Nazilieder auf Klassenfahrt

germany_deutschland_buchenwald_konzentrationslager_wire_nazi_alemania_kz-482663
Buchenwald – License: CC 2.0

Gut 200 km Straße trennt die Stadt Grünwald von der Holocaust Gedenkstätte KZ Buchenwald. Am 15. Oktober dieses Jahres legten Neuntklässler diesen Weg zurück mit ihrer Schule auf einer Klassenfahrt in die Deutsche Vergangenheit.

Kinder in Deutschland kennen Krieg und Vernichtung nur aus den Nachrichten ferner Länder, dem Geschichtsunterricht und aus Videospielen. Sie sind glücklicherweise in einem scheinbar ewig währenden Frieden aufgewachsen und all das Leid ist weit weit weg. Auf jeden Fall weiter als 200 km.

Ich war in einem ähnlichen Alter, als meine Schule alle Schüler in Bussen in ein Kino verfrachtet hat um uns den Film „Schindlers Liste“ zu zeigen. Damals war es nicht anders als heute und es war schrecklich. Die Kids hatten keinen Respekt und alberten um mich herum, während ich mit meinen Gefühlen kämpfte, da der Film auch einen Teil meiner Familiengeschichte widerspiegelt.

Traurig und erwartbar

Deswegen schockierte es mich nicht, über den Vorfall aus Buchenwald zu lesen. Drei der 14 jährigen Kinder haben auf dem Rückweg im Bus antisemitische Lieder abgespielt, offenbar auf ihren Smartphones, und die Texte laut mitgesungen. Man kann sich natürlich fragen: Warum kannten sie diese Lieder und Liedtexte überhaupt? War das den Lehrern vorher bewusst?

Gesungen haben sie die Lieder aber in genau diesem Moment, um diese Distanz, in der sie aufgewachsen sind und die das Leben so wohlig einfach macht, wieder herzustellen. Buchenwald musste direkt auf der Heimfahrt im Bus wieder entzaubert werden, die direkte Konfrontation mit dem Leid vor der eigenen Haustür wieder in die Ferne geschoben werden.

Keine Zwangsbesuche in Gedenkstätten!

Ich halte es für einen Fehler, Kinder zwangsweise so zu konfrontieren. Ich weiß, dass ich mit dieser Meinung relativ alleine bin. Die Erinnerung muss doch aufrecht erhalten werden!?

Ja, das muss sie. Aber diese drei Kids waren offenbar vorher schon mit Antisemitismus vergiftet und der Besuch in Buchenwald hat daran nichts geändert. Das ist so traurig wie erwartbar. Man kann eben nicht davon ausgehen, dass man alle erreichen kann mit der Erinnerung an den Holocaust. Es wird immer Menschen geben, die menschenverachtende Ansichten haben, aus Dummheit, aus Feigheit, aus Minderwertigkeitskomplexen, aus welchem Grund auch immer.

Es muss freiwillig sein, damit es funktioniert

Die Gedenkstätten sind dafür da, diejenigen zu erreichen, die auch erreicht werden können und wollen. Es muss für die Schüler freiwillig sein, dort hin zu gehen. Und wenn sie zurück kommen und dank des Besuchs wahrlich überzeugt davon sind, dass die Vergangenheit Deutschlands eine Verantwortung für die Menschen heute ist, dann sind sie der Impfstoff in der Gesellschaft, der widerspricht, wenn ein Antisemit Parolen grölt.

Die Gesellschaft gegen Nazis impfen

Dass es immer Nazis und Antisemiten gegeben hat und geben wird, muss man leider als gegeben akzeptieren. Aber die Nazis waren damals, und sind es heute wieder, nur deshalb so erfolgreich, weil es keinen ausreichenden Widerspruch gab und gibt in ihrem direkten Umfeld. Die Strategie muss sein, diesen Widerspruch zu stärken, die Menschen, die widersprechen zu stärken durch Erinnerung und vorgelebter Solidarität mit Juden heute. Und mit allen anderen Menschen, die Opfer gruppenbezogenem Menschenhasses sind.

Das Sommerfest 2017- Hauptsache Wasserpistolen

Gastbeitrag von Katharina Kunert

sommerfest
Kamfu mir helfen?“ fragt der Elefant

„Pssst, Eltern – ihr seid zu laut!“ Beim Taka-Tuka-Land-Sommerfest tauschen Eltern und Kinder die Rollen.

