Vier mal missverstanden: Juden und Muslime

Mein Freund und Rabbiner Shlomo Bistritzky aus Hamburg ist, wie soll es anders sein, ein orthodoxer Jude. Er gehört der chassidischen Bewegung Chabad an und als solcher gibt er Frauen nicht die Hand. Genausowenig wie seine Frau Chani Männern die Hand gibt. Eine Berührung durch einen Arzt oder eine Ärztin hingegen etwa, ist kein Problem.

Bisher war das, bis auf ganz wenige peinliche Situationen, gut handlebar. Doch seit die Muslime in Deutschland so viel Gegenwind auch aus der Politik bekommen, wird es für die beiden schwieriger. Einer Frau nicht die Hand zu geben ist eine rote Linie, die man Muslimen gibt, die zwischen „moderat“ und „islamistisch“ unterscheiden helfen soll. Der Landesrabbiner aus Hamburg und seine Frau sind dabei ein Kollateralschaden.

Es gibt noch mehr, was wir Juden mit den Muslimen gemein haben, das vielen Europäern nicht schmeckt, egal ob links, rechts, oben oder unten. Das sind: Beschneidung, Schächten und Verhüllung von Frauen. Marine LePen in Frankreich etwa hat angekündigt, alle „unfranzösischen“ religiösen Praktiken und Symbole zu verbieten. Sie will damit die Muslime treffen und demütigen und die Juden gleich mit.

Und auf den ersten Blick nehmen sich Juden und Muslime nichts bei diesen Praktiken. Aber nur auf den ersten Blick.

1. Beschneidung

Die männliche Beschneidung wurde unserem Vorvater Abraham von G’tt geboten und sowohl Muslime als auch Juden halten sich an dieses Gebot. Kritiker werfen uns vor, dass wir unsere Kinder verstümmeln. Das stimmt zwar für die weibliche Beschneidung, die in manchen Kulturen, davon viele muslimisch geprägt, grausame Praxis ist, aber nicht für die männliche. Das wird jeder Arzt bestätigen, der mal eine Phimose durch Beschneidung behandelt hat.

Die Kritiker werfen uns auch vor, dass wir ein Trauma bei unseren Söhnen verursachen, von dem sie sich nie wieder erholen. Meine eigene Beschneidung war im Alter von 34 Jahren und war durchaus ein einschneidendes Erlebnis, das ich mir selbst auferlegt habe. Ich beschrieb es ausführlich in meinem Buch. Daher kann ich dieses Argument nicht einfach von der Hand weisen.

Meine beiden Söhne wurden, wie bei uns Juden üblich, am achten Tag nach ihrer Geburt beschnitten. Das Schmerzempfinden von Säuglingen ist komplett anders als das von Erwachsenen. So haben Säuglinge noch keine Vorstellung von ihrem eigenen Körper und können daher Schmerzen nicht lokalisieren. Ob nun der Fuss, die Brust oder der Penis verletzt wird, macht für sie keinen Unterschied. Die aktive Erinnerung beginnt erst ab einem Alter von frühestens drei Jahren. Auch verheilt die Beschneidung im Babyalter innerhalb von drei Tagen und hinterlässt keine sichtbare Narbe. Bei Erwachsenen dauert der Heilungsprozess sechs Wochen und der Schnitt muss genäht werden.

Muslime beschneiden ihre Kinder meist im Alter von acht Jahren. Schmerzempfinden, Lokalisierung, Erinnerung, alles das ist da bereits voll vorhanden. Das ist ein riesen Unterschied.

Auch wenn die Beschneidung egal in welcher Kultur auch bei einer gesunden Vorhaut medizinisch immer sinnvoll ist.

2. Schächten

Das Schächten unterscheidet sich vom regulären Schlachten hauptsächlich darin, dass das Tier nicht betäubt wird, bevor ihm die Halsschlagader durchtrennt wird. Das Tier durchlebt seinen Tod.

Der Tod durch Verbluten gilt als einer der angenehmsten überhaupt: Die Funktion der Organe wird langsam heruntergefahren, es gibt keine Atemnot, keinen zusätzlichen Schmerz ausser der, den die Wunde verursacht.

Doch: Beim Schächten wehrt sich das Tier. Das verursacht Stress beim Schächter und beim Tier. Daher ist es wichtig, diesen Vorgang so entspannt wie möglich zu gestalten.

Die Regeln für koscheres Schächten sehen vor, dass das Tier unverletzt sein muss. Auch muss das Messer rasiermesserscharf sein und darf keine unter der Lupe sichtbaren Scharten haben. So wird ein sauberer und schmerzarmer Schnitt gewährleistet.

Diese Regeln gibt es bei den Muslimen nicht. Das Messer kann schartig sein und so den Hals eher zerfetzen als zu zerschneiden und ich habe in Videos gesehen, wie den Tieren die Beine gebrochen werden, damit sie nicht flüchten und sich wehren können.

Das industrielle Schlachten in Deutschen Fabriken ist übrigens auch keine tierfreundliche Sache. Die Betäubung erfolgt maschinell und oft mittels Elektroschock und funktioniert nicht immer zuverlässig. Und genau wie beim Schächten ist das Tier am Ende tot.

