#FragEinenJuden – Teil 4

Die ersten drei Teile habt ihr schon gesehen. Jetzt ist nach zwei Wochen Pause der vierte Teil fertig und ich hoffe, ihr seid genau so zufrieden damit wie ich. Noch mindestens ein weiterer Teil ist geplant.

In diesem Teil beantworten wir die Frage nach der jüdischen Küche ganz allgemein. Wollt ihr noch mehr wissen über Essen, Koscherregeln, Traditionelle Gerichte und andere Dinge zur Ernährung der Juden? Ich nenne uns nicht umsonst manchmal „die kulinarische Religion“. Schreibt es hier in die Kommentare oder unter dem Video oder einfach auf Twitter unter den Hashtag #FragEinenJuden!

#FragEinenJuden – Erklärvideos mit Marina Weisband

Marina Weisband ist eine Jüdin aus Deutschland. Sie nennt sich selbst gläubig, aber nicht religiös. Sie ist vielen Menschen in Deutschland bekannt, da sie lange Zeit das Gesicht und das Herz der Piratenpartei Deutschlands war und auch nach ihrem Ausscheiden dort eine Netzaktivistin und gefragte, kluge Stimme im politischen Diskurs geblieben ist.

Marina fragte auf Twitter ihre Follower: Was wollt ihr zum Judentum wissen? Denn der steigende Antisemitismus, der durch die Anschläge in Halle, Hamburg und Wien mörderisch wurde, lässt sich am effektivsten durch Bildung und Wissen begegnen.

Sie war von der Resonanz selbst überrascht und hat über 200 Fragen eingesammelt. Marina und ich kannten uns da noch nicht persönlich. Ich bot an, ihr bei der Beantwortung der Fragen zu helfen. Sie willigte ein und das Resultat sind bisher 3 Videos unter dem Titel #FragEinenJuden mit den Fragen der User und den Antworten von uns beiden, die wir in einem Rutsch aufgenommen haben und die Karol Kosmonaut dankenswerterweise in leicht verdauliche Häppchen geschnitten hat.

Es werden noch mindestens zwei Videos folgen, die wir auch bereits aufgezeichnet haben, und ich freue mich jetzt schon darauf und darüber und ich bin Marina sehr dankbar, dass sie mich an Bord geholt hat in diesem Projekt. Schaut rein!

Corona Rosch HaSchanah

Schofar im Monat Elul

Israel befindet sich im zweiten Lockdown zu den Hohen Feiertagen, auch wenn es ein „Lockdown-light“ ist verglichen mit dem ersten. Aber auch die Zeit zwischen den Lockdowns war von Corona Einschränkungen geprägt und das betraf natürlich auch die Synagogen, die nur mit Hygienekonzept arbeiten durften.

Ich bete normalerweise mindestens Montags und Donnerstags und zu besonderen Tagen in der Synagoge das Morgengebet. An diesen Tagen wird aus der Torah gelesen. Ansonsten bete ich auch gerne mal zuhause. Die Faulheit siegt. Während der Corona-Zeit brauche ich keine Faulheit mehr. Stay home heisst die Devise und so habe ich mein Morgengebet komplett in die eigenen vier Wände verlegt.

Doch im Monat Elul, der dieses Jahr auf August und September gefallen ist, bin ich in der Vergangenheit jeden Morgen brav in die Synagoge gegangen. Denn nicht nur ist uns im Monat Elul G’tt spirituell am nächsten ist, es ist auch der Monat des Schofarblasens. Das Horn des Widders, das an die Opferung Isaaks erinnert, den G’tt als Opfer von Abraham verlangte und ihn verschonte und Abraham dann einen Widder an seiner Statt geopfert hat. Den täglichen Klang des Horns wollte ich nicht verpassen. An Rosch HaSchanah ist der Höhepunkt des Schofarblasens, an dem minutenlang genau festgelegte Tonfolgen geblasen werden.

Aus der Not macht Mensch gerne eine Tugend. Ich kaufte mir also einen Schofar in einem der vielen Läden hier im Ort, die Judaica, also Bedarf für den Religiösen Mensch anbieten und übte. Am Anfang klang das noch schwierig.

Schwer ist jeder Anfang

Doch ich übte jeden Morgen und nach drei Wochen klang es schon deutlich besser.

Schon besser…

Rosch HaSchanah kam und mit ihm der Lockdown. Unsere Gemeinde hat ihre Beter in vier Gruppen unterteilt, zu denen man sich vorher anmelden musste. Ich habe draussen vor dem Gebäude gesessen und zum Gebet am ersten Tag Rosch Haschanah, der auf den Schabbat viel, sehr geschwitzt. Am Schabbat wird kein Schofar geblasen. Der Gabbai (Synagogendiener, der das Gebet organisiert) kam am Abend des ersten Tages zu mir und fragte mich, ob ich Schofar blasen könne. Derjenige, der eigentlich blasen sollte, wurde von der Polizei in die Quarantäne geschickt. Am Schabbat.

Kurzfristiger ging es nicht. Ich dachte: Ok, wenn Not am Mann ist, bin ich da (Frauen dürfen bei uns Orthodoxen leider keinen Schofar blasen). Ich brachte meinen Schofar am nächsten Morgen mit zum Gebet, bekam einen weissen Kittel übergeworfen und wurde an das Gebetspult gestellt. Dieser Kittel sieht aus wie eine Mischung aus Malerkittel und Schlafanzug und wird üblicherweise von Vorbetern und Schofarbläsern getragen. Ich sprach die Gebete für den Schofarbläser und die Segenssprüche und die Gemeinde wiederholte sie. Ich war aufgeregt. Mein Hebräisch ist okay, aber ich habe da Texte vorgelesen, die ich noch nie gelesen habe.

Nach den ganzen Segenssprüchen kamen dann die Schofartöne. Ich blas. Und blas. Und machte dabei Fehler und musste wiederholen. Der Gabbai war gnadenlos. Ich wurde nach einigen Tönen erlöst und von einem anderen Beter abgewechselt, der mit gleich zwei Schofarhörnern erschienen ist.

Ich hätte gerne noch mehr Töne geblasen, zumindest zum Schluss. Der Gabbai hatte das in Aussicht gestellt und dann kurzfristig umentschieden. Ich war ein wenig geknickt.

Zuhause erwartete mich meine Frau Jenny und die Kinder. Sie war zum ersten Mal überhaupt zu Rosch HaSchanah nicht in der Synagoge. Ich blas also für sie den Schofar. Aber nicht nur für sie. Unser Nachbar, der auch in Quarantäne ist, wollte ihn auch hören. Ich stand also auf dem Balkon, der Nachbar sprach die Segenssprüche und ich blies, bis mir die Lippen brannten. Die ganze Nachbarschaft hörte zu. Es gab Rufe der Zustimmung und sogar Applaus. Ich war zufrieden und hatte vergessen, dass ich kurz zuvor noch geknickt war wegen der Auswechslung.

Während des darauf folgenden wohlverdienten Mittagsschlaf klopfte es plötzlich an der Tür. Zwei mir völlig unbekannte Frauen standen dort und sagten: „Wir haben dich vorhin so schön Schofar blasen gehört. Wir sind unten im Hof mit jemandem, der so gerne den Schofar hören will und im Rollstuhl sitzt. Kannst Du kurz herunterkommen und für ihn blasen?“ Ich zögerte kurz (auch in Israel gibt es Mittagsruhe, und der Schofar ist laut!) und dann kam ich mit runter. Es war doch eine wichtige Mitzwah! Ich erwartete einen Alten im Rollstuhl, aber ich fand ein junger Mann Anfang zwanzig vor. Zwei Schläuche kamen aus seinem Kopf, der in einem Verband steckte und die Schläuche endeten in einer Aparatur. Der junge Mann konnte kaum sprechen oder gehen. Ich kam zu ihm (2m Abstand…) und als er mich sah, bestand er darauf, gestützt zu werden und aufzustehen, während ich den Schofar blase. Und ich blies und mir kamen dabei die Tränen.

Ich bin so froh, dass ich mir vor einen Monat den Schofar gekauft habe und gelernt habe, ihn zu blasen. Ich konnte Menschen damit berühren und wurde berührt. Und meine Kinder haben Rosch HaSchanah auch viel direkter erlebt als in den Jahren davor. Denn auch sie durften mal probieren, aus dem Horn einen Ton zu quetschen und waren dabei sogar relativ erfolgreich. Auch meine kleine Tochter! Orthodox hin oder her.

Bücher lesen während der Corona-Krise

Wenn man Abends müde auf dem Sofa sitzt und durch die Timelines der Social Media Kanäle scrollt, bekommt man das Gefühl, dass sehr viele Menschen den ganzen Tag Bücher lesen. Natürlich sind Bilder eine Momentaufnahme, aber tatsächlich zeigt eine Studie, dass das Bücher lesen während der Corona-Krise um 26% zugenommen hat. Das ist eine tolle Nachricht. Bei mir sind es wahrscheinlich eher 5%.

Neben Arbeit, Homeschooling, Home-Kindergartening und Sonstigem komme ich nicht viel dazu, zu lesen.

Trotzdem freue ich mich über die extra Paar Minuten mehr, in denen ich lesen kann.

Zurzeit lese ich dieses tolle Buch:

Schwestern der Revolution: Aktivistinnen im Kampf gegen Diktatur und Unterdrückung: Amazon.de: Bernecker, Arabelle, Glass, Susanne, Kolb, Bernd: Bücher

Es sind verschiedene Geschichten von Frauen, die friedliche Revolutionen in den letzten Jahren und Jahrzehnten in verschiedenen Ländern vorangetrieben haben.

Welches Buch lest ihr gerade?

Frauen sind die Verlierer der Corona-Krise

Dass Frauen systemrelevant sind und gleichzeitig schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen, wissen wir nicht erst seit der Corona-Krise.
Allerdings stoßen Frauen auf weitere Probleme, die mit den Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens zurzeit einhergehen. Homeschooling und häusliche Gewalt.

 

Seit nun vier Wochen ist hier in Israel alles dicht: Schulen, Kitas, Cafés, alles was nicht lebensnotwendig ist. Kurz darauf wurde auch in Deutschland alles zugemacht. Das hatte zur Folge, dass viele Menschen ihre Jobs zeitweise oder ganz verloren haben, Unternehmen ihre Aufträge verloren haben und sich viele Menschen auf neue beruflichen Realitäten anpassen mussten. Das betrifft auch mich mit meiner Firma. Alle Aufträge für dieses Jahr sind auf Eis gelegt.

Anders sieht es jedoch bei den Menschen aus, die in den sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten. Dazu zählen unter Anderem medizinische Berufe und alle, die sich um die Lebensmittelversorgung kümmern. Meistens arbeiten Frauen in diesen Berufen. Diese Frauen müssen weiter arbeiten, während ihr Familien zu Hause sind. Teilweise arbeiten sie sogar mehr als vorher. Die Bezahlung in diesen Berufen, außer ÄrztInnen vielleicht, ist sehr schlecht. Die Diskussion darüber muss nach Corona weiter geführt werden.
Eine zusätzliche Belastung für Frauen ist das Homeschooling. Da in vielen Familien, vor allem mit kleinen Kindern, die Männer Vollzeit arbeiten und mehr verdienen, ziehen die Frauen den Kürzeren und übernehmen das Homeschooling. Leider ist es bei uns auch so. Mein Mann arbeitet im Hightech als Produktmanager und muss weiter den Großteil der Arbeit wie gewohnt machen, Meetings, Präsentationen usw. Ich, als Selbstständige muss mich eben um unsere drei Kinder kümmern. Meine Aufträge für dieses Jahr liegen zwar auf Eis, aber auf dem Eis möchte ich nicht liegen. 😉 Ich versuche jetzt die Projekte weiter zu machen, die ich mir schon lange vorgenommen hatte und nicht dazu gekommen bin. Ich schreibe ein Buch und bereite einen Online Kurs vor. Viel Zeit zum Arbeiten bleibt mir aber nicht. Drei Kinder rund um die Uhr zu betreuen, ist ein harter Job. Wir genießen die Zeit zu fünft wirklich sehr, einfach ist es aber nicht.

Ein letzter und wichtigster Punkt, warum Frauen die Verlierer dieser Corona-Krise sind, ist häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder. Die Zahlen sind bereits nach den jetzigen Berechnungen in Deutschland um mindestens 10% höher als im Vorjahr. Weltweit ist der Anstieg vermutlich noch stärker. Vor allem trifft es Frauen besonders hart in Ländern, wo häusliche Gewalt nicht mal illegal ist, wie es in Russland der Fall ist. Auch dieses Problem muss auch nach der Corona-Krise im Fokus des gesellschaftlichen Diskurses bleiben.

Ist die Gleichberechtigung schon da?

Entstanden ist der 8te März als Initiative zur Gleichberechtigung von Frauen und Wahlrecht für Frauen.Das Wahlrecht gibt es immer noch nicht in allen Ländern. Und die Diskussion, ob Frauen heute in den westlichen Ländern gleichberechtigt sind, erstaunt mich. Dass die Frauen heute eine bessere gesellschaftliche Stellung haben als noch vor 10, 20, 50 Jahren ist unbestritten. Aber dass Frauen heute bereits die Gleichberechtigung erreicht haben, ist eine Ausblendung der Realität.
Dass die Gewalttaten gegenüber Frauen immer noch so verbreitet sind ist nur ein Indikator. Wenn man seine Frau, Freundin, Mitarbeiterin auf Augenhöhe betrachten würde, käme man nicht auf die Idee, die männliche, meistens körperliche Überlegenheit auszunutzen und den Frauen Gewalt antun.
Im Business und in der Politik erlebe ich regelmässig, dass Frauen nicht ernstgenommen werden, belächelt werden, schlechter bezahlt werden. Mit dem Argument, dass sich Frauen schon alleine durchsetzen können, wenn sie wollen, kann ich nichts anfangen. Frauen wurden im beruflichen Leben so lange übergangen, unterdrückt, dass es wohl nicht verwunderlich ist, dass die meisten Angst haben, laut ihre Forderungen im Beruf zu stellen. Das erlebe ich so oft. Frauen kommen zu mir und bitten mich um Rat, wie sie sich beruflich durchsetzen können oder sich trauen, auf Veranstaltungen Männer anzusprechen und ihre Business Idee vorzustellen. Ja, Frauen haben es absolut drauf, aber oft teilen die Männer alles unter sich auf. „Auch noch Expertinnen auf ein Panel einladen? Dann habe ich ja keinen Platz mehr.“
Auch die Gesetzgebung und die Gesellschaft stehen Frauen oft im Weg, vor allem wenn sie auf die verrückte Idee kommen, Kinder zu kriegen und beruflich erfolgreich sein zu wollen. Als ich nach zwei Jungs eine Tochter bekam, sagte mir ein Nachbar: „Ah, jetzt hast du dir eine Helferin im Haushalt geboren.“ Ja, wir leben in Israel und nicht in Deutschland, aber Israel ist ein sehr europäisches und liberales Land. Auch in Deutschland höre ich ähnliche Sätze.
Das sollte eigentlich nur ein ganz kurzer Post werden…
Danke an die Männer, die es als selbstverständlich nehmen, Frauen auf Augenhöhe zu behandeln.
Die anderen Männer, versucht euch in die Situation der Frauen reinzuversetzen.

Und an die Frauen: „Ihr seid toll, klug, ehrgeizig! Kämpft weiter für unsere Rechte! Alles Gute zum Weltfrauentag!“ 💪🏼

Dein Mann ist eben keine Mutter

Darf eine Frau, die auch noch Mutter ist, eigentlich auf Geschäftsreise gehen? Die meisten werden wahrscheinlich sagen: „Na klar.“ Darf aber diese Frau und Mutter ihren Mann und den Vater der Kinder mit den Kindern allein lassen? Da sehen die meisten Antworten leider anders aus. Heute bin ich auf meine vermutlich längste Geschäftsreise aufgebrochen. Ich bin die ganze Arbeitswoche weg und komme kurz vor Schabbat wieder zurück.

Was meint ihr wieviele Male ich in den letzten Tagen gefragt wurde: „Was? Dein Mann bleibt alleine mit den drei Kindern zu Hause? Wie wird er es schaffen?“ Meine Antwort war dann: „Wenn er auf Geschäftsreise ist, bin ich doch auch mit den Kindern alleine.“ Dann kommt immer dieselbe Reaktion nämlich, dass das doch nicht dasselbe sei. Ich frage dann provokativ: „Warum?“ Die Antwort lautet dann meistens: „Naja, er ist ja keine Mutter.“

Mit manchen diskutiere ich dann weiter, bei manchen lasse ich es bleiben.

Unsere Kinder sind jetzt 7,4 und 1. Doch ich erinnere mich, dass es auch schon so war, als wir nur ein Kind hatten oder zwei. Also ist es nicht unbedingt die Anzahl der Kinder, um die sich ich oder mein Mann in dem Fall alleine kümmern, die die Menschen wundert, sondern wer sich um die Kinder kümmert.

Viele Diskussionen rund um Women Empowerment drehen sich gerade darum, ob man die ganzen Initiativen braucht, um Frauen zu unterstützen oder ob die Frauen es ganz alleine schaffen sollen.

Meiner Meinung nach ist es notwendiger denn je. Es gibt immer mehr Frauen, die Karriere machen und erfolgreich sind, aber die Probleme und mangelnde Unterstützung seitens der Gesellschaft sind gravierend. Viele Frauen trauen sich nicht, diese Gleichberechtigung von der Gesellschaft einzufordern.

Von meinem Mann habe ich diese Gleichberechtigung von Anfang an eingefordert, was jetzt in meinem Fall einfach war. Auf Diskussionen über die Gleichberechtigung lasse ich mich auch ohne Probleme ein. Aber wie oft habe ich von Freundinnen, Bekannten oder Frauen, die ich auf Veranstaltungen oder online kennen lerne, gehört: „Ich bewundere dich so sehr für deinen Feminismus. Ich schaffe es nicht, meine Gleichberechtigung einzufordern“. Das macht mich traurig. Ich versuche, diesen Frauen Mut zu machen. Und ich versuche ein gutes Beispiel zu sein, dass man Mutter von drei kleinen Kindern sein kann und eine Geschäftsfrau.

Ich wette, mein Mann wurde noch nie vor einer Geschäftsreise gefragt: „Was? Deine Frau bleibt alleine mit den drei Kindern zu Hause? Wie wird sie es schaffen?“

Kommunalwahlen in Israel, deutsche Journalisten und die Neueinwanderer Partei

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Das neue jüdische Jahr hat im September begonnen. In diesem Jahr 5779 stehen Israel zwei wichtige Wahlen bevor: Die Kommunalwahlen, wo am 30. Oktober in den Kommunen die Bürgermeister und der Stadtrat gewählt werden und die Parlamentswahlen für die Knesset, voraussichtlich Anfang 2019.

Bei den Kommunalwahlen sind sowohl Parteien vertreten als auch unabhängige Kandidaten und Listen, die keiner politischen Partei zugehörig sind. Anders als bei den Parlamentswahlen, hat man bei den Kommunalwahlen zwei Stimmen, eine für den Direktkandidaten als Bürgermeister und eine Stimme für eine Liste für den Stadtrat. Außerdem können bei den Kommunalwahlen nicht nur israelische Staatsbürger wählen und gewählt werden sondern auch sogenannte „permanent residents“, also Anwohner mit ständigem Wohnsitz.

