Marry X-Mas und Frohe Y-Nachten 2022

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Wie jedes Jahr in diesem Blog wünsche ich den Lesern Merry X-mas und frohe Y-nachten. Das ist also schon eine Tradition! Und Traditionen soll man pflegen.

Leider gibt es auch unschöne Traditionen und eine davon ist die von Nazi-Sifftwitter, mir ihre heuchlerischen Weihnachtswünsche ins Postfach zu rotzen. Wer sich die Weihnachtsstimmung nachhaltig versauen will, der klicke einfach hier:

Aber davon will ich mich nicht beirren lassen. Dieses Jahr fallen die letzten Kerzen Channukkahs mit Weihnachten zusammen und ich wünsche schon jetzt allen, die es feiern, von ganzem Herzen und ohne Sifftwittervibes: Frohe Weihnachten!

Mein Freund Matthias antwortete mal auf die Frage, wie er und seine Familie denn Weihnachten feiern werden: Wir essen viel, streiten uns und schenken uns Dinge, von denen wir in spätestens zwei Wochen wissen, dass wir sie nie gebraucht haben. Also, so oder so ähnlich hat er es gesagt.

Und so ähnlich habe ich auch Weihnachten in meiner Kindheit in Erinnerung. Streit und Essen gab es quasi immer. Geschenke auch, um die es dann auch oft noch mehr Streit gab. Der Baum war hübsch, das Essen gut, immerhin.

Der Name des Festes ist interessant. Hier eine Tabelle in verschiedenen Sprachen:

SpracheWortBedeutung
Englisch
Christmas
Christus (Messias) Fest
FranzösischNoëlGeburtsfest
SpanischNavidadGeburtsfest
Hebräisch (Chag HaMoled) חג המולדGeburtsfest
ItalienischNataleGeburtsfest
DänischJulGermanischer Kalendermonat Dezember
HolländischKerstmisChristus (Messias) Fest
DeutschWeihnachtenChanukkah

Die meisten Sprachen nennen das Weihnachtsfest nach dem, was der Überlieferung nach passiert ist: Der Messias (Christ) wurde geboren. Schließlich feiert man seinen Geburtstag (und acht Tage später, nach guter jüdischer Tradition, seine Beschneidung am 1. Januar). Die Dänen stechen heraus, da sie den Festnamen am Kalender fest machen. Und die Deutschen? Die nennen ihr Lichterfest im Winter einfach Chanukkah!

Das hebräische Wort Chanukkah bedeutet Weihe. Es geht dabei um die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem nach der Entweihung durch die Griechen. Zur Weihung braucht man Olivenöl für den Leuchter und davon war nur noch so wenig da, dass es nur einen Tag gereicht hätte. Aber wie durch ein Wunder, hielt das Öl ganze acht Tage. So lange hat es gedauert, neues Öl zu besorgen.

Das ist in etwa so, wie wenn ihr morgens auf dem Smartphone noch 10% Batterie habt, aber es dennoch den ganzen Tag durchhält.

Warum ich das erzähle? Damit deutlich wird, dass nicht nur der Name fast gleich ist, auch die Bräuche von Weihnachten in Deutschland und Channukkah ähneln sich stark:

