Gastbeitrag von Katharina Tolle
Frage:
„Was machst du eigentlich beruflich?“
Antwort:
„Ich schreibe Geburtsgeschichten.“
Reaktionen:
„Aha. [Pause] Was genau machst du?“
„Oh nein. Noch ein Mama-Blog.“
„Verdient dein Mann so gut, dass du zu Hause bleiben kannst?“
„Wer kümmert sich bei euch eigentlich um die Kinder?“
„Das ist aber schon eher Hobby, oder?“
Doch von vorne. Jenny und ich lernten uns 2013 auf der Konferenz IsraMUN kennen. Seitdem verfolgen wir unsere Entwicklungen gegenseitig auf Facebook. Jenny ist eine großartige Ansprechperson, wenn es darum geht, von Unternehmerin zu Unternehmerin Tacheles zu reden. Wir haben nämlich etwas gemeinsam, das häufig immer noch nicht normal scheint: Wir wuppen unsere Selbstständigkeit und unsere Rollen als Mutter dreier Kinder. Deshalb freut es mich, dass ich auf den Dreizehn Blumen über ein Thema schreiben darf, dass Jenny und mich verbindet: Wie genau machen wir das eigentlich mit unserer Selbstständigkeit?
Familie und Selbstständigkeit schließen sich nicht grundsätzlich aus. In manchen Aspekten ist eine Selbstständigkeit sogar einfacher, als ein Angestellten-Job. Dennoch ist es nach wie vor nicht die Regel, sich als Mutter dreier kleiner Kinder selbstständig zu machen. Die Sicherheit eines geregelten Einkommens ist für viele der einzige Entscheidungsfaktor. Selbstständigkeit ist nun mal mit unternehmerischem Risiko behaftet.
Ich habe lange überlegt, wie genau ich das Thema aufreiße. Letztendlich entschied ich mich zu einer Aufzählung der Vorurteile, Risiken und Fragen, die mir seit meinem Sprung in die Selbstständigkeit am häufigsten begegnet sind. Ich wünsche mir, dass meine Reaktion auf diese Themen anderen Müttern den Mut gibt, über ihren Schatten zu springen und den Schritt hin zu mehr Eigenverantwortung zu gehen. Ich wünsche mir, dass diejenigen, denen diese Fragen immer wieder gestellt werden, schneller eine Antwort finden, so dass sie ihre Hirnleistung auf Wertvolleres ausrichten können. Und ich wünsche mir, dass diejenigen, die diese Fragen bisher stellten, verstehen, warum Frauen sich für die Selbstständigkeit entscheiden. Und trotzdem gute Mütter sind.
Mutter und Job
Ja, ich könnte ein ganzes Buch darüber schreiben. (Oh, gute Idee. Hey, ist jemand von euch in einem Verlag beschäftigt!?) Die Kurzfassung hier: Muttersein ist ein Vollzeitjob. Oh, und übrigens: Vatersein ist auch ein Vollzeitjob! Wir alle, die wir Kinder haben, richten unser restliches Leben nach diesen Kindern aus. Trotzdem kommt kaum jemand auf die Idee, dass ein Mann jetzt bitteschön seinen Job an den Nagel hängen sollte, weil er Kinder hat. Sollten Mütter ihren Job an den Nagel hängen? Nein. Sollten sie Unterstützung erfahren? Ja. Muttersein ist ein Vollzeitjob, und Muttersein ist ein Job, von dem man auch mal eine Auszeit braucht. Früher war es selbstverständlich, dass Familien, und besonders auch Frauen, sich mit ihren Kindern untereinander halfen. Ich backe das Brot, du passt auf. Jetzt schlachten wir gemeinsam ein Huhn. Wer gerade weniger Blut an den Fingern hat, hält das Kleinkind davon ab, in den Teich zu springen. Ja, diese Darstellung romantisiert. Und sie bringt es auf den Punkt: Über den Großteil unserer Menschheitsgeschichte wurden die Kinder zur Arbeit mitgenommen. Entweder von den Müttern, oder den Vätern, oder anderen Menschen. Für die Kinder war es eine Kombination aus Spielen, Lernen und Mithelfen. Die Erwachsenen teilten sich die Aufsicht. Erst in den letzten Generationen wurde die Trennung zwischen Arbeit einerseits und Kinderbetreuung andererseits immer schärfer. Das hat natürlich mit unserer Arbeitsteilung zu tun, und es hat auch mit veränderten Berufsbildern und dem Konzept der Kindheit zu tun. Aus einem logischen Grund (Mütter können stillen) fiel die Kinderbetreuung fast immer in die Hände der Mutter. Daraus kristallisierte sich dann auch, dass, wenn überhaupt, die Mutter ihre Arbeit aufgeben solle. Der Vater sollte weiter arbeiten gehen.
