Merry X-mas und frohe Y-nachten 2020

weihnukka-kippa

Wir Juden haben heute Abend unsere fünfte Chanukkah-Kerze gezündet. Das Wissen um das Judentum in Deutschland steht im krassen Kontrast zum Interesse der Menschen daran! Das hat Marina Weisband und mich dazu gebracht, eine Reihe von Videos unter dem Namen #FragEinenJuden herauszubringen. Und in diesem Geiste haben Jenny und ich mit tatkräftiger Unterstützung der Kinder ein Video zu Channukah aufgenommen:

Dieses Jahr sind wir dank des hebräischen Kalenders schon lange fertig mit Chanukkah, wenn die Christen ihr Weihnachten feiern. Ich wünsche schon jetzt allen, die es feiern, von ganzem Herzen: Frohe Weihnachten!

Diese Wünsche sind in in diesem Jahr überschattet von dem Lockdown, der coronabedingt das Weihnachtenfeiern in Deutschland stark einschränkt. Ich selbst vermisse Weihnachten nicht, kann mir aber gut vorstellen, dass es vielen Menschen nah geht, ihren Liebsten nicht nah sein zu können.

Mein Freund Matthias antwortete mal auf die Frage, wie er und seine Familie denn Weihnachten feiern werden: Wir essen viel, streiten uns und schenken uns Dinge, von denen wir in spätestens zwei Wochen wissen, dass wir sie nie gebraucht haben. Also, so oder so ähnlich hat er es gesagt.

Und so ähnlich habe ich auch Weihnachten in meiner Kindheit in Erinnerung. Streit und Essen gab es quasi immer. Geschenke auch, um die es dann auch oft noch mehr Streit gab. Der Baum war hübsch, das Essen gut, immerhin.

Der Name des Festes ist interessant. Hier eine Tabelle in verschiedenen Sprachen:

Sprache Wort Bedeutung
Englisch
Christmas
Christus (Messias) Fest
Französisch Noël Geburtsfest
Spanisch Navidad Geburtsfest
Hebräisch (Chag HaMoled) חג המולד Geburtsfest
Italienisch Natale Geburtsfest
Dänisch Jul Germanischer Kalendermonat Dezember
Holländisch Kerstmis Christus (Messias) Fest
Deutsch Weihnachten Chanukkah

Die meisten Sprachen nennen das Weihnachtsfest nach dem, was der Überlieferung nach passiert ist: Der Messias (Christ) wurde geboren. Schließlich feiert man seinen Geburtstag (und acht Tage später, nach guter jüdischer Tradition, seine Beschneidung am 1. Januar). Die Dänen stechen heraus, da sie den Festnamen am Kalender fest machen. Und die Deutschen? Die nennen ihr Lichterfest im Winter einfach Chanukkah!

Das hebräische Wort Chanukkah bedeutet Weihe. Es geht dabei um die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem nach der Entweihung durch die Griechen. Zur Weihung braucht man Olivenöl für den Leuchter und davon war nur noch so wenig da, dass es nur einen Tag gereicht hätte. Aber wie durch ein Wunder, hielt das Öl ganze acht Tage. So lange hat es gedauert, neues Öl zu besorgen.

Das ist in etwa so, wie wenn ihr morgens auf dem Smartphone noch 10% Batterie habt, aber es dennoch den ganzen Tag durchhält.

Warum ich das erzähle? Damit deutlich wird, dass nicht nur der Name fast gleich ist, auch die Bräuche von Weihnachten in Deutschland und Channukkah ähneln sich stark:

  • Datum: Beides wird am 25. des Monats gefeiert, der im jeweiligen Kalender üblicherweise in die Wintersonnenwende fällt. Also 25. Dezember oder 25. Kislev.
  • Abends: In den meisten Ländern wird am 25. tagsüber beschert. In Deutschland aber am 24. Abends. Jüdische Tage und damit auch Feiertage wie Chanukkah beginnen abends.
  • Kerzen 1: Die Chanukkah-Kerzen müssen ins Fenster gestellt werden, da ihr Zweck die öffentliche Verkündung des Chanukkah-Wunders ist. In Deutschen Haushalten werden zu Weihnachten die Fenster traditionell mit Kerzenständern und anderen Lichtern geschmückt.
  • Kerzen 2: Jeden Tag während des acht Tage andauernden Chanukkahfestes zündet man eine zusätzliche Kerze. Im Advent zündet man jeden Adventssonntag eine weitere Kerze.
  • Adventskalender: Auch hier werden die Tage gezählt, genau wie bei den acht Chanukkah-Kerzen.
  • Geschenke: Auch an Chanukkah bekommen die Kinder Geschenke oder einfach Chanukkah Gelt (mit t, weil es jiddisch ist) und man isst Karotten in Scheiben, die an Geldstücke erinnern sollen.
  • Familie: An Chanukkah feiert man mit der ganzen Familie. Jeder bekommt seinen eigenen Leuchter. Weihnachten ist ein Familienfest.
  • Glühwein: Zugegeben, eher eine zufällige Parallele. Juden trinken eigentlich zu jedem Anlass Wein.
  • Weihnachtsmann: Also, wenn Du mich fragst, sieht der aus wie ein Rabbi, dessen Klamotten rot gefärbt sind. Und daran ist ja nur Coca Cola (koscher) schuld (ich weiß, stimmt nicht). Und Bommelmützen tragen die Anhänger von Rabbi Nachman auch.
  • Messias: Das ist vielleicht ein wenig weit hergeholt. Aber hey, warum nicht, es geht schließlich um Religion, da ist argumentativ meist kein Weg zu weit. Chanukkah feiert das Olivenölwunder und das hebräische Wort Moschiach (Messias) bedeutet: Der Gesalbte. Die Salbung erfolgt mit Olivenöl.
  • Essen: Immer im Januar sind Frauen- und Männerzeitungen voll mit Diättipps. Im Rest des Jahres zwar auch, aber im Januar geht es im Besonderen darum, den sog. Weihnachtsspeck wieder los zu werden. An Chanukkah essen wir lauter in Öl gebratene oder gebackene Dinge: Kartoffelpuffer, Berliner (Pfannkuchen, Kreppel, etc.), gebratene Karottenscheiben (s.o.) und vieles mehr. Das Öl setzt sich dann im Körper gerne als Hüftgold ab.
  • Ch: Christkind und Channukkah fangen beide mit „Ch“ an. Das ist wohl eher zufällig und es ist deshalb eine Erwähnung wert, weil viel zu viele Menschen unser Fest falsch aussprechen. Das Ch klingt wie das in „Bach“. Und wenn ihr das nicht endlich lernt, sage ich ab heute „Schristkind“

Wie eng und vor allem, wie viel enger als andere Völker die Deutschen und die Juden bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts zusammengelebt haben, erahnt man, wenn man sich diese Parallelen ansieht. Nicht umsonst ist das alte hebräische Wort für Deutschland „Medinat Aschkenas“. Aschkenasen sind die nord- und osteuropäischen Juden.