  • Datum: Beides wird am 25. des Monats gefeiert, der im jeweiligen Kalender üblicherweise in die Wintersonnenwende fällt. Also 25. Dezember oder 25. Kislev.
  • Abends: In den meisten Ländern wird am 25. tagsüber beschert. In Deutschland aber am 24. Abends. Jüdische Tage und damit auch Feiertage wie Chanukkah beginnen abends.
  • Kerzen 1: Die Chanukkah-Kerzen müssen ins Fenster gestellt werden, da ihr Zweck die öffentliche Verkündung des Chanukkah-Wunders ist. In Deutschen Haushalten werden zu Weihnachten die Fenster traditionell mit Kerzenständern und anderen Lichtern geschmückt.
  • Kerzen 2: Jeden Tag während des acht Tage andauernden Chanukkahfestes zündet man eine zusätzliche Kerze. Im Advent zündet man jeden Adventssonntag eine weitere Kerze.
  • Adventskalender: Auch hier werden die Tage gezählt, genau wie bei den acht Chanukkah-Kerzen.
  • Geschenke: Auch an Chanukkah bekommen die Kinder Geschenke oder einfach Chanukkah Gelt (mit t, weil es jiddisch ist) und man isst Karotten in Scheiben, die an Geldstücke erinnern sollen.
  • Familie: An Chanukkah feiert man mit der ganzen Familie. Jeder bekommt seinen eigenen Leuchter. Weihnachten ist ein Familienfest.
  • Glühwein: Zugegeben, eher eine zufällige Parallele. Juden trinken eigentlich zu jedem Anlass Wein.
  • Weihnachtsmann: Also, wenn Du mich fragst, sieht der aus wie ein Rabbi, dessen Klamotten rot gefärbt sind. Und daran ist ja nur Coca Cola (koscher) schuld (ich weiß, stimmt nicht). Und Bommelmützen tragen die Anhänger von Rabbi Nachman auch.
  • Messias: Das ist vielleicht ein wenig weit hergeholt. Aber hey, warum nicht, es geht schließlich um Religion, da ist argumentativ meist kein Weg zu weit. Chanukkah feiert das Olivenölwunder und das hebräische Wort Moschiach (Messias) bedeutet: Der Gesalbte. Die Salbung erfolgt mit Olivenöl.
  • Essen: Immer im Januar sind Frauen- und Männerzeitungen voll mit Diättipps. Im Rest des Jahres zwar auch, aber im Januar geht es im Besonderen darum, den sog. Weihnachtsspeck wieder los zu werden. An Chanukkah essen wir lauter in Öl gebratene oder gebackene Dinge: Kartoffelpuffer, Berliner (Pfannkuchen, Kreppel, etc.), gebratene Karottenscheiben (s.o.) und vieles mehr. Das Öl setzt sich dann im Körper gerne als Hüftgold ab.
  • Ch: Christkind und Channukkah fangen beide mit „Ch“ an. Das ist wohl eher zufällig und es ist deshalb eine Erwähnung wert, weil viel zu viele Menschen unser Fest falsch aussprechen. Das Ch klingt wie das in „Bach“. Und wenn ihr das nicht endlich lernt, sage ich ab heute „Schristkind“

Wie eng und vor allem, wie viel enger als andere Völker die Deutschen und die Juden bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts zusammengelebt haben, erahnt man, wenn man sich diese Parallelen ansieht. Nicht umsonst ist das alte hebräische Wort für Deutschland „Medinat Aschkenas“. Aschkenasen sind die nord- und osteuropäischen Juden.

Ich wünsche allen, die dieses Fest feiern, dass es besinnliche Tage werden, mit schönem Baum, sinnvollen Geschenken, wenig Streit und gutem Essen!

P.S.: Zugegeben, dieser Text erschien fast wortgleich bereits letztes Jahr und die Jahre davor, aber warum ihn so weit unten im Blog versauern lassen, wenn er doch heuer wieder so gut passt!

Twitter-Zwangspause

Dr. Michael Blume sagte in einem Tweet, ich solle, wenn Twitter meinen Account wieder frei schaltet mit dem Florett und nicht mit dem Degen fechten. Wohl zu meinem eigenen Schutz. Im Film „The Untouchables“ sagte jemand: Man bringt kein Messer mit zu einer Schießerei. Und seit dem wird dieser Vergleich immer wieder zitiert. Von Indiana Jones, The Punisher und vielen anderen.

Twitter ist keine Schießerei, eher eine Kneipenschlägerei. Und in einer solchen wirkt man mit einem Florett etwas verloren. Auf meinem Account geht es um viele Themen, vom Challahbacken und Hummusrezepten über Antisemitismus, Israel, Judentum (und der schamlosen Bewerbung des Buches „Frag uns doch!“ von Marina Weisband und mir) bis zu Cybersecurity und Netzpolitik. Und letzteres Thema hat mich jetzt selbst erwischt: Hass im Netz und was die Platformanbieter dagegen tun oder nicht tun.

Als Jude in Sozialen Medien ist man regelmäßig Antisemitismus ausgesetzt. Am Anfang meiner Twitterkarriere habe ich noch so wenig wie möglich geblockt, inzwischen bin ich viel großzügiger mit dem Blockknopf. Es gibt einfach zu viele Antisemit:innen da draußen. Und ab und zu, wenn es zu viel wird, dann melde ich die Accounts. Und fast immer schreibt mir Twitter, dass die getätigten Aussagen nicht gegen Deutsches Gesetz verstoßen.

Ich denke dann immer: Krass. Die beschäftigen also Volljuristen, die das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit innerhalb von Minuten feststellen können! Und wenn man dann die selben Tweets an Hassmelden übergibt, werden sie komischerweise häufig von tatsächlichen Juristen angezeigt.