Ich bin mit Leib und Seele Mutter. Und ich bin auch noch so viel mehr. Dieses Mehr will ich auch weiterhin sein. Deshalb baue ich mir meine „Dorfgemeinschaft“, meine Familienunterstützung, wieder auf. Die Großeltern sind wunderbare Menschen, die in unserem Fall leider für die täglichen Bedürfnisse zu weit weg wohnen. Die örtliche Kindertagesstätte gefällt mir nicht in allen Punkten. Trotzdem gehen meine Kinder dort hin. Das hat nicht nur mit Logistik zu tun, sondern auch mit dem Wissen, dass es überall Aspekte geben wird, die mir nicht gefallen. Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass auch ich meinen Kindern nicht in allen Aspekten gefalle. Zusätzlich haben wir immer mal wieder eine Babysitterin. Sie kommt zwischendurch, obwohl ich zu Hause bin oder obwohl mein Mann zu Hause ist. Manchmal ist es einfach schön, eine helfende Hand zu haben. Und manchmal kommt sie, weil mein Mann und ich zusammen etwas unternehmen. Es ist selten — viel zu selten. Selten ist immer noch so viel besser als gar nicht! Sind wir privilegiert, weil wir genug Geld für die Kinderbetreuung haben? Ja. Ich würde mir wünschen, dass der Staat mehr dazu gibt, so dass es kein Privileg mehr ist! Bin ich eine Rabenmutter, die ihre Kinder abgibt? Nein. Wenn ich bei den Kids bin, bin ich nicht nur physisch da, sondern auch mental. Das könnte ich nicht, wenn ich nur noch die Kids hätte. Gibt es andere Frauen, bei denen es anders ist? Ja, die gibt es — und ja, das ist auch vollkommen okay so! Nicht jede Frau muss sein wie ich. Ich muss nicht sein wie jede Frau.
Fazit: Mütter waren über die größte Zeit unserer Menschheitsgeschichte berufstätig. Heutzutage kaufen wir uns das, was früher selbstverständlich zusammen getan wurde, wieder ein. Es ist manchmal mühselig, aber es geht. Mutter und Berufstätigkeit schließt sich nicht grundsätzlich aus. Muttersein mit bestimmten Arbeitszeitmodellen schon eher. Und damit sind wir beim nächsten Punkt:
Selbstständigkeit = Selbst * Ständig
„Als Selbstständige hast du doch nie Feierabend! Wie machst du das mit der Familie?“
Es erfordert eine gehörige Portion Selbstdisziplin, den Rechner auszumachen und pünktlich an der Kita zu sein. Gerne würde ich die Rechnung noch schnell schreiben… Und eigentlich müsste ich ja auch mal wieder neue Visitenkarten bestellen… Und ach, der Blogpost wartet ja noch auf die Überarbeitung. Ja, als Selbstständige hat meine eine nie endende Aufgabenliste. Ehrlich gesagt haben vermutlich fast alle Erwachsenen so eine Liste, egal, ob selbstständig oder nicht. Nur hängt bei Selbstständigen das Einkommen unmittelbarer davon ab, so dass der Druck entsprechend höher ist. Ich erzähle wohl kein Geheimnis, wenn ich verrate, dass ich unter der Dusche Blogposts im Kopf durchgehe, dass ich selbst auf dem Klo einen Notizblock für Ideen habe, dass ich auf dem Weg zum Zug überlege, wen ich anrufe wegen des nächsten Interviews. Ein kleiner Teil von mir ist tatsächlich ständig bei der Arbeit. Doch mal ehrlich: Wenn euch eure Arbeit wichtig ist, kennt ihr dieses Gefühl — auch, wenn ihr nicht selbstständig seid. Ein fester Zeitplan und die Fokussierung auf das wirklich Wichtige ist deshalb unumgänglich. Dabei hilft natürlich, das langfristige Ziel vor Augen zu haben und außerdem die Aufgaben nach dem Eisenhower-Prinzip abzuarbeiten. Ja, Selbstständigkeit hat auch mit Selbstmanagement zu tun. Das Schöne ist: Ich kann entscheiden, wann ich arbeite und wann nicht. „Mama, nächsten Donnerstag ist Vorlesetag. Kommst du?“ Vormittags mal eben in der Kita die Geschichte von Dingi dem Hafendetektiv vorlesen? Kein Problem. Dann arbeite ich dafür Samstagvormittag. Und in dieser Zeit habe ich auch den Notizblock dann nicht in der Hand. Höchstens im Rucksack. Selbstständigkeit bietet die Chance, die Arbeit dem Rest des Lebens anzupassen, nicht umgekehrt. Natürlich habe ich Kernarbeitszeiten und natürlich erwarten meine Kundinnen von mir, dass ich einen angenommenen Auftrag möglichst zügig auch abarbeite. Und das tue ich. Ob morgens um 4, bevor der Mittlere mich weckt, oder abends um 11, wenn das Baby mit verschnupfter Nase lieber im Kinderwagen draußen schläft und ich daneben sitze und meinen Monatsabschluss mache, interessiert keine Sau.