Ich wünsche allen, die dieses Fest feiern, dass es besinnliche Tage werden, mit schönem Baum, sinnvollen Geschenken, wenig Streit und gutem Essen!

P.S.: Zugegeben, dieser Text erschien fast wortgleich bereits letztes, vorletztes, vorvorletztes, vorvorvorletztes und vorvorvorvorletztes Jahr, aber warum ihn so weit unten im Blog versauern lassen, wenn er doch heuer wieder so gut passt!

P.P.S.: Noch mehr Weihnachtsfunfacts gibt es auf Twitter!

#FragEinenJuden – Erklärvideos mit Marina Weisband

Marina Weisband ist eine Jüdin aus Deutschland. Sie nennt sich selbst gläubig, aber nicht religiös. Sie ist vielen Menschen in Deutschland bekannt, da sie lange Zeit das Gesicht und das Herz der Piratenpartei Deutschlands war und auch nach ihrem Ausscheiden dort eine Netzaktivistin und gefragte, kluge Stimme im politischen Diskurs geblieben ist.

Marina fragte auf Twitter ihre Follower: Was wollt ihr zum Judentum wissen? Denn der steigende Antisemitismus, der durch die Anschläge in Halle, Hamburg und Wien mörderisch wurde, lässt sich am effektivsten durch Bildung und Wissen begegnen.

Sie war von der Resonanz selbst überrascht und hat über 200 Fragen eingesammelt. Marina und ich kannten uns da noch nicht persönlich. Ich bot an, ihr bei der Beantwortung der Fragen zu helfen. Sie willigte ein und das Resultat sind bisher 3 Videos unter dem Titel #FragEinenJuden mit den Fragen der User und den Antworten von uns beiden, die wir in einem Rutsch aufgenommen haben und die Karol Kosmonaut dankenswerterweise in leicht verdauliche Häppchen geschnitten hat.

Es werden noch mindestens zwei Videos folgen, die wir auch bereits aufgezeichnet haben, und ich freue mich jetzt schon darauf und darüber und ich bin Marina sehr dankbar, dass sie mich an Bord geholt hat in diesem Projekt. Schaut rein!

Oldenburg Mahnmal

Als ich am Montag in Oldenburg zu meinem ersten Vortrag ankam und neben dem Kulturzentrum PFL parkte, fiel mir sofort dieses Mahnmal ins Auge. Ich sah die teilweise umgefallenen Steine und die Tafel mit hebräischen Buchstaben. „Bestimmt ist es ein Holocaust Mahnmal für die Juden aus Oldenburg“, dachte ich.

An einer Erklärtafel daneben stand, dass an diesem Platz die Synagoge und die jüdische Schule vor dem Holocaust stand. Vor meinem Vortrag führte der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Oldenburg mich durch ein Paar Straßen im Zentrum und erzählte mir über die Geschichte der Juden in Oldenburg.

Es ist schon beeindruckend, wieviel jüdische Geschichte in deutschen Städten steckt und wie diese Geschichte aufrecht erhalten wird.

Übrigens gibt es in Oldenburg wie in München keine Stolpersteine. Oldenburg hat neben dem Kulturzentrum eine große Tafel aufgestellt mit Namen der Juden, die aus Oldenburg ermordet wurden.

Merry X-mas und frohe Y-nachten 2019

weihnukka-kippa

Wir Juden zünden heute Abend unsere erste Chanukkah-Kerze. Und während wir schon mitten drin sind im Channukkah-Fest und die dritte Kerze auf dem Leuchter brennt, feiern die Christen Weihnachten.

Ich wünsche daher schon jetzt allen, die es feiern, von ganzem Herzen: Frohe Weihnachten!

Diese Wünsche sind in vielen Fällen bitter nötig. Vor allem die Christlichen Gemeinden im Nahen Osten sind so sehr bedroht wie schon lange nicht mehr. Aber auch im ganz privaten Umfeld ist das Fest der Liebe oft auch ein Fest der Hiebe. Ich selbst bin wahrscheinlich ausschließlich deshalb Jude geworden, damit mir dieses Fest erspart bleibt.

Mein Freund Matthias antwortete mal auf die Frage, wie er und seine Familie denn Weihnachten feiern werden: Wir essen viel, streiten uns und schenken uns Dinge, von denen wir in spätestens zwei Wochen wissen, dass wir sie nie gebraucht haben. Also, so oder so ähnlich hat er es gesagt.

Und so ähnlich habe ich auch Weihnachten in meiner Kindheit in Erinnerung. Streit und Essen gab es quasi immer. Geschenke auch, um die es dann auch oft noch mehr Streit gab. Der Baum war hübsch, das Essen gut, immerhin.

Der Name des Festes ist interessant. Hier eine Tabelle in verschiedenen Sprachen:

Sprache Wort Bedeutung
Englisch
Christmas
Christus (Messias) Fest
Französisch Noël Geburtsfest
Spanisch Navidad Geburtsfest
Hebräisch (Chag HaMoled) חג המולד Geburtsfest
Italienisch Natale Geburtsfest
Dänisch Jul Germanischer Kalendermonat Dezember
Holländisch Kerstmis Christus (Messias) Fest
Deutsch Weihnachten Chanukkah

Die meisten Sprachen nennen das Weihnachtsfest nach dem, was der Überlieferung nach passiert ist: Der Messias (Christ) wurde geboren. Schließlich feiert man seinen Geburtstag (und acht Tage später, nach guter jüdischer Tradition, seine Beschneidung am 1. Januar). Die Dänen stechen heraus, da sie den Festnamen am Kalender fest machen. Und die Deutschen? Die nennen ihr Lichterfest im Winter einfach Chanukkah!

