Tag der Befreiung

8mai
Die Vier Mütter der Befreiung

Heute ist der 8. Mai. Dieser Tag ist ein besonderer Tag im Kalender, denn im Jahre 1945 hat die Deutsche Wehrmacht an diesem Tag kapituliert. Das große Grauen des Krieges war vorbei und das Morden der Deutschen hatte ein Ende. Es war nicht gleich alles wieder gut, aber es war das Ende des Schreckens.

Ich habe heute Geburtstag. Daher hatte ich selbst als noch völlig unpolitisches Kind keine Chance, diesen Tag zu ignorieren. Mein Vater hat seiner Mutter 1975 per Telegramm meine Geburt mit den Worten angezeigt: „Heute hat sich Felix selbst befreit.“

Zugegeben, meine Mutter war es, die mich auf die Welt brachte und ich habe es einfach überlebt. Aber das Wortspiel war so schön. Und Verdrehung von Zusammenhängen war im Osten ja auch Staatsdoktrin: Dort wurde der 8. Mai als „Tag der Befreiung“ gefeiert. Natürlich dankte man in erster Linie Mütterchen Russland für diese Befreiung als eine der vier Mütter dieser schweren Geburt, aber man sah sich selbst eben als das unschuldige Baby, neu geboren durch Blut, das von der bösen Macht der Nazis befreit wurde. Als ob es eine externe Naziarmee war, die Deutschland im Würgegriff hatte und mit Gewalt entfernt werden musste.

In der letzten freien Wahl vor der Machtübernahme der Nazis erreichte die NSDAP um Adolf Hitler 43,9% der Stimmen. Die Nazis, das waren die Deutschen und niemand anderes. Jaja, ich weiss, nicht alle Deutschen, aber eben doch sehr sehr viele. Und die Zahl der Menschen im aktiven Widerstand war im niedrigen einstelligen Prozentbereich, wie Forschungen ergeben haben. Auch wenn das dem Selbstbild vieler Deutschen widerspricht.

Es ist das Deutsche Dilemma, dass Deutschland kaum etwas Gutes aus eigener Kraft geschafft hat. Demokratie, „Wirtschaftswunder“, Wiedervereinigung, all das wurde von aussen gefördert oder gefordert. Nationalfeiertage wie der „Independence Day“ in den USA oder der „Yom Haatzmaut“ in Israel verbieten sich da fast von selbst. Man feiert stattdessen den „Tag der Deutschen Einheit“, aber nicht am 9. November, an dem die Mauer fiel, sondern am 3. Oktober. Die „Reichskristallnacht“ überschattet selbst solch ein Ereignis.

Es gibt Bestrebungen, den 8. Mai als offiziellen Feiertag in Deutschland zu installieren. Eine Petition von der Holocaustüberlebenden Esther Bejarano fordert genau das. Das finde ich gut! Für mich persönlich wäre es zwar etwas spät, denn ich wohne nicht mehr in Deutschland und kann den Feiertag, der grundsätzlich auf meinen Geburtstag fällt, nicht mehr geniessen, aber für Deutschland ist er richtig und wichtig.

Mein Problem ist nur, wie verhindert man, dass er wie in der DDR gefeiert wird? Wie kann man schon mit dem Namen des Tages ausschliessen, dass man sich als unschuldiges Baby begreift, das von externen Nazis befreit wurde? Hier sind ein paar Vorschläge (nicht alle ganz ernst gemeint) und meine Gedanken dazu.

Tag der Befreiung

Der Name ist verbrannt. Ein Regime hat ihn genutzt. Und er drängt gerade dazu, sich als Deutscher in der Opferrolle wiederzufinden: Das Opfer, das befreit wurde. Man kann sogar sagen: unfreiwillig befreit. Also nein, dieser Name kann es nicht sein.

Tag der Niederlage

So würde der Hundekrawattennazi ihn wohl nennen. Inhaltlich korrekt, die Deutschen haben den Krieg verloren, aber er klingt nach Trauertag und nicht nach einem Feiertag. Und das sollte er sein.

Tag der Kapitulation

Schon besser. Aber eben nicht viel besser.

Tag der verdienten Niederlage

Das gefällt mir. Die Deutsche Niederlage war mehr als verdient, sie war humanitär zwingend notwendig. Daher ist „verdient“ schon fast ein Euphemismus. Und das ist auch ein Argument gegen den Namen. Denn „verdient“ könnte auch heissen, dass die Wehrmacht einfach nicht gut genug gekämpft hat.

Tag des blutigen Neuanfangs

Das ist bisher mein Lieblingsvorschlag in dieser Liste. Es war blutig, es war ein Neuanfang. Der Name erlaubt keine der oben genannten Assoziationen. Aber er macht die Opfer gleich. Die gefallenen Wehrmachtssoldaten und die toten SS-Mörder wie die Zivilisten, die in Deutschland in Städtebombardierungen gestorben sind auf der einen Seite und die Opfer der Befreierarmeen, der Widerstandskämpfer und vor allem die ganzen Opfer des Holocaust auf der anderen. Alle sind nur noch Kollateralschäden der Chance, von Vorne zu beginnen.

Kriegsende/WK2-Ende

Nein, zu neutral. Viel zu neutral. Dieser Tag braucht Emotion.

Tag der Besinnung

Diesen Namen hat die Rechtsaussen-Gazette „Junge Freiheit“ vorgeschlagen. Das allein würde ihn schon disqualifizieren. Aber gegen diesen Namen spricht noch mehr. Es ist nichts besinnliches an einer Kapitulation. Es ist der Tag, an dem sich alle ihre Wunden lecken und sich daran machen, alles wieder aufzubauen. Es ist ein Tag der Hoffnung, ein Tag, an dem der Schmerz nachlässt.

Tag des Sieges in Europa – VE-Day

So nennen diesen Tag die Sieger im Westen Europas. In Frankreich etwa ist das ein staatlicher Feiertag. Ich lebte zwischen meinem 11. und 21. Lebensjahr dort und die Häuser waren jedes Jahr mit Französischen Tricolores geschmückt. Nur am Rathaus hing ausserdem noch eine US-Flagge, denn es waren die Amerikaner, die Frankreich von der Deutschen Besatzung befreit haben. Die Französische Armee war besiegt. Deswegen sollten die Franzosen den Feiertag „Tag der Befreiung“ nennen, nicht die Deutschen.

Aber wie soll der Tag nun heißen? Ich habe keine Idee. Vielleicht sollte Deutschland einfach gar nicht feiern und sich 365 Tage im Jahr einfach nur schämen. Das wäre zwar gerecht, aber umsetzbar ist das auch nicht.

Foto von @bertapetra license: Creative Commons CC BY_NC-SA 4.0

Gedanken zum 8. Mai

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© Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Sammlung Iwan Schagin

Heute ist der 8. Mai 2016. Heute ist:

Und als ob das noch nicht genug wäre, ist dieser Tag eingerahmt von den Tagen Jom Hascho’ah, Jom Hasikaron und Jom Ha’atzma’ut.

Ich bin in der DDR geboren und in West-Deutschland und Frankreich aufgewachsen. Wie der 8. Mai in diesen drei Ländern begangen wurde, kann unterschiedlicher nicht sein. Die DDR feierte die Befreiung vom Hitlerfaschismus, kurz „Tag der Befreiung“. Mein Vater telegrafierte daher am 8. Mai 1975 an seine Mutter: Heute hat sich Felix selbst befreit. Etwa anderthalb Jahre später haben meine Mutter und ich uns auch selbst in den Westen befreit. Dort wurde und wird der Feiertag überhaupt nicht begangen. Immerhin haben wir meinen Geburtstag regelmässig weiter gefeiert. Als wir dann, ich war inzwischen elf Jahre alt, nach Frankreich zogen, feierten die Franzosen an meinem Geburtstag den Sieg über Deutschland mit sehr vielen Tricolores und ein paar verschämt aufgestellen Sternenbannern dazwischen.

Das ist doch alles absurd. Die DDR wurde nicht befreit, sie hat ein Regime nur gegen ein neues getauscht. Die BRD wiederum wurde tatsächlich befreit, feiert das aber nicht, weil sie wohl lieber auf diese Freiheit verzichtet hätte. Ausgerechnet Frankreich, das den Krieg als einer der ersten verlor und von Amerikanern befreit werden musste, feiert ausgelassen den eigenen Sieg über ein Deutschland, mit dem sie vorher noch (zugegeben gezwungenermassen) kollaboriert hatten. Und dafür, dass man geboren wurde, kann man nichts. Trotzdem feiert man sich dafür, dabei sollte man doch seine Eltern, allem voran seine Mutter feiern, die einen geboren hat.

Heute ist auch Muttertag, also kann ich meine Mutter doppelt feiern. Doch vor allem kann ich mich freuen, dass ich frei bin, frei mich zu entfalten, auch frei von Deutschland und Frankreich und ihren verqueren (nicht-)Feiern, in meiner neuen Heimat Israel. Ich bin jetzt 41 Jahre alt, verheiratet, habe mit meiner wundervollen Frau zwei ebenso wundervolle Söhne und lebe in einem traumhaft schönen Land. Um mein Glück heute perfekt zu machen ist die olle Honnecker noch gestorben beerdigt worden (danke dafür!) und ich habe in der Synagoge heute morgen zum Neumod (Rosch Chodesch) die Ehre eines Aufrufs zur Torah bekommen.

Diese Woche wird eine kurze Arbeitswoche, denn wir feiern unsere Freiheit als Juden in unserem eigenen Land am Jom Ha’atzmaut. Und das ist für mich der viel gewichtigere Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus und allen anderen Antisemiten dieser Welt. Heute aber ist daher hauptsächlich mein Geburtstag. Glückwünsche dazu sind natürlich willkommen!

UPDATE

Meine Mutter, der ja meine Glückwünsche für heute gelten, weiss es mal wieder genauer: Die Honnecker ist bereits vorgestern gestorben. Die Nachrichten dazu gab es aber erst heute, denn heute landete sie als Festschmauss für die Würmer unter der Erde. Ob die sie mögen werden?