Damit kann man Geld verdienen?
Mit allem Sch*** verdienen Leute Geld. Dennoch hören selbstständige Frauen oft, dass ihr Thema ja wohl eher ein Hobby sei. Das Stichwort „Selbstverwirklichung“ spricht uns frei von jeglicher finanzieller Absicht. Und außerdem wäre es doch schade, wenn manche Leute nicht in den Genuss meiner Leistung kämen, nur, weil ich so teuer bin. Was für eine umgekehrte Welt! Ja, was ich tue, ist mir wichtig. Und ich kann das so nur tun, weil ich auch mein Geld damit verdiene! Es ist immer wieder erstaunlich, dass Menschen der Meinung sind, dass ich entweder Geld damit verdienen darf, oder es mir Spaß machen kann. Beides zusammen scheint unmöglich. Ich sehe das anders. Wir können Geld verdienen. Und es darf uns trotzdem gut tun, was wir tun.
Wie viel verdienst du damit so?
Das Gehalt von Selbstständigen ist nicht zu leicht zu berechnen. Wir haben Ausgaben, wir zahlen unsere Steuern auf das, was am Monatsende übrig bleibt. Wir kümmern uns um Sozialleistungen, für die bei Angestellten der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin aufkommt. In einer ehrlichen Diskussion halte ich nicht damit hinter den Berg, wie viel ich verdiene. Ich halte auch nicht hinter den Berg, welche Ausgaben ich habe und was davon auf die Firma läuft und was privat ist. (Nein, ich kann nicht alles als Kosten deklarieren, was meine Familie so an Ausgaben hat…) Selbstständigkeit kann sich lohnen. Es ist schön, wenn das so ist. In den Monaten, in denen das nicht so ist, kann ich immerhin sagen, dass ich meine Zeit mit etwas verbracht habe, was ich gerne tue und was den Frauen, für die ich arbeite, einen echten Mehrwert bringt.
Du bereitest doch bloß deine Scheidung vor
Mit wurde tatsächlich vorgeworfen, ich wollte mich ja bloß finanziell unabhängig machen, damit ich meine Scheidung durchsetzen könne, ohne danach mittellos dazustehen. Hallo, geht es noch!? Abgesehen davon, dass ich es total wichtig finde, finanziell unabhängig zu sein, um sich freiwillig — Achtung, Spoiler! — aus Liebe an jemanden zu binden, ist der Vorwurf, meine Selbstständigkeit sei die Vorbereitung meiner Scheidung, absoluter Humbuk. Ja, meine Firma ist meine Firma und mein Mann hat auf mein Firmenkonto keinen Zugriff. Trotzdem ist mein Herzensbusiness nur möglich, weil mein Mann mitzieht. Er unterstützt mich, wir beraten gewisse Themen auch zusammen („Wie viele Aufträge nehme ich in diesem Zeitraum an, wenn du da deine Jahrestagung hast und die Kitaschließzeit ansteht?“). Nein, ich bereite nicht meine Scheidung vor. Ich trage dazu bei, dass wir unsere gemeinsamen Träume leben können.