Das hebräische Wort Chanukkah bedeutet Weihe. Es geht dabei um die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem nach der Entweihung durch die Griechen. Zur Weihung braucht man Olivenöl für den Leuchter und davon war nur noch so wenig da, dass es nur einen Tag gereicht hätte. Aber wie durch ein Wunder, hielt das Öl ganze acht Tage. So lange hat es gedauert, neues Öl zu besorgen.

Das ist in etwa so, wie wenn ihr morgens auf dem Smartphone noch 10% Batterie habt, aber es dennoch den ganzen Tag durchhält.

Warum ich das erzähle? Damit deutlich wird, dass nicht nur der Name fast gleich ist, auch die Bräuche von Weihnachten in Deutschland und Channukkah ähneln sich stark:

  • Datum: Beides wird am 25. des Monats gefeiert, der im jeweiligen Kalender üblicherweise in die Wintersonnenwende fällt. Also 25. Dezember oder 25. Kislev.
  • Abends: In den meisten Ländern wird am 25. tagsüber beschert. In Deutschland aber am 24. Abends. Jüdische Tage und damit auch Feiertage wie Chanukkah beginnen abends.
  • Kerzen 1: Die Chanukkah-Kerzen müssen ins Fenster gestellt werden, da ihr Zweck die öffentliche Verkündung des Chanukkah-Wunders ist. In Deutschen Haushalten werden zu Weihnachten die Fenster traditionell mit Kerzenständern und anderen Lichtern geschmückt.
  • Kerzen 2: Jeden Tag während des acht Tage andauernden Chanukkahfestes zündet man eine zusätzliche Kerze. Im Advent zündet man jeden Adventssonntag eine weitere Kerze.
  • Adventskalender: Auch hier werden die Tage gezählt, genau wie bei den acht Chanukkah-Kerzen.
  • Geschenke: Auch an Chanukkah bekommen die Kinder Geschenke oder einfach Chanukkah Gelt (mit t, weil es jiddisch ist) und man isst Karotten in Scheiben, die an Geldstücke erinnern sollen.
  • Familie: An Chanukkah feiert man mit der ganzen Familie. Jeder bekommt seinen eigenen Leuchter. Weihnachten ist ein Familienfest.
  • Glühwein: Zugegeben, eher eine zufällige Parallele. Juden trinken eigentlich zu jedem Anlass Wein.
  • Weihnachtsmann: Also, wenn Du mich fragst, sieht der aus wie ein Rabbi, dessen Klamotten rot gefärbt sind. Und daran ist ja nur Coca Cola (koscher) schuld (ich weiß, stimmt nicht). Und Bommelmützen tragen die Anhänger von Rabbi Nachman auch.
  • Messias: Das ist vielleicht ein wenig weit hergeholt. Aber hey, warum nicht, es geht schließlich um Religion, da ist argumentativ meist kein Weg zu weit. Chanukkah feiert das Olivenölwunder und das hebräische Wort Moschiach (Messias) bedeutet: Der Gesalbte. Die Salbung erfolgt mit Olivenöl.
  • Essen: Immer im Januar sind Frauen- und Männerzeitungen voll mit Diättipps. Im Rest des Jahres zwar auch, aber im Januar geht es im Besonderen darum, den sog. Weihnachtsspeck wieder los zu werden. An Chanukkah essen wir lauter in Öl gebratene oder gebackene Dinge: Kartoffelpuffer, Berliner (Pfannkuchen, Kreppel, etc.), gebratene Karottenscheiben (s.o.) und vieles mehr. Das Öl setzt sich dann im Körper gerne als Hüftgold ab.

Wie eng und vor allem, wie viel enger als andere Völker die Deutschen und die Juden bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts zusammengelebt haben, erahnt man, wenn man sich diese Parallelen ansieht. Nicht umsonst ist das alte hebräische Wort für Deutschland „Medinat Aschkenas“. Aschkenasen sind die nord- und osteuropäischen Juden.

Ich wünsche allen, die dieses Fest feiern, dass es besinnliche Tage werden, mit schönem Baum, sinnvollen Geschenken, wenig Streit und gutem Essen!

P.S.: Zugegeben, dieser Text erschien fast wortgleich bereits letztes, vorletztes, vorvorletztes und vorvorvorletztes Jahr, aber warum ihn so weit unten im Blog versauern lassen, wenn er doch heuer wieder so gut passt!

P.P.S.: Noch mehr Weihnachtsfunfacts gibt es auf Twitter!

Merry X-Mas und frohe Y-Nachten 2018

weihnukka-kippa

Am vergangenen Sonntag haben die Christen in Deutschland ihre erste Adventskerze gezündet und wir unsere erste Chanukkah-Kerze. Wenn wir schon lange fertig sind, die achte Kerze abgebrannt ist und die Channukkiah wieder im Regal verstaut ist, zünden die Christen noch die dritte und vierte Kerze auf ihrem Adventskranz. Und dann ist endlich Weihnachten.

Ich wünsche daher schon jetzt allen, die es feiern, von ganzem Herzen: Frohe Weihnachten!

Diese Wünsche sind in vielen Fällen bitter nötig. Vor allem die Christlichen Gemeinden im Nahen Osten sind so sehr bedroht wie schon lange nicht mehr. Aber auch im ganz privaten Umfeld ist das Fest der Liebe oft auch ein Fest der Hiebe. Ich selbst bin wahrscheinlich ausschließlich deshalb Jude geworden, damit mir dieses Fest erspart bleibt.

Mein Freund Matthias antwortete mal auf die Frage, wie er und seine Familie denn Weihnachten feiern werden: Wir essen viel, streiten uns und schenken uns Dinge, von denen wir in spätestens zwei Wochen wissen, dass wir sie nie gebraucht haben. Also, so oder so ähnlich hat er es gesagt.

Und so ähnlich habe ich auch Weihnachten in meiner Kindheit in Erinnerung. Streit und Essen gab es quasi immer. Geschenke auch, um die es dann auch oft noch mehr Streit gab. Der Baum war hübsch, das Essen gut, immerhin.

Der Name des Festes ist interessant. Hier eine Tabelle in verschiedenen Sprachen:

Sprache Wort Bedeutung
Englisch
Christmas
Christus (Messias) Fest
Französisch Noël Geburtsfest
Spanisch Navidad Geburtsfest
Hebräisch (Chag HaMoled) חג המולד Geburtsfest
Italienisch Natale Geburtsfest
Dänisch Jul Germanischer Kalendermonat Dezember
Holländisch Kerstmis Christus (Messias) Fest
Deutsch Weihnachten Chanukkah

Die meisten Sprachen nennen das Weihnachtsfest nach dem, was der Überlieferung nach passiert ist: Der Messias (Christ) wurde geboren. Schließlich feiert man seinen Geburtstag (und acht Tage später, nach guter jüdischer Tradition, seine Beschneidung am 1. Januar). Die Dänen stechen heraus, da sie den Festnamen am Kalender fest machen. Und die Deutschen? Die nennen ihr Lichterfest im Winter einfach Chanukkah!

Das hebräische Wort Chanukkah bedeutet Weihe. Es geht dabei um die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem nach der Entweihung durch die Griechen. Zur Weihung braucht man Olivenöl für den Leuchter und davon war nur noch wenig da, aber wie durch ein Wunder, gerade genug für acht Tage. So lange hat es gedauert, neues Öl zu besorgen.

Warum ich das erzähle? Damit deutlich wird, dass nicht nur der Name fast gleich ist, auch die Bräuche ähneln sich stark:

  • Datum: Beides wird am 25. des Monats gefeiert, der im jeweiligen Kalender üblicherweise in die Wintersonnenwende fällt. Also 25. Dezember oder 25. Kislev.
  • Abends: In den meisten Ländern wird am 25. tagsüber beschert. In Deutschland aber am 24. Abends. Jüdische Tage und damit auch Feiertage wie Chanukkah beginnen abends.
  • Kerzen 1: Die Chanukkah-Kerzen müssen ins Fenster gestellt werden, da ihr Zweck die öffentliche Verkündung des Chanukkah-Wunders ist. In Deutschen Haushalten werden zu Weihnachten die Fenster traditionell mit Kerzenständern und anderen Lichtern geschmückt.
  • Kerzen 2: Jeden Tag während des acht Tage andauernden Chanukkahfestes zündet man eine zusätzliche Kerze. Im Advent zündet man jeden Adventssonntag eine weitere Kerze.
  • Adventskalender: Auch hier werden die Tage gezählt, genau wie bei den acht Chanukkah-Kerzen.
  • Geschenke: An Chanukkah bekommen die Kinder Geschenke oder einfach Chanukkah Gelt (mit t, weil es jiddisch ist) und man isst Karotten in Scheiben, die an Geldstücke erinnern sollen.
  • Familie: An Chanukkah feiert man mit der ganzen Familie. Jeder bekommt seinen eigenen Leuchter. Weihnachten ist ein Familienfest.
  • Glühwein: Zugegeben, eher eine zufällige Parallele. Juden trinken eigentlich zu jedem Anlass Wein.
  • Weihnachtsmann: Also, wenn Du mich fragst, sieht der aus wie ein Rabbi, dessen Klamotten rot gefärbt sind. Und daran ist ja nur Coca Cola (koscher) schuld (ich weiß, stimmt nicht). Und Bommelmützen tragen die Anhänger von Rabbi Nachman auch.
  • Messias: Das ist vielleicht ein wenig weit hergeholt. Aber hey, warum nicht, es geht schließlich um Religion, da ist argumentativ meist kein Weg zu weit. Chanukkah feiert das Olivenölwunder und das hebräische Wort Moschiach (Messias) bedeutet: Der Gesalbte. Die Salbung erfolgt mit Olivenöl.
  • Essen: Immer im Januar sind Frauen- und Männerzeitungen voll mit Diättipps. Im Rest des Jahres zwar auch, aber im Januar geht es im Besonderen darum, den sog. Weihnachtsspeck wieder los zu werden. An Chanukkah essen wir lauter in Öl gebratene oder gebackene Dinge: Kartoffelpuffer, Pfannkuchen, gebratene Karottenscheiben (s.o.) und vieles mehr. Das Öl setzt sich dann im Körper gerne als Hüftgold ab.

Wie eng und vor allem, wie viel enger als andere Völker die Deutschen und die Juden bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts zusammengelebt haben, erahnt man, wenn man sich diese Parallelen ansieht. Nicht umsonst ist das alte hebräische Wort für Deutschland „Medinat Aschkenas“. Aschkenasen sind die nord- und osteuropäischen Juden.

Ich wünsche allen, die dieses Fest feiern, dass es besinnliche Tage werden, mit schönem Baum, sinnvollen Geschenken, wenig Streit und gutem Essen!

P.S.: Zugegeben, dieser Text erschien fast wortgleich bereits letztes, vorletztes und vorvorletztes Jahr, aber warum ihn so weit unten im Blog versauern lassen, wenn er doch heuer wieder so gut passt!

P.P.S.: Noch mehr Weihnachtsfunfacts gibt es auf Twitter!

Tu BiSchwat – Öko in der Torah

tubishvat
Ist der Mensch ein Baum im Feld?

Heute ist Tu Bi’Schwat, das Neujahr der Bäume. Es ist ein kleinerer Feiertag, der im Kalender leicht unbemerkt an einem vorbeigeht. Es gibt keine besonderen Gebete, man isst wenn möglich ein Paar Baumfrüchte, vorzugsweise Trockenfrüchte und Nüsse, auch Trauben, Datteln, Feigen, Oliven und Granatäpfel, die die Torah als Früchte des Landes Israel preist und das war es schon.

Der Kabbalist Arizal hat zwar einen „Seder„, also eine an Pessach angelehnte Festmahlzeit entworfen, bei der man auch vier Gläser Wein trinkt, aber das ist keine weit verbreitete Tradition. Ich trinke nicht mal gerne Wein, daher warte ich mit exzessivem Alkoholgenuss lieber auf Purim. Da kann man auch Bier trinken.
Der Feiertag ist in Israel für die Beurteilung, wie alt ein Baum ist, wichtig. Früchte darf man nämlich erst nach drei Jahren von einem jungen Baum ernten. Daher ist das Neujahr der Bäume so was wie ein gemeinsamer Geburtstag für unsere hölzernen Freunde.

Man sieht, Bäume bekommen in der Torah eigene Rechte. Fast wie Tiere und Menschen. Es ist etwa verboten, einen Fruchtbaum zu fällen, nur weil einem in einem Krieg im Weg ist.

Die Halacha, das jüdische Gesetzt interpretiert aus diesem Gebot das Verbot der Verschwendung und sinnlosen Zerstörung von Gegenständen, Häusern, der Natur und der Umwelt. Die Torah ist also voll öko, wie man auf Neudeutsch sagt! Die entsprechenden Gesetze findet man im Deuteronomium, dem 5. Buch Mose, Verse 20:19-20.