3. Verhüllen

Warum verhüllen sich Frauen? Doch nur, weil Männer ihren Hormonhaushalt nicht unter Kontrolle haben. Ich empfehle dazu einen Artikel meiner Frau über das Burkiniverbot. Aber ein paar Unterschiede gibt es, auf die ich hinweisen will:

Im Judentum wird nie das Gesicht verhüllt, die Frau bleibt ein eigener Mensch mit eigenem Antlitz. Und die Haare bedecken ausschliesslich verheiratete Frauen und keine 12jährigen Mädchen. Die Hormonschwingungen von Männern beim Anblick von unverheirateten Frauen und Mädchen sind bei unseren Männern offenbar kein wirkliches Problem.

4. Hand geben

Es gibt ein Konzept im Judentum, das heisst „Schomer negia„, also die „Wahrung der Berührung“, doch nicht mal alle orthodoxen Juden halten sich immer daran. Es ist ein nachranginges Gebot und viele bewerten die Höflichkeit, eine angebotene Hand anzunehmen als wichtiger und höher als das Verbot, das andere Geschlecht zu berühren. Das Verbot gilt auch beiderseits: Weder darf ein Mann eine fremde Frau, noch eine Frau einen fremden Mann berühren.

Das muslimische Verbot wiederum wirkt auf mich frauenfeindlich und es geht dabei meines Erachtens nicht um die Wahrung der Berührung für den jeweiligen Partner als etwas intimes, besonderes, persönliches, sondern dient der Ausgrenzung der Frau.

Fazit

Bei allen vier Parallelen kann ich mich irren, vor allem, was die muslimische Sicht auf diese Praktiken ist. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Dennoch halte ich die Differenzierung für wichtig. Ich will als orthodoxer Jude nicht mit einem Salafisten in eine Schublade gesteckt werden und mich mit den selben roten Linien herumärgern müssen.

Deutsch-Holländische Eulen in Akko

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Eulen nach Athen tragen! An dieses Sprichwort musste ich denken, als ich einem Mann begegnete, der zufällig neben mir im Flieger sass.owl

Die Eulen, die der Spruch meint, sind gar keine Tiere, sondern Münzen mit einem geprägten Vogel. Daher passt es sogar doppelt. Aber von vorne:

Ich sitze also im Flugzeug von Tel Aviv nach Zürich und neben mir sitzt ein etwas rundlicher Mann mit hohem Haaransatz, nur wenig älter als ich. An seinem Hals baumelt ein Goldkettchen mit Kreuz. Erst gegen Ende des Fluges kommen wir kurz ins Gespräch. Ich fragte ihn, was er in Israel gemacht hat, einfach um des Smalltalks willen.

Er sagte, er hätte eine Begegnung von Juden, Muslimen und Christen in einem Örtchen nördlich von Akko organisiert. Das Treffen wäre von Deutschland und Holland finanziert.

Kaum hatte er seinen Satz zuende gesprochen, musste ich laut loslachen (ja, im Flieger). Deutsch-Holländisches Geld dafür, dass sich Juden, Araber und Christen treffen? Ausgerechnet in Israel? Dem einzigen Land, das allen drei Religionen heilig ist? In dem alle drei Konfessionen wie selbstverständlich nebeneinander und miteinander leben? Das ist doch zum Schieflachen! Das Programm gäbe es doch schon viele, viele Jahre, entschuldigt sich der nette Mann peinlich berührt.

Die Eulen, die er aus Deutschem und Holländischem Geldsäckel mitgebracht hat, freuen die israelische Tourismusindustrie bestimmt. Daher will ich mich gar nicht beschweren. Und der Mann hat bezahlten Urlaub gemacht in einem der schönsten Mittelmeerländer mit Temperaturen im März, die dieses Jahr teilweise bis 30° C reichten. Win-Win, sagt man dazu.

Dennoch, das Geld wäre in Deutschland wohl besser angelegt. Wann immer ich einem Fremden in Deutschland sage, dass ich aus Israel stamme, sei es ein Taxifahrer oder ein Barmann im Café oder ein Passant auf der Strasse, entwickeln sich sofort interessante, manchmal auch peinliche Gespräche. „Ihr seid doch alle reich“, mutmasste letzte Woche etwa ein gemütlicher Biodeutscher in Düsseldorf, der sein Taxi zum Ziel meiner Wahl führte. Es gibt offenbar einen großen Begegnungs- und Gesprächsbedarf zwischen diesen Gruppen in Deutschland.

Aber nein, investiert wird lieber in Israel. Denn den Nahostkonflikt zu lösen oder zumindest dabei geholfen zu haben, ist den Deutschen ein Herzensangelegenheit. Sie können so das eigene geschichtliche Verbrechen wiedergutmachen, ja mit etwas Glück gar vergessen machen, wenn sie dem Israeli erklären, was Dialog der Kulturen ist und wie er funktioniert. Selber machen ist ja viel zu anstrengend, wenn auch heute nötiger denn je!

Nur was die Holländer geritten hat, so einen Quatsch zu finanzieren, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.