Ich wurde gesperrt, weil mir in einem Tweet die Hutschnur geplatzt ist. Natascha Strobl hat einen Brief veröffentlicht, der in ihrem Email-Postfach gelandet ist, in dem ihr die übelsten misogynen und andere Beleidigungen zuteil wurden. Ich schrieb darauf hin: „Aaaahhhh!!! Dem möchte man am liebsten die Fresse polieren!“ Zugegeben, kein Florettstich, eher ein schlag auf den Tisch mit der blanken Faust, so dass die Gläser am Nachbartisch scheppern. Aber ich habe über keine konkrete Person (der Hasser war anonym) und nicht mal einen Twitteruser geschrieben und auch weder selbst die Politur angedroht, noch andere dazu aufgerufen. Grammatik, you know?

Twitter versucht, sich an das NetzDG zu halten. Und dass dieses Gesetz so schlecht gemacht ist, dass es man es eigentlich gar nicht umsetzen kann, ist auch nicht die Schuld von Twitter. Aber was durchaus ihre Verantwortung ist, ist ihr Verhalten bei missbräuchlichem Verhalten ihrer Nutzer. Und es ist nicht nur meine Wahrnehmung, dass Twitter die Meinungsfreiheit vor allem bei Feinden dieser besonders ernst nimmt und Accounts aus dem linken Spektrum (oder was dafür gehalten wird) besonders gerne rigoros gesperrt werden. Außer, man hat einen guten Anwalt.

Twitter investiert tatsächlich in Forschung zu Bots und Trollen und wie man sie erkennt und nutzt das auch. Allerdings ist die Gegenseite auch nicht unkreativ. Ich habe mich auf die Suche gemacht und habe herausgefunden, wer sich damit brüstet, mich erfolgreich gemeldet zu haben.

„Shalom“ my tuches!

Der Account, der meine Sperrung durch die Meldung veranlasst hat ist ein Trollaccount, der offensichtlich keine anderen Hobbies hat, als politische Gegner sperren zu lassen. Die Person sympathisiert offen mit dem Hoecke-Flügel der rassistischen AfD und twittert Fotos von aus SIM-Karten gelegten Figuren. Der Hintergrund ist, dass Prepaid-SIMs aus dem europäischen Ausland sowohl Strafverfolgung erschweren als auch Twitters Schutzmechanismen gegen das Öffnen von Ersatzaccounts aushebeln. Diese Leute investieren also Zeit und Geld in die Jagt auf linke Accounts mit Reichweite in Sozialen Medien.

Als ich bereits gesperrt war, hat diese Person oder andere aus ihrem Umfeld mein Twitterprofil mit Hilfe der Suchfunktion durchforstet, und Tweets mit dem Wort „schlagen“ oder „Fresse“ gesucht und durchgemeldet. Twitter hat daraufhin mehrere dieser Tweets gelöscht und eine weitere Sperre veranlasst (die die Ursprüngliche 7-Tage Sperre aber nicht weiter verlängerte). Diese Tweets waren alle im Thread-Zusammenhang kein wirkliches Problem, aber einen davon möchte ich besonders hervorheben, der auch für sich alleine stehen kann:

Ich beschreibe darin die Herausforderung als Jude erkennbar durch Deutsche Großstädte zu laufen. Und dass ich aufgrund meiner Statur weniger Probleme habe als andere. Dieser Tweet beschreibt also, wie Hass sich in Gewalt auf der Straße übersetzt, der Grund, warum Twitter gegen Hass online vorgehen muss! Es ist absurd!

Aber die Sache hat auch sein Gutes. Ich habe 7 Tage Ruhe von Twitterstürmen und mein Account, dessen Followerzahlen seit ein paar Monaten stagnieren, hat über 100 neue Interessenten gewonnen, obwohl ich mich zum Schutz vor weiteren Meldeaktionen hinter ein Schloss geflüchtet habe. Der Versuch, mich mundtot zu machen, wird scheitern. Im Gegenteil. Meine Reichweite steigt. Und auch wenn ich gesperrt bin, blocken kann ich noch. Und das mache ich auch. 😈

Insgesamt über 100 neue Follower in nur zwei Tagen nach der Sperrung!

P.S.: A propos Challahbacken. Jeden Freitag poste ich ein Foto von den Challot, die die Kinder und ich gebacken haben. Das Feedback ist meist geprägt von Mutuals, die mir einen Schabbat Schalom wünschen. Diese Woche hat meine Frau Jenny den Tweet übernommen und hat damit sehr viele Likes und Retweets erreicht. Tja. Jede Challah ist interessanter als ihr Hater und Trolle im Internet.

P.P.S.: Ich darf lesend auf Twitter zugreifen und ich lese euren Support unter dem Hashtag #freeEliyah. Und ich danke euch dafür!!