Es ist das erste Mal, dass ich mich aktiv an beiden Wahlen beteiligen werde. Bei den Kommunalwahlen helfe ich der Liste meiner Partei Yesh Atid in unserer Stadt Ra’anana bei dem Bürgerdialog. Obwohl in unserer Stadt vieles sehr gut läuft, gibt es dennoch Luft nach oben. Zum Beispiel will die Liste meiner Partei die Stadt attraktiver für junge Menschen machen, eine eigene Polizeistation etablieren und einiges mehr. Bei den Parlamentswahlen wiederum werde ich das Social Media Team für Englische Inhalte von Yesh Atid leiten.

Ich kenne aber auch einige Kandidaten für den Stadtrat in Jerusalem und war enttäuscht zu lesen, dass die einzige Frau ihre Kandidatur zurückgezogen hat. Die Nachricht darüber sah ich zum ersten Mal auf Twitter bei der von mir geschätzten deutschen Journalistin Lissy Kaufmann. Sie Kommentierte:

„Gestern stieg der arabische Kandidat Aziz Abu Sarah aus dem Rennen um den Bürgermeisterposten in Jerusalem aus – jetzt die einzige Frau.“

Dieses Kommentar lässt den Schluss zu, dass man in Israel und im Besonderen in Jerusalem nicht zulässt, dass ein Palästinenser oder eine Frau Bürgermeisterkandidaten bleiben. Die Wahrheit ist aber, dass man in Israel die kosten der Kampagne komplett selbst tragen muss, wenn man nicht eine Mindestzahl an Stimmen geholt hat. Und so passiert es gerade in vielen Städten, dass sich Direktkandidaten zurückziehen, weil sie anhand der Umfragen sich keine großen Chancen ausmalen. Sie verbünden sich oft mit einem anderen Kandidaten und lassen sich und ihr Team auf dessen Liste setzen. So haben sie dennoch eine Chance auf einen Sitz im Stadtrat und können ihre politische Arbeit dort umsetzen. Im Fall der Rachel Azaria in Jerusalem war es wohl so, dass sie nach Umfragen keine Chance mehr für sich sah.

Der palästinensische Kandidat wiederum hat ein juristisches Problem. Er ist zwar Anwohner von Jerusalem ist aber keiner mit ständigem Wohnsitz, was für die Wahl zwingend notwendig ist. Es ist schade, dass beide nicht mehr kandidieren, aber die Suggestion im Tweet, dass sie zurückgetreten sind weil sie arabisch oder weiblich sind, ist nicht zutreffend.

Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie man mit Hilfe von Fakten Unwahrheiten transportieren kann. Und das passiert im Deutschen Journalismus leider viel zu oft.

Aber aus Tel Aviv erreichte mich eine gute Nachricht: Eine gute Freundin, zwei Bekannte von mir und noch ein paar weitere haben sich zu einer Partei zusammen geschlossen und kandidieren für den Stadtrat. Die Partei besteht ausschliesslich aus Neueinwanderern (Olim), etwa aus Deutschland, Russland, USA und anderen Ländern. Sie werden hoffentlich die Bedürfnisse von uns Neuankömmlingen mehr Gehör verschaffen. Denn die Probleme dieser Menschen liegen alle auf kommunaler Ebene.

Deswegen freut es mich, dass die Kommunalwahlen nicht von Parteipolitik der nationalen Parteien bestimmt sind und freie Kandidaten und Listen ihr Glück versuchen.

Wie jung und hübsch sie doch ist!