Und dort mittendrin steht der merkwürdige Satz „Ki Ha’adam Etz HaSsadeh“. Wörtlich übersetzt bedeutet das „Weil der Mensch ein Baum im Feld (ist)“. Ich selbst fühle mich nicht wirklich wie ein Baum. Ich habe nicht nur ein Bein und das ist auch nicht am Boden fest gewachsen. Die wörtliche Bedeutung bringt uns also nicht weiter.

Die Kommentatoren der Torah haben diesem Satz über die Jahrhunderte große Aufmerksamkeit geschenkt. Ist er nicht doch eine Frage und keine Aussage? Sind die Baumfrüchte des Menschen seine Kinder oder seine Gedanken und Wissen? Wenn man nur Fruchtbäume nicht fällen darf, muss man sich einen neuen Lehrer suchen, also den alten fällen, wenn er keine Wissenfrüchte mehr trägt, von denen man lernen kann? Oder sind die Wurzeln sein Intellekt und die Baumkrone sein Kopf, der zum Himmel gewandt ist?

Tu Bi’Shvat ist also nicht nur ein Neujahr der Bäume, es ist auch für uns mal wieder ein Anstoss, sich mit uns selbst und unserer Umwelt zu befassen. Ist der Mensch ein Baum im Feld? Bin ich verwurzelt in meinem Intellekt, meinem Glauben, meinem Umfeld und in dieser Welt oder schwankt mein Kopf im Wind herum und ein kleiner Sturm wird mich entwurzeln?

Der Israelische Dichter Natan Zach hat kurz nach dem Holocaust den Satz „Ki Ha’adam Etz HaSsadeh“ in ein wunderschönes, trauriges Lied verdichtet. Ich habe versucht, es nachzudichten:

Ist der Mensch ein Baum im Feld?
Natan Zach – Deutsch: Eliyah Havemann

Ist der Mensch ein Baum im Feld?
Genau wie ein Mensch, blüht auf der Baum
Genau wie der Baum, wird der Mensch gefällt
Und ich, ich weiss nicht
wo war ich und wo will ich noch hin
wie ein Baum im Feld

Ist der Mensch ein Baum im Feld?
Er wirft die Arme wie ein Baum gen Himmel
Und er verkohlt wie er im Brand
Und ich, ich weiss nicht
wo war ich und wo will ich noch hin
wie ein Baum im Feld

Ist der Mensch ein Baum im Feld?
Unstillbar ist sein Durst nach Wasser
Nach Leben in unserer vertrockneten Welt
Und ich, ich weiss nicht
wo war ich und wo will ich noch hin
wie ein Baum im Feld

Ich liebte und ich hasste
Ich habe so vieles probiert
Doch sie verscharrten mich in der Erde
und es schmeckt so bitter und ich werde
wie ein Baum im Feld
wie ein Baum im Feld

Anmerkung: Dieser Text erschien fast wortgleich schon mal hier im Blog.

Vier mal missverstanden: Juden und Muslime

Mein Freund und Rabbiner Shlomo Bistritzky aus Hamburg ist, wie soll es anders sein, ein orthodoxer Jude. Er gehört der chassidischen Bewegung Chabad an und als solcher gibt er Frauen nicht die Hand. Genausowenig wie seine Frau Chani Männern die Hand gibt. Eine Berührung durch einen Arzt oder eine Ärztin hingegen etwa, ist kein Problem.

Bisher war das, bis auf ganz wenige peinliche Situationen, gut handlebar. Doch seit die Muslime in Deutschland so viel Gegenwind auch aus der Politik bekommen, wird es für die beiden schwieriger. Einer Frau nicht die Hand zu geben ist eine rote Linie, die man Muslimen gibt, die zwischen „moderat“ und „islamistisch“ unterscheiden helfen soll. Der Landesrabbiner aus Hamburg und seine Frau sind dabei ein Kollateralschaden.

Es gibt noch mehr, was wir Juden mit den Muslimen gemein haben, das vielen Europäern nicht schmeckt, egal ob links, rechts, oben oder unten. Das sind: Beschneidung, Schächten und Verhüllung von Frauen. Marine LePen in Frankreich etwa hat angekündigt, alle „unfranzösischen“ religiösen Praktiken und Symbole zu verbieten. Sie will damit die Muslime treffen und demütigen und die Juden gleich mit.

Und auf den ersten Blick nehmen sich Juden und Muslime nichts bei diesen Praktiken. Aber nur auf den ersten Blick.

1. Beschneidung

Die männliche Beschneidung wurde unserem Vorvater Abraham von G’tt geboten und sowohl Muslime als auch Juden halten sich an dieses Gebot. Kritiker werfen uns vor, dass wir unsere Kinder verstümmeln. Das stimmt zwar für die weibliche Beschneidung, die in manchen Kulturen, davon viele muslimisch geprägt, grausame Praxis ist, aber nicht für die männliche. Das wird jeder Arzt bestätigen, der mal eine Phimose durch Beschneidung behandelt hat.

Die Kritiker werfen uns auch vor, dass wir ein Trauma bei unseren Söhnen verursachen, von dem sie sich nie wieder erholen. Meine eigene Beschneidung war im Alter von 34 Jahren und war durchaus ein einschneidendes Erlebnis, das ich mir selbst auferlegt habe. Ich beschrieb es ausführlich in meinem Buch. Daher kann ich dieses Argument nicht einfach von der Hand weisen.

Meine beiden Söhne wurden, wie bei uns Juden üblich, am achten Tag nach ihrer Geburt beschnitten. Das Schmerzempfinden von Säuglingen ist komplett anders als das von Erwachsenen. So haben Säuglinge noch keine Vorstellung von ihrem eigenen Körper und können daher Schmerzen nicht lokalisieren. Ob nun der Fuss, die Brust oder der Penis verletzt wird, macht für sie keinen Unterschied. Die aktive Erinnerung beginnt erst ab einem Alter von frühestens drei Jahren. Auch verheilt die Beschneidung im Babyalter innerhalb von drei Tagen und hinterlässt keine sichtbare Narbe. Bei Erwachsenen dauert der Heilungsprozess sechs Wochen und der Schnitt muss genäht werden.

Muslime beschneiden ihre Kinder meist im Alter von acht Jahren. Schmerzempfinden, Lokalisierung, Erinnerung, alles das ist da bereits voll vorhanden. Das ist ein riesen Unterschied.

Auch wenn die Beschneidung egal in welcher Kultur auch bei einer gesunden Vorhaut medizinisch immer sinnvoll ist.

2. Schächten

Das Schächten unterscheidet sich vom regulären Schlachten hauptsächlich darin, dass das Tier nicht betäubt wird, bevor ihm die Halsschlagader durchtrennt wird. Das Tier durchlebt seinen Tod.

Der Tod durch Verbluten gilt als einer der angenehmsten überhaupt: Die Funktion der Organe wird langsam heruntergefahren, es gibt keine Atemnot, keinen zusätzlichen Schmerz ausser der, den die Wunde verursacht.

Doch: Beim Schächten wehrt sich das Tier. Das verursacht Stress beim Schächter und beim Tier. Daher ist es wichtig, diesen Vorgang so entspannt wie möglich zu gestalten.

Die Regeln für koscheres Schächten sehen vor, dass das Tier unverletzt sein muss. Auch muss das Messer rasiermesserscharf sein und darf keine unter der Lupe sichtbaren Scharten haben. So wird ein sauberer und schmerzarmer Schnitt gewährleistet.

Diese Regeln gibt es bei den Muslimen nicht. Das Messer kann schartig sein und so den Hals eher zerfetzen als zu zerschneiden und ich habe in Videos gesehen, wie den Tieren die Beine gebrochen werden, damit sie nicht flüchten und sich wehren können.

Das industrielle Schlachten in Deutschen Fabriken ist übrigens auch keine tierfreundliche Sache. Die Betäubung erfolgt maschinell und oft mittels Elektroschock und funktioniert nicht immer zuverlässig. Und genau wie beim Schächten ist das Tier am Ende tot.

3. Verhüllen

Warum verhüllen sich Frauen? Doch nur, weil Männer ihren Hormonhaushalt nicht unter Kontrolle haben. Ich empfehle dazu einen Artikel meiner Frau über das Burkiniverbot. Aber ein paar Unterschiede gibt es, auf die ich hinweisen will:

Im Judentum wird nie das Gesicht verhüllt, die Frau bleibt ein eigener Mensch mit eigenem Antlitz. Und die Haare bedecken ausschliesslich verheiratete Frauen und keine 12jährigen Mädchen. Die Hormonschwingungen von Männern beim Anblick von unverheirateten Frauen und Mädchen sind bei unseren Männern offenbar kein wirkliches Problem.

4. Hand geben

Es gibt ein Konzept im Judentum, das heisst „Schomer negia„, also die „Wahrung der Berührung“, doch nicht mal alle orthodoxen Juden halten sich immer daran. Es ist ein nachranginges Gebot und viele bewerten die Höflichkeit, eine angebotene Hand anzunehmen als wichtiger und höher als das Verbot, das andere Geschlecht zu berühren. Das Verbot gilt auch beiderseits: Weder darf ein Mann eine fremde Frau, noch eine Frau einen fremden Mann berühren.

Das muslimische Verbot wiederum wirkt auf mich frauenfeindlich und es geht dabei meines Erachtens nicht um die Wahrung der Berührung für den jeweiligen Partner als etwas intimes, besonderes, persönliches, sondern dient der Ausgrenzung der Frau.

Fazit

Bei allen vier Parallelen kann ich mich irren, vor allem, was die muslimische Sicht auf diese Praktiken ist. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Dennoch halte ich die Differenzierung für wichtig. Ich will als orthodoxer Jude nicht mit einem Salafisten in eine Schublade gesteckt werden und mich mit den selben roten Linien herumärgern müssen.

Ich, ein Flüchtlingsmädchen

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ich, als Kind in der Ukraine. Bin hier etwa 7-8 Jahre alt

 Eingang zum umfunktionierten, ehemaligen Bordell befindet sich neben einer Kiezkneipe mit provokantem Bild am Eingang.

Hamburg, Reeperbahn, das wohl bekannteste Rotlichtmilieu nach Amsterdam. Dort wohnt ein Flüchtlingsmädchen in einem Flüchtlingsheim. Sie und ihre Mutter teilen sich ein winziges Zimmer, in dem zwei Betten, ein kleiner Schrank und ein Tisch stehen. Wenn das Mädchen dort ihre Deutschhausaufgaben macht, starrt sie auf die belebte Straße, wo auf der gegenüberliegenden Seite vom Heim jeden Abend die Prostituierten aufgereiht auf ihre Freier warten. Auch ihre Großmutter und Urgroßmutter wohnen zusammen in so einem kleinen Zimmer.

Flüchtlinge aus den unterschiedlichsten Ländern wohnen hier. Die meisten sind jüdische Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion, die anderen sind Araber und Afrikaner. Jeden Tag nach der Schule hilft das Mädchen ihrer Urgroßmutter in der Gemeinschaftsküche. Dort gibt es nur wenige Kochfelder, dafür aber jede Menge Ratten und Ungeziefer. Auch im Zimmer laufen dutzende Kakerlaken an der Wand entlang. Ihre Mutter lässt nachts sogar das Licht an und sitzt am Bett des kleinen Mädchens Wache, damit keine zu ihr ins Bett kommen.
Der Eingang zum umfunktionierten, ehemaligen Bordell befindet sich neben einer Kiezkneipe mit provokantem Bild am Eingang. Als ein Junge aus dem Bekanntenkreis ihrer Eltern sie mal ins Kino einlädt, wartet sie auf ihn vor dem Eingang in ihr Wohnheim. Alle paar Minuten laufen Männer in ihren 50ern und älter an ihr vorbei in die Kneipe. Begreift das kleine Mädchen, was um sie herum passiert auf der Reeperbahn? Kaum. Sie ist elf Jahre alt. Vor einem halben Jahr kam sie nach Deutschland. Vor wenigen Wochen erst nach Hamburg.
Ein Mann bleibt neben ihr stehen, greift in die Tasche und streckt ihr einen 20 D-Mark Schein hin. Reflexartig will sie danach greifen, aber irgendetwas hält sie instinktiv davon ab. Sie kann kein Deutsch, versteht nicht, was der Mann sagt und steht mehrere Sekunden nur da und starrt ihn ratlos an. Plötzlich begreift sie, was dieser Mann im Alter ihres Opas von ihr will. Sie schüttelt schnell den Kopf und sagt „nein“. Der Mann ist hartnäckig und fragt: „nein?“ Sie bestätigt: „nein“ und geht schnell zurück ins Wohnheim.

 

Und so schlimm es auch manchmal war, meine Mutter, meine inzwischen verstorbenen Großmütter und ich waren und sind immer dankbar dafür, dass wir kommen konnten.

Wer war dieses Mädchen? War das wirklich ich? Wenn ich mich heute an die Geschichten zurückerinnere, die ich als Kind und Teenager während meiner Integration in Deutschland erlebt habe, kommt es mir oft vor, als wäre das irgendeine andere Person, ein anderes Flüchtlingsmädchen. Und so schlimm es auch manchmal war, meine Mutter, meine inzwischen verstorbenen Großmütter und ich waren und sind immer dankbar dafür, dass wir kommen konnten.

…wo es nicht mal Deutschunterricht für uns Flüchtlingskinder gab und es auch keinen Lehrer interessierte, dass ich nichts im Schulunterricht verstand oder dass mich die Mitschüler deswegen auslachten.

Im Jahr 1990 geschah das politische Wunder, auf das meine Familie seit mehreren Generationen gewartet hatte: Der Zusammenbruch der Sowjetunion. Während der gesamten Sowjetzeit wurden Juden unterdrückt, diskriminiert, gar verfolgt, weggesperrt und ermordet . Sie durften in vielen Jobs nicht arbeiten, und wenn man irgendwo Arbeit gefunden hatte, konnte man nicht aufsteigen. Die Ausübung der Religion war strengstens verboten und jüdische Vornamen wurden größtenteils in russische geändert.
Man wollte uns unserer Identität berauben. So erklärt sich, dass etwa die Hälfte der sowjetischen Juden auswanderte, sobald der Eiserne Vorhang sich öffnete. Die meisten von ihnen gingen nach Israel, einige in die USA oder nach Deutschland, das 1991 trotz massiven Protesten in der Bevölkerung anfing, Juden als Kontingentflüchtlinge aufzunehmen. Meine Familie entschied sich im Herbst 1995, einen Antrag für die Aufnahme als Flüchtlinge in Deutschland zu stellen. Im September 1996 war es endlich soweit. Wir stiegen in einen Bus und fuhren über 24 lange Stunden nach Deutschland.
Wollte meine Familie weg? Nicht wirklich. Es ist eine unglaubliche psychologische Hürde, zu fliehen, vor allem wenn du nicht weißt, was dich am Ziel erwartet.
Mich erwartete ein halbes Jahr in einer Kleinstadt in Hessen, wo es nicht mal Deutschunterricht für uns Flüchtlingskinder gab und es auch keinen Lehrer interessierte, dass ich nichts im Schulunterricht verstand oder dass mich die Mitschüler deswegen auslachten.

 

Daher schockierte es mich umso mehr, dass mich meine Mitschüler täglich als Ausländerin, aber eben auch als Jüdin fertig machten.
Sie hänselten mich nicht nur für mein noch nicht perfektes Deutsch. Es kam vor, dass ich in der Pause mit Brotstücken beworfen wurde.

Wir zogen weiter nach Hamburg und dort kam ich endlich in eine Sprachklasse, die ich als Beste von allen meinen Mitschülern abschloss und daher als Eine der Wenigen eine Empfehlung für das Gymnasium bekam. Die einzige Schule, die im neuen Schuljahr für mich Platz hatte, war zugleich das einzige katholische Gymnasium in Hamburg in einer sehr guten Gegend. Ich war überglücklich. Endlich konnte ich lernen, um irgendwann meinen Traum zu erfüllen. Ich wollte studieren, genau wie meine ganze Familie. Am meisten interessierte mich das Fach Geschichte.
Bevor mein erstes Schuljahr in der neuen katholischen Schule los ging, bot mir die Schulleitung an, mich von der Teilnahme am Morgengebet zu befreien, falls ich es nicht möchte. Das fand ich sehr anständig. Ich hatte meine ersten vier Schuljahre in einer jüdischen Schule im Ukrainischen Dnipropetrowsk verbracht, an der uns nach und nach unsere jüdischen Traditionen und unsere Identität wieder gegeben wurde. Und diese Identität war mir unglaublich wichtig, denn meine Generation war die erste, die frei und mit Selbstbewusstsein jüdisch sein durfte. Daher schockierte es mich umso mehr, dass mich meine Mitschüler täglich als Ausländerin, aber eben auch als Jüdin fertig machten.
Sie hänselten mich nicht nur für mein noch nicht perfektes Deutsch. Es kam vor, dass ich in der Pause mit Brotstücken beworfen wurde. Mehrmals ging ich einfach schon mittags vor Schulschluss nach Hause und auf dem Weg zum Bus überkamen mich jedes Mal die Tränen. Ich war zwölf Jahre alt und verstand nicht, warum alle so gemein zu mir waren und warum ich den Lehrern, die mich völlig im Stich ließen, offenbar vollkommen egal war. Nicht nur das, manche Lehrer trugen zum Mobbing auch noch bei. Eine Deutschlehrerin machte mich so fertig, dass selbst meine Mitschüler schockiert waren.
Am Ende des ersten Halbjahres verlangte unsere Englischlehrerin, dass wir das „Vater Unser“ auf Englisch auswendig lernen. Das war wohl das erste Mal, dass ich offen rebellierte. Ich stand auf und sagte, dass ich das christliche Gebet nicht lernen werde. Ich verstand nicht, was es im Englischunterricht verloren hatte. Ich habe mich gewehrt, aber es hat mir nicht geholfen. Im Gegenteil, ich „wurde gegangen“ und musste zum zweiten Halbjahr die Schule wechseln.

