Das neue jüdische Jahr hat im September begonnen. In diesem Jahr 5779 stehen Israel zwei wichtige Wahlen bevor: Die Kommunalwahlen, wo am 30. Oktober in den Kommunen die Bürgermeister und der Stadtrat gewählt werden und die Parlamentswahlen für die Knesset, voraussichtlich Anfang 2019.
Bei den Kommunalwahlen sind sowohl Parteien vertreten als auch unabhängige Kandidaten und Listen, die keiner politischen Partei zugehörig sind. Anders als bei den Parlamentswahlen, hat man bei den Kommunalwahlen zwei Stimmen, eine für den Direktkandidaten als Bürgermeister und eine Stimme für eine Liste für den Stadtrat. Außerdem können bei den Kommunalwahlen nicht nur israelische Staatsbürger wählen und gewählt werden sondern auch sogenannte „permanent residents“, also Anwohner mit ständigem Wohnsitz.
Es ist das erste Mal, dass ich mich aktiv an beiden Wahlen beteiligen werde. Bei den Kommunalwahlen helfe ich der Liste meiner Partei Yesh Atid in unserer Stadt Ra’anana bei dem Bürgerdialog. Obwohl in unserer Stadt vieles sehr gut läuft, gibt es dennoch Luft nach oben. Zum Beispiel will die Liste meiner Partei die Stadt attraktiver für junge Menschen machen, eine eigene Polizeistation etablieren und einiges mehr. Bei den Parlamentswahlen wiederum werde ich das Social Media Team für Englische Inhalte von Yesh Atid leiten.
Ich kenne aber auch einige Kandidaten für den Stadtrat in Jerusalem und war enttäuscht zu lesen, dass die einzige Frau ihre Kandidatur zurückgezogen hat. Die Nachricht darüber sah ich zum ersten Mal auf Twitter bei der von mir geschätzten deutschen Journalistin Lissy Kaufmann. Sie Kommentierte:
„Gestern stieg der arabische Kandidat Aziz Abu Sarah aus dem Rennen um den Bürgermeisterposten in Jerusalem aus – jetzt die einzige Frau.“
Dieses Kommentar lässt den Schluss zu, dass man in Israel und im Besonderen in Jerusalem nicht zulässt, dass ein Palästinenser oder eine Frau Bürgermeisterkandidaten bleiben. Die Wahrheit ist aber, dass man in Israel die kosten der Kampagne komplett selbst tragen muss, wenn man nicht eine Mindestzahl an Stimmen geholt hat. Und so passiert es gerade in vielen Städten, dass sich Direktkandidaten zurückziehen, weil sie anhand der Umfragen sich keine großen Chancen ausmalen. Sie verbünden sich oft mit einem anderen Kandidaten und lassen sich und ihr Team auf dessen Liste setzen. So haben sie dennoch eine Chance auf einen Sitz im Stadtrat und können ihre politische Arbeit dort umsetzen. Im Fall der Rachel Azaria in Jerusalem war es wohl so, dass sie nach Umfragen keine Chance mehr für sich sah.
Der palästinensische Kandidat wiederum hat ein juristisches Problem. Er ist zwar Anwohner von Jerusalem ist aber keiner mit ständigem Wohnsitz, was für die Wahl zwingend notwendig ist. Es ist schade, dass beide nicht mehr kandidieren, aber die Suggestion im Tweet, dass sie zurückgetreten sind weil sie arabisch oder weiblich sind, ist nicht zutreffend.
Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie man mit Hilfe von Fakten Unwahrheiten transportieren kann. Und das passiert im Deutschen Journalismus leider viel zu oft.
Aber aus Tel Aviv erreichte mich eine gute Nachricht: Eine gute Freundin, zwei Bekannte von mir und noch ein paar weitere haben sich zu einer Partei zusammen geschlossen und kandidieren für den Stadtrat. Die Partei besteht ausschliesslich aus Neueinwanderern (Olim), etwa aus Deutschland, Russland, USA und anderen Ländern. Sie werden hoffentlich die Bedürfnisse von uns Neuankömmlingen mehr Gehör verschaffen. Denn die Probleme dieser Menschen liegen alle auf kommunaler Ebene.
Deswegen freut es mich, dass die Kommunalwahlen nicht von Parteipolitik der nationalen Parteien bestimmt sind und freie Kandidaten und Listen ihr Glück versuchen.
„Der palästinensische Kandidat wiederum hat ein juristisches Problem. Er ist zwar Anwohner von Jerusalem ist aber keiner mit ständigem Wohnsitz, was für die Wahl zwingend notwendig ist.“
Stimmt schon, allerdings lohnt es sich an dieser Stelle deutlich genauer hinschauen. Der ehemalige palästinensische Bürgermeisterkandidat Aziz Abu Sarah hält seine Kampagne für erfolgreich:
“When we started this campaign, we hoped to achieve three goals. First, we sought to challenge the unjust Israeli legal system, which taxes Palestinians, denies them representation on local government bodies, revokes their residency status, and ignores their basic needs. Second, we hoped to challenge the election boycott movement, which has failed to preserve (and has even jeopardized) the Palestinian presence in Jerusalem. This opposition continues to fail to present a viable alternative or a strategy for how to help Palestinians in Jerusalem. Third, we hoped to encourage young Palestinians to make their voices heard, by voting and seeking representation on local councils. We have achieved all of these goals, thanks to the support of countless individuals.”
https://www.facebook.com/Aziz.abu.sarah.private/posts/10155824976527671?tn=K-R
Alles was die palästinensischen Jerusalemiten tun oder lassen, tun könnten oder lassen könnten hat strategische Auswirkungen auf die Entwicklung des gesamten Nahostkonfliktes.
Was wäre, wenn „Israels ewige und unteilbare Hauptstadt“ einen palästinensischen Bürgermeister hätte?
PS: Ich wünsche viel Elan, Vergnügen und Erfolg im Wahlkampf.
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