IsraElex19 – die kleinen Parteien werden die Wahl entscheiden

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Schon von Anfang an war klar, dass der Wahlkampf in Israel dieses Jahr ein ganz besonderer wird. Es gab den Geheimfavoriten Benny Gantz, der bevor er auch nur ein Wort sagte, bei den Umfragen 15 Knessetsitze erreichte. Erst Wochen später wusste man überhaupt, wer diese Sitze außer ihm besetzen würde. Es sah nach einem Rennen zwischen Netanyahu und Gantz aus. Als ehemaliger Militärchef und als durchaus charismatischer und charmanter Mann, hatte Gantz sofort das Vertrauen großer Teile der israelischen Bevölkerung. Damit hat er aber hauptsächlich den in den Umfragen bisher zweitplatzierten Yair Lapid unter Druck gesetzt. Am Ende waren beide gezwungen, sich zusammen zutun, um gegen Netanyahu eine Chance zu haben.

 

Bei den Wahlumfragen der letzen Woche lag die Liste Blue&White von Gantz und Lapid bei 36 und der Likud von Netanyahu bei 30 Sitzen.

Doch der politische Stratege Netanyahu hat schon am Anfang des Wahlkampfes im Januar vermutet, dass sich die Parteien im Zentrum auf irgendeine Art und Weise zusammenschließen werden und er womöglich die Wahl verliert. Er befürchtete, dass ein Paar rechte Parteien, die ihn womöglich in eine Koalition retten können, unter der Sperrklausel von
3,25% fallen könnten und somit den Einzug in die Knesset verpassen würden. Er sorgte daher dafür, dass drei rechte Parteien eine gemeinsame Liste gründen: Die sehr umstrittene Liste besteht aus Bayit Yehudi, National Union und Otzma Yehudit. Seine Rechnung ist aufgegangen. Im Schnitt erreichen sie sieben Sitze in den Umfragen.

Meistens kämpften in Knesset Wahlkämpfen zwei größere Parteien um den Sieg. In diesem Jahr aber sind die kleinen Parteien im Fokus. Außer den drei rechten Parteien, die sich zusammengetan haben, können noch einige andere wahlentscheidend sein. Kulanu, die Partei von Moshe Kahlon schafft es nach den meisten Umfragen noch gerade so über die 3,25%-Hürde. Interessant ist, dass er beim letzten Wahlkampf 2015 als Zentrumspartei gestartet ist und jetzt mit dem Slogan „die vernünftige Rechte“ Werbung für sich macht.

Viel schlechter sieht es im Moment um Liberman’s Israel Beytenu aus. Sie scheinen unter der Sperrklausel zu fallen. Dabei hat Netanyahu sogar versucht, Liberman’s Werte aufzubessern, in dem er erklärte, dass der Likud keinen Wahlkampf auf Russisch machen wird. Liberman’s Erfolg war schon immer mit den Stimmen aus der russischsprachigen Community verbunden. Diese ist tatsächlich in den letzten fünf Jahren stark gewachsen, weil es eine neue große Welle von Neueinwanderern aus Russland und der Ukraine gab. Die meisten von ihnen sind allerdings Junge Familien mit einem sehr europäischen Weltbild und politisch eher liberal. Die wenigsten von ihnen werden wahrscheinlich Liberman und seine Partei wählen.

Die arabische Union-Balad liegt in den Umfragen mal knapp über der Sperrklausel, mal knapp drunter. Ähnlich knapp sehen die Umfragen Gesher, die auch als Geheimfavorit am Anfang des Wahlkampfes galt. Zehut wiederum erreicht in den Umfragen stabile fünf Sitze. Sie waren diejenigen, die das Thema Legalisierung von Marihuana diese Woche in die Diskussion eingebracht haben. 

Die ultra-orthodoxe Shas Partei und die linke Meretz stehen auf der Kippe, wobei sie in den meisten Umfragen gerade so über die 3,25% kommen.

Schon am Anfang des Wahlkampfes habe ich in politischen Gesprächen davor gewarnt, zu euphorisch wegen Blue&White zu werden. Auch falls sie die Wahl prozentual gewinnen, werden sie nach dem jetzigen Stand keine Mitte-Links-Koalition bilden können, außer Bibi hat mit seiner Polemik Recht und die Liste von Gantz und Lapid wird versuchen eine Koalition mit den arabischen Parteien einzugehen. Likud’s Slogan im Moment ist „Bibi or Tibi“. Tibi ist einer der Vorsitzenden der arabischen Parteien. Die meisten dieser Parteien sind extrem Anti-Zionistisch und somit trifft Bibi den Angstnerv der Bevölkerung.

Umfragen in der letzten Woche haben ergeben, dass 75% der Befragten sich von einer möglichen Anklage von Netanyahu nicht in ihrer Wahl beirren lassen. Nur 12% sagen, dass die Entscheidung des Generalstaatsanwaltes ihre Wahl beeinflusst und 13% der Befragten haben mit „weiss ich nicht“ geantwortet.