Gespannt sitzen rund 20 Kinder jeden Alters auf ihren Stühlen und lauschen konzentriert Eliyah, der mit verstellter Stimme aus dem Kinderbuch-Klassiker „Wo die wilden Kerle wohnen“ vorliest. Wenn er brüllt wie ein wilder Kerl zucken die Kinder zusammen – wenn es spannend und gefährlich wird rücken die Kleinen vor Spannung an den Rand ihrer Stühle. In ihren bunt geschminkten Gesichtern breitet sich erst ein erleichtertes Lachen aus, als der kleine Protagonist wieder in Sicherheit ist. Dann dürfen sie selbst ran – mit Puppen spielen sie die Geschichte des nächsten Kinderbuchs nach und bangen bei Wettrennen und -Namenschreiben um den Sieg ihrer Gruppen: Die Gruppe, deren Mitglieder als erstes ihre Namen eigenhändig nacheinander auf eine Tafel geschrieben hat, gewinnt. Als eine Gruppe schon in Siegesjubel ausbrechen will wird es plötzlich spannend: Wer ist dieser „RIFO“ der sich vorne auf der Tafel verewigt hat?

Dann die Erleichterung: Gruppenmitglied Ofir hat auf die Schnelle einfach in Spiegelschrift geschrieben – bei so viel Deutsch und Hebräisch auf einem Haufen kann man eben schnell mal durcheinander kommen.

Doch genau dafür sind sie hier: Um deutschsprachige Freunde zu finden und auf deutsch lesen und schreiben zu lernen – so wie Tommy (8) und Mia (5), Hellas Kinder. „Vor allem Musik hilft Kindern beim Sprachen lernen“, sagt sie – „Obwohl Kinder auch ganz flexibel sind, Wörter zu singen, die sie nicht verstehen, da helfen dann entsprechende Bewegungen“.

Auch Julia hat das Sommerfest gefallen: „Das Programm war wirklich gut – und ohne Programm geht gar nichts“, sagt sie.

Und für Felicitas ist eines klar: „Wasserpistolen müssen immer dabei sein“.

Zuerst erschienen auf http://idach.org.il/taka-tuka-land

Ich, ein Flüchtlingsmädchen

22650_261654947419_5786278_n
ich, als Kind in der Ukraine. Bin hier etwa 7-8 Jahre alt

 Eingang zum umfunktionierten, ehemaligen Bordell befindet sich neben einer Kiezkneipe mit provokantem Bild am Eingang.

Hamburg, Reeperbahn, das wohl bekannteste Rotlichtmilieu nach Amsterdam. Dort wohnt ein Flüchtlingsmädchen in einem Flüchtlingsheim. Sie und ihre Mutter teilen sich ein winziges Zimmer, in dem zwei Betten, ein kleiner Schrank und ein Tisch stehen. Wenn das Mädchen dort ihre Deutschhausaufgaben macht, starrt sie auf die belebte Straße, wo auf der gegenüberliegenden Seite vom Heim jeden Abend die Prostituierten aufgereiht auf ihre Freier warten. Auch ihre Großmutter und Urgroßmutter wohnen zusammen in so einem kleinen Zimmer.

Flüchtlinge aus den unterschiedlichsten Ländern wohnen hier. Die meisten sind jüdische Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion, die anderen sind Araber und Afrikaner. Jeden Tag nach der Schule hilft das Mädchen ihrer Urgroßmutter in der Gemeinschaftsküche. Dort gibt es nur wenige Kochfelder, dafür aber jede Menge Ratten und Ungeziefer. Auch im Zimmer laufen dutzende Kakerlaken an der Wand entlang. Ihre Mutter lässt nachts sogar das Licht an und sitzt am Bett des kleinen Mädchens Wache, damit keine zu ihr ins Bett kommen.
Der Eingang zum umfunktionierten, ehemaligen Bordell befindet sich neben einer Kiezkneipe mit provokantem Bild am Eingang. Als ein Junge aus dem Bekanntenkreis ihrer Eltern sie mal ins Kino einlädt, wartet sie auf ihn vor dem Eingang in ihr Wohnheim. Alle paar Minuten laufen Männer in ihren 50ern und älter an ihr vorbei in die Kneipe. Begreift das kleine Mädchen, was um sie herum passiert auf der Reeperbahn? Kaum. Sie ist elf Jahre alt. Vor einem halben Jahr kam sie nach Deutschland. Vor wenigen Wochen erst nach Hamburg.
Ein Mann bleibt neben ihr stehen, greift in die Tasche und streckt ihr einen 20 D-Mark Schein hin. Reflexartig will sie danach greifen, aber irgendetwas hält sie instinktiv davon ab. Sie kann kein Deutsch, versteht nicht, was der Mann sagt und steht mehrere Sekunden nur da und starrt ihn ratlos an. Plötzlich begreift sie, was dieser Mann im Alter ihres Opas von ihr will. Sie schüttelt schnell den Kopf und sagt „nein“. Der Mann ist hartnäckig und fragt: „nein?“ Sie bestätigt: „nein“ und geht schnell zurück ins Wohnheim.

 

Und so schlimm es auch manchmal war, meine Mutter, meine inzwischen verstorbenen Großmütter und ich waren und sind immer dankbar dafür, dass wir kommen konnten.

Wer war dieses Mädchen? War das wirklich ich? Wenn ich mich heute an die Geschichten zurückerinnere, die ich als Kind und Teenager während meiner Integration in Deutschland erlebt habe, kommt es mir oft vor, als wäre das irgendeine andere Person, ein anderes Flüchtlingsmädchen. Und so schlimm es auch manchmal war, meine Mutter, meine inzwischen verstorbenen Großmütter und ich waren und sind immer dankbar dafür, dass wir kommen konnten.

…wo es nicht mal Deutschunterricht für uns Flüchtlingskinder gab und es auch keinen Lehrer interessierte, dass ich nichts im Schulunterricht verstand oder dass mich die Mitschüler deswegen auslachten.

Im Jahr 1990 geschah das politische Wunder, auf das meine Familie seit mehreren Generationen gewartet hatte: Der Zusammenbruch der Sowjetunion. Während der gesamten Sowjetzeit wurden Juden unterdrückt, diskriminiert, gar verfolgt, weggesperrt und ermordet . Sie durften in vielen Jobs nicht arbeiten, und wenn man irgendwo Arbeit gefunden hatte, konnte man nicht aufsteigen. Die Ausübung der Religion war strengstens verboten und jüdische Vornamen wurden größtenteils in russische geändert.
Man wollte uns unserer Identität berauben. So erklärt sich, dass etwa die Hälfte der sowjetischen Juden auswanderte, sobald der Eiserne Vorhang sich öffnete. Die meisten von ihnen gingen nach Israel, einige in die USA oder nach Deutschland, das 1991 trotz massiven Protesten in der Bevölkerung anfing, Juden als Kontingentflüchtlinge aufzunehmen. Meine Familie entschied sich im Herbst 1995, einen Antrag für die Aufnahme als Flüchtlinge in Deutschland zu stellen. Im September 1996 war es endlich soweit. Wir stiegen in einen Bus und fuhren über 24 lange Stunden nach Deutschland.
Wollte meine Familie weg? Nicht wirklich. Es ist eine unglaubliche psychologische Hürde, zu fliehen, vor allem wenn du nicht weißt, was dich am Ziel erwartet.
Mich erwartete ein halbes Jahr in einer Kleinstadt in Hessen, wo es nicht mal Deutschunterricht für uns Flüchtlingskinder gab und es auch keinen Lehrer interessierte, dass ich nichts im Schulunterricht verstand oder dass mich die Mitschüler deswegen auslachten.

 

Daher schockierte es mich umso mehr, dass mich meine Mitschüler täglich als Ausländerin, aber eben auch als Jüdin fertig machten.
Sie hänselten mich nicht nur für mein noch nicht perfektes Deutsch. Es kam vor, dass ich in der Pause mit Brotstücken beworfen wurde.

Wir zogen weiter nach Hamburg und dort kam ich endlich in eine Sprachklasse, die ich als Beste von allen meinen Mitschülern abschloss und daher als Eine der Wenigen eine Empfehlung für das Gymnasium bekam. Die einzige Schule, die im neuen Schuljahr für mich Platz hatte, war zugleich das einzige katholische Gymnasium in Hamburg in einer sehr guten Gegend. Ich war überglücklich. Endlich konnte ich lernen, um irgendwann meinen Traum zu erfüllen. Ich wollte studieren, genau wie meine ganze Familie. Am meisten interessierte mich das Fach Geschichte.
Bevor mein erstes Schuljahr in der neuen katholischen Schule los ging, bot mir die Schulleitung an, mich von der Teilnahme am Morgengebet zu befreien, falls ich es nicht möchte. Das fand ich sehr anständig. Ich hatte meine ersten vier Schuljahre in einer jüdischen Schule im Ukrainischen Dnipropetrowsk verbracht, an der uns nach und nach unsere jüdischen Traditionen und unsere Identität wieder gegeben wurde. Und diese Identität war mir unglaublich wichtig, denn meine Generation war die erste, die frei und mit Selbstbewusstsein jüdisch sein durfte. Daher schockierte es mich umso mehr, dass mich meine Mitschüler täglich als Ausländerin, aber eben auch als Jüdin fertig machten.
Sie hänselten mich nicht nur für mein noch nicht perfektes Deutsch. Es kam vor, dass ich in der Pause mit Brotstücken beworfen wurde. Mehrmals ging ich einfach schon mittags vor Schulschluss nach Hause und auf dem Weg zum Bus überkamen mich jedes Mal die Tränen. Ich war zwölf Jahre alt und verstand nicht, warum alle so gemein zu mir waren und warum ich den Lehrern, die mich völlig im Stich ließen, offenbar vollkommen egal war. Nicht nur das, manche Lehrer trugen zum Mobbing auch noch bei. Eine Deutschlehrerin machte mich so fertig, dass selbst meine Mitschüler schockiert waren.
Am Ende des ersten Halbjahres verlangte unsere Englischlehrerin, dass wir das „Vater Unser“ auf Englisch auswendig lernen. Das war wohl das erste Mal, dass ich offen rebellierte. Ich stand auf und sagte, dass ich das christliche Gebet nicht lernen werde. Ich verstand nicht, was es im Englischunterricht verloren hatte. Ich habe mich gewehrt, aber es hat mir nicht geholfen. Im Gegenteil, ich „wurde gegangen“ und musste zum zweiten Halbjahr die Schule wechseln.

 

Doch meine guten Sprachkenntnisse waren nicht genug, um akzeptiert zu werden. Es reichte auch nicht, dass ich aus der selben Bildungsschicht und einer ähnlichen Kultur stammte wie die meisten meiner Mitschüler…

Deutsch sprach ich zwar noch mit kleinen Fehlern, aber schon ohne hörbaren Akzent. Dafür übte ich so exzessiv, dass ich meine Stimmbänder überstrapazierte und beinahe hätte operiert werden müssen.
Doch meine guten Sprachkenntnisse waren nicht genug, um akzeptiert zu werden. Es reichte auch nicht, dass ich aus der selben Bildungsschicht und einer ähnlichen Kultur stammte wie die meisten meiner Mitschüler aus meinen nachfolgenden Schulen, an denen außer mir nur wenige Ausländerkinder waren. Ich blieb immer die Ausländerin, die Jüdin.
All die Jahre fehlte ich sehr oft in der Schule, weil ich das intensive Mobbing nicht ertrug und daraufhin viel krank war. Als es aufs Abitur zuging, fragte meine Schulleiterin im Gymnasium Eppendorf, ob ich mir sicher sei, dass ich mit meinen schlechten Leistungen tatsächlich studieren möchte. Das war unglaublich verletzend für mich, doch ich schwieg. Noch heute macht es mich traurig und wütend, wie eine Schulleiterin, die sich Pädagogin nennt, nicht die wahren Gründe meines Misserfolgs erkennen konnte. In einer anderen Schule beendete ich dann mein Abitur.
Die meisten der russischsprachigen Kinder von Flüchtlingen oder Aussiedlern lernten in Schulen mit einem sehr hohen Ausländeranteil und ihr Freundeskreis bestand hauptsächlich aus ebenso russischsprachigen Teenagern. Das wollte ich nicht, ich wollte mich integrieren, ich wollte ein Teil dieses Volkes, dieser Gesellschaft sein. Nach und nach hatte ich auch immer mehr deutsche Freunde und mit 15 Jahren hatte ich meinen ersten deutschen Freund. Ich wusste auch, dass ich irgendwann mal einen Deutschen heiraten möchte.

 

Nur mit sehr viel Mühe und Kraft habe ich es dennoch geschafft und Deutschland wurde mein Zuhause, meine Heimat.

Es war ein harter Start für mich in der neuen Heimat. Meine Integration in die Deutsche Gesellschaft war ein langer, schwieriger Prozess.
Auf jedem Schritt meines Weges bekam ich von meiner Umgebung Steine in den Weg gelegt. Nur mit sehr viel Mühe und Kraft habe ich es dennoch geschafft und Deutschland wurde mein Zuhause, meine Heimat. Heute frage ich mich mit Tränen in den Augen, warum nur haben es mir so viele Mitmenschen so schwer gemacht, anstatt mich zu unterstützen?
Als ich meinen deutschen Pass bekam, war ich 18 Jahre alt und unglaublich stolz. Noch stolzer war ich, als der Beamte in der Ausländerbehörde mit dem Blick auf mein Jahreszeugnis aus dem Gymnasium sagte, ich bräuchte natürlich keinen Deutschtest machen.
Ich habe studiert und lebe heute mit meinem Mann und unseren beiden Söhnen in Israel. Ich habe Deutschland also wieder den Rücken gekehrt. Doch meine Verbindung zu Deutschland ist und bleibt stark. Ich gründete beispielsweise eine Organisation, die sich für Deutsch-Israelische Beziehungen und Frauenrechte einsetzt.
Es ist immer ein dünner Grad zwischen Integration und Assimilation. Ich wollte mich nicht assimilieren, damit hätte ich meine Identität aufgegeben. Ich wollte mich dennoch integrieren und habe trotze großer Widerstände von allen Seiten dafür gekämpft.
Zurzeit gibt es eine neue, große Flüchtlingswelle nach Deutschland und ich hoffe sehr, dass man es den Flüchtlingskindern nicht so schwer macht. Integration muss im Alltag funktionieren, nicht am Bahnhof durch Plakate und nicht durch politische Reden.