„Frag uns Doch!“ – Marina und Eliyah antworten

Twitteruser und ihre Bücher

Heute erschien das Buch „Frag uns Doch!“ von Marina Weisband und mir und mit einem Vorwort von Dr. Michael Blume im S. Fischer Verlag. Das Buch begann mit einem Tweet von Marina vor etwa einem Jahr und heute wird passenderweise meine Timeline bei Twitter mit Fotos von dem Buch geflutet!
Es fühlt sich gut an und auch ein bisschen komisch. Denn alle diese Menschen haben das Buch vor mir in der Hand dank der weniger schnellen Zustellung meines Belegexemplars durch die Israelische Post.

Das Buch ist Aufklärung und Erzählung in einem. Marina und ich gehen auf Fragen von Twitterern ein und erzählen in den Antworten unsere persönliche Verbindung zum Judentum.

Das direkte Feedback der Leser:innen über Twitter ist wirklich etwas Neues für mich. Und es gefällt mir. Denn am Ende will ein Buch nur eines: Die Herzen der Leser berühren. Und wenn man als Autor das miterleben kann, ist es ein besonderes Privileg.

https://www.fischerverlage.de/buch/marina-weisband-eliyah-havemann-frag-uns-doch-9783103974911

Jude, Zionist und #BlackLivesMatter. Ein Widerspruch?

#blacklivesmatter in meinem Twitterprofil

Als George Floyd im Mai dieses Jahres von einem Amerikanischen Polizisten ermordet wurde, gab es einen weltweiten Aufschrei. „I can’t breathe!“ stand als Graffiti an den Wänden und die Hashtags #BLM und #BlackLivesMatter trendeten weltweit in den Sozialen Medien.

Auch mich hat das Schicksal von George Floyd berührt. Nicht nur seinetwegen. Seine Ermordung hat ein grelles Scheinwerferlicht auf den strukturellen Rassismus in Amerika geworfen und die weltweite Bewegung, die daraus entstand, hat auch in anderen Teilen der Welt und in Deutschland dafür gesorgt, dass rassistische Strukturen in der Gesellschaft allgemein und in der Polizei im speziellen, stärker ans Tageslicht kamen. Es ist kein Wunder, dass ausgerechnet 2020 die diversen Nazi-Chatgruppen deutscher Polizisten entdeckt wurden. Menschen sind sensibilisiert und hatten den Mut, sie öffentlich zu machen.

Auf Twitter, wo ich zu viel Zeit verbringe, habe ich „Black Lives Matter“ in meinen Header mit aufgenommen. Seit über einem halben Jahr ist er da drin und ich habe mehrfach überlegt, ihn zu entfernen. Schließlich werden gerade andere Säue durchs Dorf getrieben und Themen wie Moria und natürlich der immer gewalttätiger zum Vorschein tretenden Antisemitismus sind mir auch nah und wichtig. Aber ich habe mich dagegen entschieden. BLM bleibt leider immer aktuell.

Ich wurde deswegen mehrfach auf Twitter angegangen. Von linken Antizionisten sowie von rechten Israelis. Beide finden, BLM und Zionist kann man nicht gleichzeitig sein. Warum nicht?

Die Antizionisten glauben, der Zionismus wäre eine rassistische Ideologie und daher inkompatibel mit BLM. Das ist natürlich Quatsch. Deswegen juckt mich dieser Vorwurf auch gar nicht. Schwerer wiegt da der Vorwurf der anderen Seite, die mich darauf hinweisen, dass unter den BLM Aktivisten auch viele Antisemiten den Ton angeben.

Der strukturelle Rassismus ist ein Problem, das jeden Menschen mit Nicht-weißer Hautfarbe betrifft. Egal, ob er Antisemit ist, oder nicht. Ich werden meine Unterstützung für diesen wichtigen Kampf nicht davon abhängig machen, ob Antisemiten bei BLM beteiligt sind oder nicht. Es gibt auch rassistische Juden, und dennoch freue ich mich über jede PoC, die den Kampf gegen Antisemitismus unterstützt.

„Aber die Querdenker lehnst Du doch auch ab, weil dort Nazis mitlaufen!“ – Ja. Sie laufen dort aber nicht nur mit, die ganze Idee der Querdenker ist eben keine einfache, legitime Kritik an Coronamaßnahmen der Bundesregierung, sie beruht auf antisemitisch aufgeladenen Verschwörungsmythen und die Nazis sind ideell bei diesen Demos zuhause. Ein antisemitischer BLM-Aktivist dagegen agiert im Grunde gegen seine eigenen Interessen.