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Twitterprofil von Sawsan Chebli

Vorfall: Ich sollte heute Morgen eine Rede halten. Vier Frauen sitzen auf dem Podium. Ich setze mich auf den reservierten Platz in die erste Reihe. Vorsitzende vom Podium aus: „Der Staatssekretär ist nicht da. Ich würde sagen, wir fangen mit den Reden dennoch an.“ Ich antworte ihr aus der ersten Reihe: „Der Staatssekretär ist da und sitzt vor Ihnen.“ Sie antwortet: „Ich habe keinen so jungen Mann erwartet. Und dann sind Sie auch so schön.“ Ich war so geschockt und bin es immer noch. Ich bin jedenfalls ans Pult: „Sehr geehrte Frau Botschafterin a.D., es ist schön, am Morgen mit so vielen Komplimenten behäuft zu werden.“ Im Saal herrschte Totenstille. Dann habe ich meine Rede abwechselnd in deutscher und englischer Sprache frei gehalten. Es war ein internationales Forum. Klar, ich erlebe immer wieder Sexismus. Aber so etwas wie heute habe auch ich noch nicht erlebt.

Diese Geschichte ist genau so passiert, nur die Geschlechter waren vertauscht. Den Originalpost von Sawsan Chebli findet ihr hier. Einen Text mit Hintergründen gibt es in der Morgenpost.

Viele Reaktionen, die ich zu diesem Vorfall gelesen habe, deuten an, dass es ja nichts Schlimmes ist, wenn man einer schönen Frau ein Kompliment macht. Doch wenn man die Geschlechter verdreht, wird es hoffentlich deutlich, wie absurd das ganze ist.

Es ist schon bezeichnend, dass auf dem Podium ausschließlich Männer saßen. Und die Ignoranz, die man aufbringen muss, um eine anwesende Person zu ignorieren, nur weil sie nicht ins übliche Schema passt, kommt nicht von ungefähr. Die Politik in der westlichen Welt wurde zu lange von alten, weißen Männern gemacht. Und das trifft nicht nur Frauen, die sich in die Geschicke der Welt einmischen wollen: Obama ist als erstes ein Schwarzer und dann erst Präsident, Sebastian Kurz ist jung, Troudeau ist gutaussehend und Macron hat eine alte Frau.

Dabei sollte es in der Politik um Inhalte gehen. Äußere Attribute sind keine. Und in diesem Fall sind sie geradezu sexistisch: Frau Chebli wurde erst übersehen, obwohl sie anwesend war und dann wurde ihr ein fragwürdiges Kompliment für ihr Äußeres gemacht. Als ob es unmöglich ist, eine erfolgreiche Politikerin und eine junge Schönheit gleichzeitig zu sein.

Ob der Vorsitzende des Podiums ein Sexist ist, ist gar nicht die Frage. Die Situation war sexistisch und es liegt nicht an dem einen Mann, der falsch reagiert hat, es liegt daran, dass es eben tatsächlich eine Besonderheit ist, wenn junge, schöne Frauen sich inhaltlich einbringen. Denn sie werden auf dem Weg zur Politikerin immer wieder belächelt und nicht ernst genommen.

Es ist schon wahr, dass wir Frauen gerne Komplimente hören, vor allem wenn wir uns mit Kleidung und Make-Up viel Mühe geben, um gut auszusehen. Selbstverständlich gehöre auch ich dazu. Die Frage aber ist, ob es in genau diesem Moment passend ist. Wenn man etwa auf einer Aftershowparty sich unterhält und flirtet, spricht nichts dagegen, so ein Kompliment zu machen. Wenn man aber in der Funktion einer Staatssekretärin bei einer politischen Veranstaltung teilnimmt, ist der Spruch: „Sie sind ja eine schöne, junge Frau“ höchst sexistisch und unpassend.

Es ist noch immer schwierig für eine Frau, gerade in der Politik, in die festgefahrenen männlichen Netzwerke einzubrechen und eine wichtige Position zu erreichen. Ich erlebe auch immer wieder, dass man als Frau oft nicht ernst genommen wird und einer Frau oft weniger zugetraut wird. Und das ist Sexismus. Auch ganz ohne Anzüglichkeiten.

Ich habe inhaltlich große Differenzen mit Sawsan Chebli. Wir wären auf einer politischen Bühne erbitterte Gegnerinnen. Aber mit ihrem Aussehen hätte das überhaupt gar nichts zu tun. Und mit meinem übrigens auch nicht.