 

Doch meine guten Sprachkenntnisse waren nicht genug, um akzeptiert zu werden. Es reichte auch nicht, dass ich aus der selben Bildungsschicht und einer ähnlichen Kultur stammte wie die meisten meiner Mitschüler…

Deutsch sprach ich zwar noch mit kleinen Fehlern, aber schon ohne hörbaren Akzent. Dafür übte ich so exzessiv, dass ich meine Stimmbänder überstrapazierte und beinahe hätte operiert werden müssen.
Doch meine guten Sprachkenntnisse waren nicht genug, um akzeptiert zu werden. Es reichte auch nicht, dass ich aus der selben Bildungsschicht und einer ähnlichen Kultur stammte wie die meisten meiner Mitschüler aus meinen nachfolgenden Schulen, an denen außer mir nur wenige Ausländerkinder waren. Ich blieb immer die Ausländerin, die Jüdin.
All die Jahre fehlte ich sehr oft in der Schule, weil ich das intensive Mobbing nicht ertrug und daraufhin viel krank war. Als es aufs Abitur zuging, fragte meine Schulleiterin im Gymnasium Eppendorf, ob ich mir sicher sei, dass ich mit meinen schlechten Leistungen tatsächlich studieren möchte. Das war unglaublich verletzend für mich, doch ich schwieg. Noch heute macht es mich traurig und wütend, wie eine Schulleiterin, die sich Pädagogin nennt, nicht die wahren Gründe meines Misserfolgs erkennen konnte. In einer anderen Schule beendete ich dann mein Abitur.
Die meisten der russischsprachigen Kinder von Flüchtlingen oder Aussiedlern lernten in Schulen mit einem sehr hohen Ausländeranteil und ihr Freundeskreis bestand hauptsächlich aus ebenso russischsprachigen Teenagern. Das wollte ich nicht, ich wollte mich integrieren, ich wollte ein Teil dieses Volkes, dieser Gesellschaft sein. Nach und nach hatte ich auch immer mehr deutsche Freunde und mit 15 Jahren hatte ich meinen ersten deutschen Freund. Ich wusste auch, dass ich irgendwann mal einen Deutschen heiraten möchte.

 

Nur mit sehr viel Mühe und Kraft habe ich es dennoch geschafft und Deutschland wurde mein Zuhause, meine Heimat.

Es war ein harter Start für mich in der neuen Heimat. Meine Integration in die Deutsche Gesellschaft war ein langer, schwieriger Prozess.
Auf jedem Schritt meines Weges bekam ich von meiner Umgebung Steine in den Weg gelegt. Nur mit sehr viel Mühe und Kraft habe ich es dennoch geschafft und Deutschland wurde mein Zuhause, meine Heimat. Heute frage ich mich mit Tränen in den Augen, warum nur haben es mir so viele Mitmenschen so schwer gemacht, anstatt mich zu unterstützen?
Als ich meinen deutschen Pass bekam, war ich 18 Jahre alt und unglaublich stolz. Noch stolzer war ich, als der Beamte in der Ausländerbehörde mit dem Blick auf mein Jahreszeugnis aus dem Gymnasium sagte, ich bräuchte natürlich keinen Deutschtest machen.
Ich habe studiert und lebe heute mit meinem Mann und unseren beiden Söhnen in Israel. Ich habe Deutschland also wieder den Rücken gekehrt. Doch meine Verbindung zu Deutschland ist und bleibt stark. Ich gründete beispielsweise eine Organisation, die sich für Deutsch-Israelische Beziehungen und Frauenrechte einsetzt.
Es ist immer ein dünner Grad zwischen Integration und Assimilation. Ich wollte mich nicht assimilieren, damit hätte ich meine Identität aufgegeben. Ich wollte mich dennoch integrieren und habe trotze großer Widerstände von allen Seiten dafür gekämpft.
Zurzeit gibt es eine neue, große Flüchtlingswelle nach Deutschland und ich hoffe sehr, dass man es den Flüchtlingskindern nicht so schwer macht. Integration muss im Alltag funktionieren, nicht am Bahnhof durch Plakate und nicht durch politische Reden.

Deutsch-Holländische Eulen in Akko

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Freie Stelle als Grafiker zu besetzen!

Eulen nach Athen tragen! An dieses Sprichwort musste ich denken, als ich einem Mann begegnete, der zufällig neben mir im Flieger sass.owl

Die Eulen, die der Spruch meint, sind gar keine Tiere, sondern Münzen mit einem geprägten Vogel. Daher passt es sogar doppelt. Aber von vorne:

Ich sitze also im Flugzeug von Tel Aviv nach Zürich und neben mir sitzt ein etwas rundlicher Mann mit hohem Haaransatz, nur wenig älter als ich. An seinem Hals baumelt ein Goldkettchen mit Kreuz. Erst gegen Ende des Fluges kommen wir kurz ins Gespräch. Ich fragte ihn, was er in Israel gemacht hat, einfach um des Smalltalks willen.

Er sagte, er hätte eine Begegnung von Juden, Muslimen und Christen in einem Örtchen nördlich von Akko organisiert. Das Treffen wäre von Deutschland und Holland finanziert.

Kaum hatte er seinen Satz zuende gesprochen, musste ich laut loslachen (ja, im Flieger). Deutsch-Holländisches Geld dafür, dass sich Juden, Araber und Christen treffen? Ausgerechnet in Israel? Dem einzigen Land, das allen drei Religionen heilig ist? In dem alle drei Konfessionen wie selbstverständlich nebeneinander und miteinander leben? Das ist doch zum Schieflachen! Das Programm gäbe es doch schon viele, viele Jahre, entschuldigt sich der nette Mann peinlich berührt.

Die Eulen, die er aus Deutschem und Holländischem Geldsäckel mitgebracht hat, freuen die israelische Tourismusindustrie bestimmt. Daher will ich mich gar nicht beschweren. Und der Mann hat bezahlten Urlaub gemacht in einem der schönsten Mittelmeerländer mit Temperaturen im März, die dieses Jahr teilweise bis 30° C reichten. Win-Win, sagt man dazu.

Dennoch, das Geld wäre in Deutschland wohl besser angelegt. Wann immer ich einem Fremden in Deutschland sage, dass ich aus Israel stamme, sei es ein Taxifahrer oder ein Barmann im Café oder ein Passant auf der Strasse, entwickeln sich sofort interessante, manchmal auch peinliche Gespräche. „Ihr seid doch alle reich“, mutmasste letzte Woche etwa ein gemütlicher Biodeutscher in Düsseldorf, der sein Taxi zum Ziel meiner Wahl führte. Es gibt offenbar einen großen Begegnungs- und Gesprächsbedarf zwischen diesen Gruppen in Deutschland.

Aber nein, investiert wird lieber in Israel. Denn den Nahostkonflikt zu lösen oder zumindest dabei geholfen zu haben, ist den Deutschen ein Herzensangelegenheit. Sie können so das eigene geschichtliche Verbrechen wiedergutmachen, ja mit etwas Glück gar vergessen machen, wenn sie dem Israeli erklären, was Dialog der Kulturen ist und wie er funktioniert. Selber machen ist ja viel zu anstrengend, wenn auch heute nötiger denn je!

Nur was die Holländer geritten hat, so einen Quatsch zu finanzieren, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.