
Die Corona Virusvariante „Pirola“ BA.2.86 ist in Deutschland angekommen. Im Umgang mit der drohenden nächsten Welle sehe ich im Grunde nur zwei Fraktionen. Also, bei denen, die nicht die ganze Pandemie einfach leugnen. Die kölsche Fraktion mit dem Lebensmotto (oder Sterbensmotto) „Et hätt noch immer jot jejange“ und die apokalyptische Fraktion, die das komplette Scheitern im Umgang mit der Pandemie und das Zusammenbrechen des Gesundheitssystems voraussagen, mindestens!
Kölsche Fraktion
Die kölsche Fraktion kann ich gut verstehen. Es gibt das „Survivor Bias“, das uns sagt, dass es tatsächlich gut gegangen ist, zumindest für einen selbst. Und die Massnahmen waren teilweise tatsächlich übertrieben und ihr Erfolg oder Misserfolg nicht einfach nachvollziehbar. Dazu kommen noch die Angstmacher, die von Impfschäden schwafeln und so einen Keim des Zweifels sähen, der dazu führt, dass man agnostisch und sich seinem Schicksal ergeben in die nächste Welle stürzt.
Apokalyptiker
Die Apokalyptiker dagegen malen ein Bild, das so schwarz ist, dass man Angst bekommt. Und das ist bei manchen auch das erklärte Ziel. Denn man denkt, man braucht ein Gegengewicht gegen dem kölschen Frohsinn, um Leute wachzurütteln. Doch man erreicht ein gegenteiliges Verhalten. Man befeuert den Drang, alles zu ignorieren und einfach zu hoffen, dass es „jot“ gehen wird.
Post-Mortem?
Die letzten Wellen wurden nicht wirklich aufgearbeitet. Zumindest nicht so, dass die Mehrheit der Bevölkerung versteht, was schief gegangen ist und was gut lief. In der Geschäftswelt macht man nach dem Abschluss eines Projektes, das teilweise oder ganz gescheitert ist oder auch nur nicht gut genug lief eine sogenannte „Post-Mortem“ Analyse. Man nennt es auch „Lesson-learned“, um die selben Fehler möglichst nicht zu wiederholen. Das haben wir verpasst. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Das ist schade, denn wenn man weiss, wie es gelaufen ist, dann muss man weder unter- noch übertreiben bei den Bewertungen der Gründe. Kölsche und Apokalyptiker haben keinen Platz in diesem Prozess.
Pre-Mortem!
Wie wäre es, wenn man schon vorher wüsste, warum ein Projekt schief gehen wird? Wenn man eine Pre-Mortem Analyse machen könnte, die genau so sachlich und unaufgeregt zu Ergebnissen kommt wie die Post-Mortem Analyse? Es klingt unmöglich, ist es aber nicht! Der Coach und Produktmanager Shreyas Doshi hat das Konzept der Pre-Mortem Analyse zwar nicht erfunden, aber doch in wichtigen Punkten weiterentwickelt. Die Grundidee ist, dass man so tut als wäre ein laufendes Projekt bereits schief gegangen und man dann im Team eine Post-Mortem Analyse macht um herauszufinden, woran es lag (also: gelegen haben wird). Dabei muss jedes Mitglied des Teams Gründe finden für das Scheitern, die in drei verschiedene Kategorien passen:
- Tiger
Ein Tiger ist ein echtes Problem, ein echter Grund für ein Scheitern - Papiertiger
Es gibt Probleme, die eigentlich gar keine sind, die aber von anderen als solche gesehen werden - Elefant
Der „Elefant im Raum“ ist ein Problem, das niemand anzusprechen wagt oder unter den Tisch kehrt und dessen Auswirkungen unklar sind
Benennt eine Person ein Problem als Tiger und eine andere als Papiertiger, dann hat man eine Diskussionsgrundlage ohne die übliche Konfrontation. Denn einen Papiertiger zu benennen ist implizit das Eingeständnis, dass dieses Problem eine echte Sorge ist, die man nicht ignorieren kann. Und zumindest in der Geschäftswelt hat sich statistisch gezeigt, dass Projekte mit laufender Pre-Mortem Analyse seltener scheitern. Und das beinhaltet auch die Projekte, die aufgrund von anwesenden Apokalyptikern aufgegeben wurden, bevor sie wirklich angefangen haben.
Pre-Mortem im gesellschaftlichen Diskurs
Die Methoden von Shreyas Doshi lassen sich natürlich nicht 1:1 auf politische Projekte wie die Abwendung einer drohenden Pandemie anwenden. Aber die Entspannung des Argumentation, die Konzentration auf die Sachebene und das Ausblenden der Agnostiker und Apokalyptiker, bringt jeden Diskurs voran. Es wäre eine echte Aufgabe, Methoden für die Implementierung von Pre-Mortem Analysen in der gesellschaftlichen Diskussion zu entwickeln. Vielleicht in Form eines neuen Fernsehformats?

Sag‘ was dazu!