Frauen in die Politik!

Ẁas bedeutet es für eine Frau, Karriere zu machen? Vor allem in der Politik?

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Mit meiner Freundin Tanya beim Event

Zu diesem Thema gab es gestern eine Diskussionsveranstaltung mit der Knessetabgeordneten Ksenia Svetlova in Tel Aviv (auf Russisch). Sie gehört zwar einer anderen Partei an als ich, aber das Thema interessiert mich. Daher fuhr ich zu der Veranstaltung.

In dem Gespräch erzählte sie über ihren Weg in die Politik und insbesondere darüber, welche Steine ihr als Frau in den Weg gelegt wurden.

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Ksenia Svetlova

Bevor sie ihre politische Kariere im Jahr 2015 startete, war sie eine sehr erfolgreiche israelische Journalistin. Sie hat Arabisch studiert und arbeitete viele Jahre für den russisch-israelischen Sender „9tv„. Während ihrer Arbeit dort ist es ihr im Jahre 2002 gelungen, als einzige Israelische Journalistin ein Interview mit dem gerade ernannten Finanzminister der Palästinensischen Autonomiegebieten Salam Fayyad zu führen, obwohl er in den ersten Monaten seiner Arbeit allen Anfragen von Journalisten grundsätzlich abgelehnt hat. Er wurde als Hoffnung für den Frieden gehandelt, da er einen neuen Kurs gegenüber Israel wollte und gegen die Korruption in den PA gekämpft hat.

Sie hat über Monate tagtäglich sein Büro angerufen und auf Arabisch gefragt, ob sie für einen israelischen Sender ein Interview machen kann. Irgendwann war seine Sekretärin so genervt, dass sie ihr verriet, wo er sich am nächsten Tag mit einer europäischen Delegation aufhalten würde. Ksenia fuhr also mit einem Kameramann nach Ramallah, mitten während der zweiten Intifada und schaffte es so, ein Exklusivinterview zu führen.

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Event Selfie

Sie erzählte über noch viele andere Erfahrungen in Gaza und in der arabischen Welt als Journalistin. Vor allem erzählte sie, dass sie bei jedem Schritt ihrer Karriere unterschätzt und nicht ernst genommen wurde. Der Grund war, dass sie eine Frau war.

Sie berichtete auch, wie sie 2014 von Tzipi Livni gefragt wurde, ob sie für Tzipis Partei Hatnuah (als Teil der Zionistischen Union) bei der nächsten Knessetwahl kandidieren will. Die ganze Geschichte war sehr spannend aber was für mich am interessantesten war, waren die Geschichten aus dem Innenleben der Knesset. Die anfängliche Abneigung gegen sie von Seiten der Männer war sehr groß. Sie musste darum kämpfen, ihre Sprechzeit, die ihr in den Ausschüssen zustand, auch zu bekommen. Mühsam lernte sie, dass sie ohne die anderen zu unterbrechen, nie zu Wort kommen würde.

Es kamen viele interessante Fragen von den Gästen. Eine Frau fragte etwa, welche Gesetze leicht und welche schwer durch Abstimmungen zu bekommen sind. Schwierige Themen für Gesetze sind ihr zufolge Wirtschaftsthemen, die große Unternehmen direkt betreffen. Aber es gibt auch einfache Gesetze, die ohne lange Vorbereitung durchs Parlament gehen. Allerdings ist deren Nutzen oft zweifelhaft. So hat etwa der Likudabgeordnete Oren Hazan (der mit dem peinlichen Trumpselfie) im letzten Jahr ein Gesetz eingebracht, demzufolge Israel offiziell nur noch „Medinat Israel“ (der Staat Israel) genannt werden darf. Für so ein triviales Gesetz riskiert niemand eine Koalition, auch wenn es absolut sinnlos Kosten für Formularneudrucke und mehr nach sich zog. Als hätten wir sonst keine Probleme…

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Aussicht aus dem Veranstaltungsort von der „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ auf Rothschildt in Tel Aviv