Ich sehe drei Optionen für den Ausgang dieser Wahl:

1.  Zum einen könnte Blue&White die Wahl gewinnen und ein Koalition bilden. Dafür müssten sie aber entweder mit den linken und arabischen Parteien koalieren oder mit den linken und einigen rechten. Beides ist unwahrscheinlich und würde weder eine stabile Regierung bringen, noch strategisch gut für Blue&White sein. 

2. Blue&White gewinnt die Wahl und Netanyahu tritt zu irgendeinem Zeitpunkt davor zurück und der Likud erklärt sich bereit,eine Koalition mit Blue&White zu bilden. Das halte ich im Moment für noch unwahrscheinlicher.

3. Blue&White gewinnt, bekommt jedoch keine Koalition zustande. Dann wird der Auftrag zur Regierungsbildung an Netanyahu übergeben und er bildet eine weitere rechte Koalition. Das halte ich aktuell für am wahrscheinlichsten. Unter anderem, weil die meisten Umfragen zeigen, dass das rechte Lager zwar  nur eine knappe, aber doch eine Mehrheit hat.

Allerspätestens am 9. April werden wir wissen, welche der kleinen Parteien die Wahl entschieden haben!

Kommunalwahlen in Israel, deutsche Journalisten und die Neueinwanderer Partei

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Das neue jüdische Jahr hat im September begonnen. In diesem Jahr 5779 stehen Israel zwei wichtige Wahlen bevor: Die Kommunalwahlen, wo am 30. Oktober in den Kommunen die Bürgermeister und der Stadtrat gewählt werden und die Parlamentswahlen für die Knesset, voraussichtlich Anfang 2019.

Bei den Kommunalwahlen sind sowohl Parteien vertreten als auch unabhängige Kandidaten und Listen, die keiner politischen Partei zugehörig sind. Anders als bei den Parlamentswahlen, hat man bei den Kommunalwahlen zwei Stimmen, eine für den Direktkandidaten als Bürgermeister und eine Stimme für eine Liste für den Stadtrat. Außerdem können bei den Kommunalwahlen nicht nur israelische Staatsbürger wählen und gewählt werden sondern auch sogenannte „permanent residents“, also Anwohner mit ständigem Wohnsitz.

Es ist das erste Mal, dass ich mich aktiv an beiden Wahlen beteiligen werde. Bei den Kommunalwahlen helfe ich der Liste meiner Partei Yesh Atid in unserer Stadt Ra’anana bei dem Bürgerdialog. Obwohl in unserer Stadt vieles sehr gut läuft, gibt es dennoch Luft nach oben. Zum Beispiel will die Liste meiner Partei die Stadt attraktiver für junge Menschen machen, eine eigene Polizeistation etablieren und einiges mehr. Bei den Parlamentswahlen wiederum werde ich das Social Media Team für Englische Inhalte von Yesh Atid leiten.

Ich kenne aber auch einige Kandidaten für den Stadtrat in Jerusalem und war enttäuscht zu lesen, dass die einzige Frau ihre Kandidatur zurückgezogen hat. Die Nachricht darüber sah ich zum ersten Mal auf Twitter bei der von mir geschätzten deutschen Journalistin Lissy Kaufmann. Sie Kommentierte:

„Gestern stieg der arabische Kandidat Aziz Abu Sarah aus dem Rennen um den Bürgermeisterposten in Jerusalem aus – jetzt die einzige Frau.“

Dieses Kommentar lässt den Schluss zu, dass man in Israel und im Besonderen in Jerusalem nicht zulässt, dass ein Palästinenser oder eine Frau Bürgermeisterkandidaten bleiben. Die Wahrheit ist aber, dass man in Israel die kosten der Kampagne komplett selbst tragen muss, wenn man nicht eine Mindestzahl an Stimmen geholt hat. Und so passiert es gerade in vielen Städten, dass sich Direktkandidaten zurückziehen, weil sie anhand der Umfragen sich keine großen Chancen ausmalen. Sie verbünden sich oft mit einem anderen Kandidaten und lassen sich und ihr Team auf dessen Liste setzen. So haben sie dennoch eine Chance auf einen Sitz im Stadtrat und können ihre politische Arbeit dort umsetzen. Im Fall der Rachel Azaria in Jerusalem war es wohl so, dass sie nach Umfragen keine Chance mehr für sich sah.

Der palästinensische Kandidat wiederum hat ein juristisches Problem. Er ist zwar Anwohner von Jerusalem ist aber keiner mit ständigem Wohnsitz, was für die Wahl zwingend notwendig ist. Es ist schade, dass beide nicht mehr kandidieren, aber die Suggestion im Tweet, dass sie zurückgetreten sind weil sie arabisch oder weiblich sind, ist nicht zutreffend.

Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie man mit Hilfe von Fakten Unwahrheiten transportieren kann. Und das passiert im Deutschen Journalismus leider viel zu oft.

Aber aus Tel Aviv erreichte mich eine gute Nachricht: Eine gute Freundin, zwei Bekannte von mir und noch ein paar weitere haben sich zu einer Partei zusammen geschlossen und kandidieren für den Stadtrat. Die Partei besteht ausschliesslich aus Neueinwanderern (Olim), etwa aus Deutschland, Russland, USA und anderen Ländern. Sie werden hoffentlich die Bedürfnisse von uns Neuankömmlingen mehr Gehör verschaffen. Denn die Probleme dieser Menschen liegen alle auf kommunaler Ebene.

Deswegen freut es mich, dass die Kommunalwahlen nicht von Parteipolitik der nationalen Parteien bestimmt sind und freie Kandidaten und Listen ihr Glück versuchen.

Frauen in die Politik!

Ẁas bedeutet es für eine Frau, Karriere zu machen? Vor allem in der Politik?

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Mit meiner Freundin Tanya beim Event

Zu diesem Thema gab es gestern eine Diskussionsveranstaltung mit der Knessetabgeordneten Ksenia Svetlova in Tel Aviv (auf Russisch). Sie gehört zwar einer anderen Partei an als ich, aber das Thema interessiert mich. Daher fuhr ich zu der Veranstaltung.

In dem Gespräch erzählte sie über ihren Weg in die Politik und insbesondere darüber, welche Steine ihr als Frau in den Weg gelegt wurden.

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Ksenia Svetlova

Bevor sie ihre politische Kariere im Jahr 2015 startete, war sie eine sehr erfolgreiche israelische Journalistin. Sie hat Arabisch studiert und arbeitete viele Jahre für den russisch-israelischen Sender „9tv„. Während ihrer Arbeit dort ist es ihr im Jahre 2002 gelungen, als einzige Israelische Journalistin ein Interview mit dem gerade ernannten Finanzminister der Palästinensischen Autonomiegebieten Salam Fayyad zu führen, obwohl er in den ersten Monaten seiner Arbeit allen Anfragen von Journalisten grundsätzlich abgelehnt hat. Er wurde als Hoffnung für den Frieden gehandelt, da er einen neuen Kurs gegenüber Israel wollte und gegen die Korruption in den PA gekämpft hat.

Sie hat über Monate tagtäglich sein Büro angerufen und auf Arabisch gefragt, ob sie für einen israelischen Sender ein Interview machen kann. Irgendwann war seine Sekretärin so genervt, dass sie ihr verriet, wo er sich am nächsten Tag mit einer europäischen Delegation aufhalten würde. Ksenia fuhr also mit einem Kameramann nach Ramallah, mitten während der zweiten Intifada und schaffte es so, ein Exklusivinterview zu führen.

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Event Selfie

Sie erzählte über noch viele andere Erfahrungen in Gaza und in der arabischen Welt als Journalistin. Vor allem erzählte sie, dass sie bei jedem Schritt ihrer Karriere unterschätzt und nicht ernst genommen wurde. Der Grund war, dass sie eine Frau war.

Sie berichtete auch, wie sie 2014 von Tzipi Livni gefragt wurde, ob sie für Tzipis Partei Hatnuah (als Teil der Zionistischen Union) bei der nächsten Knessetwahl kandidieren will. Die ganze Geschichte war sehr spannend aber was für mich am interessantesten war, waren die Geschichten aus dem Innenleben der Knesset. Die anfängliche Abneigung gegen sie von Seiten der Männer war sehr groß. Sie musste darum kämpfen, ihre Sprechzeit, die ihr in den Ausschüssen zustand, auch zu bekommen. Mühsam lernte sie, dass sie ohne die anderen zu unterbrechen, nie zu Wort kommen würde.

Es kamen viele interessante Fragen von den Gästen. Eine Frau fragte etwa, welche Gesetze leicht und welche schwer durch Abstimmungen zu bekommen sind. Schwierige Themen für Gesetze sind ihr zufolge Wirtschaftsthemen, die große Unternehmen direkt betreffen. Aber es gibt auch einfache Gesetze, die ohne lange Vorbereitung durchs Parlament gehen. Allerdings ist deren Nutzen oft zweifelhaft. So hat etwa der Likudabgeordnete Oren Hazan (der mit dem peinlichen Trumpselfie) im letzten Jahr ein Gesetz eingebracht, demzufolge Israel offiziell nur noch „Medinat Israel“ (der Staat Israel) genannt werden darf. Für so ein triviales Gesetz riskiert niemand eine Koalition, auch wenn es absolut sinnlos Kosten für Formularneudrucke und mehr nach sich zog. Als hätten wir sonst keine Probleme…

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Aussicht aus dem Veranstaltungsort von der „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ auf Rothschildt in Tel Aviv