Rassismus und Antisemitismus sind nicht das selbe. Ganz und gar nicht. Die Diskriminierungserfahrungen sind andere und die Mechanismen sind es auch. Als hellhäutiger Jude kann ich als „white passing“ vom Privileg, weiß zu sein profitieren, was PoC nicht können. Andererseits ist Antisemitismus im Kern eliminatorisch und zielt auf die „Endlösung“, während Rassismus die (erneute) Versklavung und Unterwerfung von PoC anstrebt. Gemeinsam haben sie, dass beides ist für einen direkt Betroffenen regelmäßig tödlich ist und die Schnittmenge der Antisemiten und Rassisten ist riesig. Wir haben einen gemeinsamen Gegner. Natürlich müssen wir uns gegenseitig beistehen.

Es ist schon ein paar Jahre her, da habe ich in der WELT einen Artikel veröffentlicht, der den Titel hat „Israel zeigt, dass ethnisches Profiling hilft„, der zuerst hier im Blog erschien. Es war 2016, um genau zu sein, und damals wurde Europa von vielen islamistischen Anschlägen erschüttert. Im Text geht es um ein Einkaufszentrum in Jerusalem, in dem ich regelmäßig war und das von Juden und Arabern gleichermaßen besucht wird. Die Araber aber werden genauer kontrolliert, wenn sie das Zentrum betreten wollen. Ich bin mit dem Titel des Artikels auf welt.de nicht einverstanden. War ich schon damals nicht, aber die Redaktion hat ihn eigenmächtig gesetzt. Ich hatte einen anderen gewählt. Und ich würde den Text heute auch nicht mehr so schreiben. Die redaktionelle Verkürzung in der WELT hat den Text zusätzlich noch verschärft. Ich verstehe heute einiges besser, auch dank einiger toller Menschen, die ich auf Twitter kennengelernt habe, und die islamistischen Anschläge von damals belasten mich emotional nicht mehr so direkt. Dennoch kann und will ich mich nicht komplett von diesem Artikel distanzieren.

„Wie kannst Du Racial Profiling gut finden und #BLM im Header haben? Heuchler!“ So wurde es mir vorgeworfen. Dazu muss ich sagen: Ich habe damals bewusst von „Ethnischem Profiling“ gesprochen. Juden und Araber sind äußerlich nur durch Kleidung und Sprache zu unterscheiden und nicht anhand irgend welcher eingebildeten Menschenrassen. Und außerdem, wenn man den Text wohlwollend liest, dann steht dort eigentlich: Ethnisches Profiling funktioniert nicht außerhalb dieses Spezialfalls des Einkaufszentrums in Jerusalem, wo nach der harten Kontrolle an der Tür eben keine Unterschiede mehr gemacht werden und Juden und Araber zusammen mit der ganzen Familie bequem shoppen gehen und ihr Essen essen. Racial Profiling ist ethisch falsch und praktisch unbrauchbar. Ohne Ausnahme.

Also ja. Ich unterstütze #BLM. Ich werde es weiter tun. Und ich kenne meine Privilegien. Als „white passing“ in Europa und als Jude in Israel. Denn wer seine Privilegien nicht begreift, wer sich selbst nicht reflektiert, dessen Unterstützung ist sowieso nicht viel wert.

Nur, dass ihr‘s wisst: Ich bin ]ude.

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Als ich diesen Tweet abgesetzt hatte, ging es mir gar nicht darum, ein Religionsbekenntnis abzulegen. Kein spirituelles Outing auf Twitter. Es ging um etwas ganz anderes, und das erkläre ich hier:

Aber viele haben es als Bekenntnis zum Judentum wahrgenommen und schrieben als Antwort solche Tweets:

„Nur das du es weißt, dass ist mir scheissegal.“

„Und ich Atheist. Und deswegen ist mir das völlig Wumpe!“

Es gab noch viel mehr Antworten, wo andere einfach ihre Sozialisation oder Religion kundgetan haben oder „Ich bin ein Mensch!“ riefen, wohl um mir zu verdeutlichen, dass ich nichts Besonderes wäre mit meinem Jüdischsein.

Und das ist einfach mal falsch. Es ist so falsch, wie auf #BlackLivesMatter mit #AllLivesMatter zu antworten. Es ist nämlich nicht egal, ob jemand Schwarz oder Weiss ist oder ob er Jude, Moslem oder Christ ist. Dass es in einer idealen Welt egal sein sollte, darüber gibt es gar keinen Dissens. Dass in einer idealen Welt alle Leben zählen und Zugehörigkeit zu einer Religion kein Grund für Diskriminierung sein darf und alle Menschen in ihren Rechten und Pflichten gleich sind. Aber unsere Welt ist nicht ideal.

Und in dieser Welt ist es eben nicht egal. Wer Schwarz ist, wird nur auf Grund seiner Hautfarbe diskriminiert. Nachweislich. Das nennt man Rassismus.