Du stellt deine Firma über die Familie
Ja. Nein. Ich stelle die Familie über die Firma und die Firma über die Familie. Jetzt, da ich diesen Beitrag schreibe, bin ich nicht für die Familie da. Dadurch, dass ich diesen Beitrag schreibe, kann ich später wieder bei meiner Familie sein. Ich stelle meine Selbstständigkeit nicht mehr über meine Familie, als jede andere Person das tut, wenn sie einen Job annimmt.
Das ist doch nur eine Phase
Kann sein. Und wenn? Dann mache ich in dieser Phase genau das, was ich machen will. Und wenn dann die nächste Phase kommt, dann mache ich das.
Das hat ja gar nichts mit deinem Studium zu tun
Nein, ich brauche keinen Abschluss in Politikwissenschaften mit Abschlussarbeit zu Somalia, um Geburtsgeschichten zu schreiben. Nein, ich brauche keinen Abschluss in Volkswirtschaft mit Abschlussarbeit zu Ruanda und Burundi, um Schwangerschaftstagebücher zu schreiben. Mein Lebensweg ist nicht geradlinig. Trotzdem waren meine Studienjahre keine „verschwendete Zeit“. Alles im Leben hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Viele Dinge aus der Studienzeit helfen mir jetzt. Vieles ist mir wichtig und hat Einfluss darauf, wie ich die Welt heute sehe. Ich weiß nicht, ob ich ohne das Studium diesen Weg gewählt hätte. Ich weiß, dass dieser Weg jetzt das ist, was ich will.
Kannst du auch noch über was anderes reden als Geburtsgeschichten?
Ja, kann ich. Und ja, tue ich auch. Es gab schon den Fall, dass Menschen mir nach einem Kennenlernen „vorgeworfen“ haben, dass ich ja gar nicht von meinem Business erzählt hätte. Ich erzähle davon, wenn es passt. Wenn es nicht passt, erzähle ich nicht davon. Wir unterhalten uns zum Thema Sommerurlaub? Da berichte ich vermutlich lieber vom Negev als von meinem Finanzkonzept. Ja, wir Frauen sind oft mit Leib und Seele selbstständig, wenn wir uns dafür entschieden haben. Wir sehen unser Business als Teil von uns. Wir freuen uns, wenn es wächst, und wir nehmen uns Kritik sehr zu Herzen. Deshalb schwanken wir zwischen zwei Extremen: „Ich liebe meinen Beruf und erzähle sofort allen alles darüber!“ und „Wenn ich das erzähle, finden die das bestimmt voll doof. Deshalb bleibe ich lieber ganz still und hoffe, dass mich niemand bemerkt.“ Keine Panik — wir finden auch ein Thema jenseits von Geburten, um zu quatschen. Wie wäre es mit Tanzen!?
Danke, dass ich das Schreiben darf, denn…
Der Sprung in die Selbstständigkeit ist für viele Frauen ein Sprung in die Unsicherheit. Es werden uns oft Steine in den Weg gelegt — manchmal absichtlich, manchmal unabsichtlich. Deshalb ist es so wichtig, dass wir wissen: Wir sind nicht allein.
Du, als Selbstständige, als Mutter, als Frau, als Weltverbessererin, du mit deinen unfertigen Projekten, mit deiner nicht makellosen Bude, mit all den Kleinigkeiten und großen Sorgen, mit den geheimen Tänzen durch’s Zimmer, wenn du einen Auftrag bekommst: Du bist nicht allein. Jenny, du, ich — wir sind die Generation Unternehmerinnen, die sich nur selbst aufhalten kann. Und du, die du den Sprung wagen möchtest: Du brauchst nicht perfekt sein, um Mehrwert zu bieten. Starte.
Und du, der du das liest und denkst: Die ist vollkommen durchgeknallt: Jop, kann schon sein 🙂 Danke, dass ich so durchgeknallt sein darf. Und jetzt: Shalom, sii juu. Mein Monatsabschluss wartet auf mich.
Über Katharina:
—
Katharina Tolle
Autorin von individuellen Geburtsgeschichten
Bloggerin
Ich nutze ein gmail-Konto. Wenn Sie mir Mails schreiben, stimmen Sie zu, dass Ihre Daten an Google übertragen werden.
Hinweise zum Datenschutz finden Sie hier: