauben, dass das eigene Gebet wertvoller ist als das Gebet eines anderen Juden, nur weil der eben zur Armee und nicht in die Jeschiwa gegangen ist, ist pure Überheblichkeit.
Aber diese Überheblichkeit ist kein Grund, einen wehrlosen Jungen brutal zusammenzuschlagen. Ich habe die Szene auf der Strasse nicht filmen können. Ich hoffe, jemand anderes hat es getan und der Polizist wird zur Rechenschaft gezogen.