Wer Jude ist, ist Teil einer Schicksalsgemeinschaft, die Jahrtausende Mord, Entrechtung und Vertreibung erlebt hat und wird immer wieder mit den miesesten Verschwörungsmythen konfrontiert. Das nennt man Antisemitismus.

Und sowohl Rassismus und Antisemitismus sind heute so aktuell wie eh und jeh und wachsen weiter zusammen mit der Furcht vor Globalisierung, Corona und davor, dank neuer Technologien zu den Abgehängten zu zählen, die nicht mehr schritthalten können.

Sagt mir also nie wieder „Egal“ ins Gesicht, wenn ich aus welchem Grund auch immer sage: Ich bin Jude.

Bye, bye, Facebook!

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Als 2014 mein Buch „Wie werde ich Jude? Und wenn ja, warum?“ bei Heyne/Ludwig auf den Markt kam, war ich überhaupt gar nicht auf Social Media unterwegs. Das ist in sofern überraschend, weil ich meinen ersten Internetzugang zuhause bereits 1996 hatte. Ein PowerMac 7200 mit einem 56k Modem war mein Fenster zur WWWelt. Ich habe damals viel Zeit in Chatrooms verbracht, aber als Facebook aufkam, war mir die ganze Sache nicht geheuer. Ist sie mir bis heute nicht.

Aber ich hatte ja nun ein Buch geschrieben und das wollte vermarktet werden. Der Verlag hat zwar eine spannende Lesereise veranstaltet und mehrere Pressetermine organisiert, aber Online passierte so gut wie nichts. Meine wunderbare Frau Jenny hatte und hat bis heute einen Facebook-Account. Sie hat also für mich eine Seite eingestellt, erst als Buch-Seite und dann hat sie sie zur Seite einer „öffentlichen Person“ umgewandelt. Ich selbst hatte nie einen eigenen Account auf der Platform.

Ich, bzw. meine Seite fing an, Follower zu sammeln und ich habe sie mit kleinen Texten und Informationen zu Leseterminen und anderem umgarnt. Und das Schreiben für Internetmenschen fing an, Spass zu machen. Aber Facebook war mir weiterhin nicht geheuer.

Irgendwann beschlossen Jenny und ich, ein Blog zu starten. Dieses Blog der 13 Blumen. Hier schreiben wir über dies und das und auch noch jenes. Auf Facebook habe ich nichts mehr geschrieben, aber WordPress hat meine Texte dort automagisch geteilt.

Und dann kam Twitter. Wow. Ich dachte erst: Was soll der Quatsch? Und inzwischen habe ich mehr als 5k Follower.

Meine Online-Kommunikation ist mit Blog (und mit meinen Beiträgen auf Salonkolumnisten) und Twitter mehr als ausreichend. Ich brauche kein Facebook. Und auch keine anderen Sozialen Medien. Ich werde daher Jenny bitten, meine Facebook-Seite zu schliessen.

Aber es gibt dort so einige kleine Perlen an Texten, die ich nur dort veröffentlich habe. Sie sind teilweise 6 Jahre alt und ich bin auch nicht mehr bei jedem von ihnen meiner Meinung. Mensch entwickelt sich weiter. Aber verloren gehen sollen sie auch nicht. Daher werde ich sie nach und nach in dieses Blog rüberkopieren und im Erscheinungsdatum rückdatieren zu dem Zeitpunkt, auf dem sie in Facebook eingestellt wurden.

Die Menschen, die diesem Blog folgen, werden also demnächst ein paar verwirrende Emails bekommen, in denen sie auf neue alte Beiträge aufmerksam gemacht werden. Ich hoffe, ihr stöbert ein wenig darin rum und habt Freude an meinen alten Texten!

Danke!

 

Twitters Laienrichter

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Tsafrir Cohen, der Leiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv mit ihrem Büro auf dem noblen Rothschild-Boulevard, sagte dem Deutschlandfunk etwas zum kürzlich erneut aufgeflammten Gaza-Konflikt, das mich ärgerte. Er ist der Meinung, dass wir Israelis und alle die hier leben (und damit auch er selbst) leider mit den Raketen leben müssen, die ziellos auf bewohntes Gebiet in Israel abgefeuert werden, denn so würden sich die Leute in Gaza jeden Tag fühlen. Das ist in so vieler Hinsicht schrecklicher Unfug, dass ich auf Twitter schrieb: „Da möchte man fast wünschen, dass so eine Rakete auf die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv fällt.“

Man beachte das „fast“ vor dem „wünschen“ und auch den Zusammenhang. Ich möchte natürlich nicht, dass eine Rakete im Rothschild-Boulevard im Zentrum einer der dichtbesiedeltsten Städte der Gegend herunter geht. Ich wünsche es nicht mal der Rosa-Luxemburg-Stiftung selbst, dass ihre Belegschaft samt Leiter sich in den obligatorischen Bunkerraum zurückziehen muss und dann aus eben diesem befreit werden muss, falls eine Rakete ihr Gebäude zerstört. Ich möchte nur darauf hinweisen, wie unglaublich zynisch Herr Cohen ist, wenn er solches sagt.

Irgend ein Twitter-User hat diesen Tweet wegen „abuse and harassment“ gemeldet. Und ich finde, der Vorwurf passt sehr gut auf die Aussage von Herrn Cohn. Nur nicht auf meinen Tweet. Deswegen habe ich der Sperrung widersprochen. Warum soll ich 7 ganze Tage meiner geliebten Timeline fremd bleiben, weil Herr Cohn ein menschenverachtendes Statement gemacht hat? Ich?

Twitter wurde vom NetzDG dazu verdonnert, Tweets zu moderieren. Es ist natürlich richtig, dass nicht jeder Müll einfach so stehen bleibt. Es ist nur nicht richtig, wie es umgesetzt wird. Und daran ist nicht mal Twitter selbst schuld. Das NetzDG verpflichtet Twitter, Richter und Vollstrecker in einem zu sein und gleichzeitig noch Anwalt und Staatsanwalt. Das finde ich mehr als problematisch. Das Argument, dass Twitter selbst entscheiden dürfen muss, wer was auf ihrer Plattform sagt, auch wenn es gegen kein Gesetz verstößt, greift zu kurz. Die Plattform ist zu groß, zu wichtig, als dass sie rein privatwirtschaftlich betrachtet werden kann.

Mein Widerspruch wurde drei Tage lang ignoriert. Das war leider nicht anders zu erwarten. Ich habe also klein beigegeben und den Tweet gelöscht (im Grunde aber: Der bereits erfolgten Löschung zugestimmt). Die 7 Tage zählen ab diesem Moment. Jetzt sind es noch vier Tage und 7 Stunden. Dann komme ich wieder und muss in Zukunft höllisch aufpassen. Die Laienrichter bei Twitter sind eben meistens nicht in der Lage, einen Tweet im Zusammenhang zu beurteilen und der Widerspruch ohne Unterstützung durch einen Anwalt zwecklos. Die Schere im Kopf, die meine Tweets verorwellt, wird wohl in Zukunft schneller zuschnappen.

Äpfel und Birnen vergleichen

apfelbirne

Es gibt Leute, die sagen, man könne Äpfel und Birnen nicht vergleichen. Doch das stimmt nicht. Hier der Beweis:

Apfel Birne Übereinstimmung
Form rundlich, Stil am oberen Ende „birnenförmig“, also unten meist breiter und oben spitz zulaufend mit abgeflachtem Abschluss nein
Farbe verschiedene Farben, meist grün oder rot und Musterungen meist grün, manche Sorten werden in der Reife gelb nein
Geschmack süß-sauer süß, sämig, leicht bitter nein
Obstsorte Kernobst Kernobst ja
Gewächs Laubbaum, sommergrün Laubbaum, sommergrün ja
Familie Rosengewächse Rosengewächse ja
Fruchtart Scheinfrucht Scheinfrucht ja
Reife Erst sehr sauer, dann über die Reife immer süßer. Reift nach der Ernte nach. Anfangs viel Gerbsäure, teilweise ungenießbar. Reift nach der Ernte nach und wird sehr süß. nein
Lagerfähigkeit gut, steuerbar schlecht nein
Nutzung Frischobst, Sirup, Saft, Marmelade, Trockenobst, Alkoholika Frischobst, Sirup, Saft, Marmelade, Trockenobst, Alkoholika ja

Wie Sie sehen, es gibt in diesem Vergleich fünf Übereinstimmungen und ebenfalls fünf Unterschiede. Man kann also beide Früchte miteinander vergleichen. Warum also wird einem dann immer vorgeworfen, man würde Äpfel mit Birnen vergleichen, wenn man zwei verschiedene Themen vermischt?

Man kann grundsätzlich alles mit allem vergleichen. Fahrräder mit Hochhäusern, Sprachen mit Stromzählern und Telefone mit Nadelbäumen. Aber in den meisten Fällen kommt beim Vergleich eben heraus, dass sie nichts miteinander zu tun haben. Daher unterlässt man solche Vergleiche und konzentriert sich auf solche, wo der Vergleich einen Erkenntnisgewinn bringt.

Äpfel und Birnen sind besser zu vergleichen als Fahrräder mit Hochhäusern und Nadelbäumen. Sie haben tatsächlich Gemeinsamkeiten. Dennoch liefert der Vergleich keinen Erkenntnisgewinn und daher wurde dieser sinnlose Vergleich sprichwörtlich.

So gesehen gibt es Dinge, die sind tatsächlich unvergleichlich. Und dazu gehört auch der Holocaust. Lasst es bitte. Danke.

 

Antisemitismuskeule nur für Nichtjuden

Es war der 11. Oktober im Jahre 1998, als ein gewisser Herr Walser in der Paulskirche zu Frankfurt die „Antisemitismuskeule“ erfand. Das Wort dient bis heute dazu, Menschen mundtot zu machen, die Antisemiten als Antisemiten bezeichnen. Es beschreibt den Vorwurf, dass man durch voreiliges Bezeichnen eines Antisemiten als solchen den Antisemitismus an sich verharmlost. Da meist Betroffene den Antisemitismus anprangern, wollte Walser also die armen Juden vor sich selbst schützen.

Sie ist ein wunderbares Totschlagargument, diese Keule, denn sie beendet eine Diskussion, bevor sie überhaupt begann. Und ironischerweise wirft sie genau das vor: Jemanden oder etwas als antisemitisch zu brandmarken, würde den Betroffenen so weit diskreditieren, dass Argumente keine Chance mehr hätten.

Einer der Grundfehler dieses Konstrukts ist, dass in Deutschland Antisemitismus mit sechs Millionen toten Juden beginnt. Alles darunter ist entweder Israelkritik oder Religionskritik oder einfach eine Tatsache. Wer als Antisemit bezeichnet wird, ist also gefühlt ein sechsmillionenfacher Mörder.

Wir Juden dürfen also keine Antisemitismuskeule mehr schwingen. Wenn wir beklagen, dass wir mit Hass konfrontiert sind, dann verharmlosen wir Antisemitismus, ersticken die Diskussion und diskreditieren Israelkritiker und andere ehrbare Menschen. Schrecklich.

Der Gebrauch dieser Keule ist den Nichtjuden mit reinem Gewissen vorbehalten. So wie dem nicht-mehr-so-jungen und immer-noch-naiven Tilo Jung in seinem Tweet:

Was kommt als nächstes, BILD? „Was genau am Judentum den Leuten Angst macht“? Ihr habt nichts vom historischen und aktuellen Antisemitismus gelernt, den ihr angeblich bekämpft – Tilo Jung via Twitter

Dabei ist er doch selbst ein Antisemit, der anderen Antisemiten den Hof macht. Aber das darf ich nicht sagen. Bin ja kein Nichtjude (mehr).

 

Malen nach Zahlen für Antisemiten

malen_nach_zahlen_antisemiten

Nehmen wir mal an, zwei Autos fahren jeweils in eine Menschenmenge. Ein Auto tötet dabei fünf Menschen und verletzt weitere. Das zweite verletzt einen Menschen leicht und wie durch ein Wunder wird niemand getötet.

Die Sache ist klar: Der Fahrer des ersten Autos ist ein Mörder und der des zweiten nicht. Oder etwa nicht?

Der Fahrer des ersten Autos hatte technische Probleme. Seine Bremsen haben versagt. Er hat eine Mitschuld, da er sich nicht gut um die Wartung seines Autos gekümmert hat und dann noch etwas zu schnell gefahren ist. Fahrlässige Tötung in fünf Fällen ist das.

Der Fahrer des zweiten Autos rief lautstark „Allah HuAkhbar!“ und trat aufs Gaspedal angesichts der Menschenmenge, wurde aber von einem Poller aufgehalten, der zum Schutz der Zivilisten aufgebaut wurde. Den Menschen, die er nicht getötet hat, kann man nicht vorwerfen, dass sie nicht gestorben sind, um ihren potentiellen Mörder zu dem zu machen, was er ist: Ein Mörder.

Genau das tun Menschen in sozialen Medien aber, wenn es um die Opfer auf beiden Seiten im Konflikt um den Gazastreifen mit der Hamas geht. Die Opferzahlen werden aufgerechnet und als Beweis genutzt, dass Israel übermäßig Gewalt anwendet gegen die friedfertige Hamas.

Aber: Die Hamas sind die Mörder, die auf Kindergärten zielen und sie nur fast nie treffen. Die IDF wiederum sind im schlimmsten Falle fahrlässig, wenn sie bei der Verteidigung unserer Sicherheit Menschen töten. Im Grunde aber ist es auch die Hamas, die diese Opfer zu verantworten hat: Sie missachtet die Genfer Konventionen zur Unterscheidung von Kombattanten und Zivilisten sträflich, versteckt militärisches Material in zivilen Einrichtungen und treibt die Menschen in Gaza aktiv in den Tod. Diese doppelten Mörder!