Gastbeitrag von Lexi

Screenshot von drei Posts auf Bluesky. volko_aldente: Danke dir für die spannenden Ausführungen! Was ich als Laie nicht herauslesen konnte, ist, wie in den Modellen jeweils mit den völkerrechtswidrigen jüdischen Siedlungen im Westjordanland umgegangen würde (je nach Perspektive), die Netanjahu aktuell ja nochmals ausweiten will.
Ich: Dass sie völkerrechtlich illegal sind, ist mindestens umstritten und es steht auch im Text.
volko_aldente: Quellen für diese Sichtweise?

Das Problem hier ist mal wieder, dass mit Begriffen geworfen wird, die maximale Behauptungen aufstellen, ohne die Nuancen der Realität zu beachten. Dazu zählt in dem Fall das Wort „völkerrechtswidrig“.

Rein rechtlich gibt es bisher keinen Staat Palästina mit festem Geltungsbereich. Es gibt zwei internationale Konventionen, welche das Gebiet betreffen: die erste ist der Grundsatz „Uti Possidetis Juris“, nach dem Israel die Grenzen seines Vorgängerstaates bei der Gründung erben würde.
Der Vorgängerstaat wäre das Britische Mandatsgebiet Palästina, allerdings hat Israel damals nur den westlichen Teil beansprucht und aus dem östlichen Mandatsgebiet wurde Jordanien.

Die zweite Quelle, die etwas über Israels Grenzen und Verhältnis zur West Bank / Judäa und Samaria aussagt, sind die Oslo-Abkommen. In diesen wurden die Gebiete vorerst in 3 Zonen unterteilt: Zone A untersteht der direkten Verwaltung der PA, Zone C der Israelischen Verwaltung, und Zone B soll gemeinsam verwaltet werden. Bei den Siedlungen geht es um die Zone C.

Was die Oslo-Abkommen zu dieser Aufteilung zu sagen haben, ist, dass eine abschließende Einigung die Grenze zwischen Israel und Palästina festlegen sollte, und dass sie bis dahin Verhandlungsmasse sind. Zu dieser Einigung kam es allerdings nie. Damit gibt es keine neue Rechtsgrundlage.

De jure ist es also schwer zu sagen, dass die Siedlungen in Judäa und Samaria bzw der West Bank völkerrechtswidrig seien, weil es einfach kein völkerrechtliches Abkommen gibt, gegen welches sie verstoßen würden.

Korrekt wäre, zu sagen, dass Israel hier kontraproduktiv auf die Folgeverhandlungen von Oslo einwirkt und versucht, den Verhandlungsspielraum der PA einzuschränken, indem es Fakten schafft. Man kann sich auch fragen, ob es moralisch vertretbar ist. Die Behauptung, dass hier Völkerrecht gebrochen wird, ist allerdings genauso falsch wie unnötig, es ist reine Effekthascherei.

Original Thread auf Bluesky.

Thema war mein Artikel „Alternativen zur Zwei-Staaten-Lösung“ bei den Salonkolumnisten.

3 Antworten zu „Sind die Siedlungen in Judäa und Samaria völkerrechtlich illegal?”.

  1. Avatar von Andreas Moser

    Ich bin mir nicht sicher, ob es eines speziellen Abkommens über genau das betroffene Gebiet bedarf, um den Status der israelischen Siedlungen im Westjordanland völkerrechtlich zu beurteilen.

    Die Meinung hinsichtlich der Völkerrechtswidrigkeit stützt sich ja hauptsächlich auf Art. 49 (letzter Absatz) der Vierten Genfer Konvention.

    Und nachdem auch der Internationale Gerichtshof das so sieht, weiß ich nicht, ob man das einfach als „unnötig“ und „Effekthascherei“ abtun kann. Ich finde, dass man es anders sehen kann als der IGH, insbesondere wenn man „Umsiedlung“ wegen des Zusammenhangs mit „Deportation“ als Zwangsumsiedlung sieht. (Wobei man auch das wieder anders sehen kann, nämlich mit dem Argument, dass „Umsiedlung“ eben doch etwas anderes sei als „Deportation“, weil sonst nicht beide Begriffe aufgeführt seien. Und auch wenn die Einzelentscheidung von individuellen Familien, wohin sie ziehen, nicht dem Staat Israel zuzurechnen ist, so sind groß angelegte, geplante und gebaute Siedlungen, die vom Staat Israel mit Infrastruktur versorgt und angeschlossen werden, halt doch irgendwie staatlich.) Aber das ist eine subtilere Kritik als die apodiktische Behauptung, die Meinung sei „falsch“.

    Ich finde aber auch, dass es nicht viel bringt, wenn Nichtjuristen mit juristischen Konzepten zu argumentieren versuchen. Das ist schon wirklich ein bisschen komplizierter, als man in ein paar Tweets diskutieren kann.

    Ja, ich finde sogar- gerade als Völkerrechtler oder zumindest als jemand, der das mal studiert hat -, dass die völkerrechtliche Diskussion jenseits von Doktorarbeiten eigentlich müßig ist. Das ganze Schlamassel ist eine Situation „sui generis“, für die Konventionen von kurz nach dem Zweiten Weltkrieg einfach nicht gemacht sind. Entweder der Konflikt geht ewig weiter; dann ist das Völkerrecht in der Praxis weitestgehend bedeutungslos. Oder es gibt irgendwann eine Einigung; dann wird neues Völkerrecht geschaffen.

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    1. Avatar von klukerlauk
      klukerlauk

      Die These ist doch, dass es kein besetztes Gebiet ist, einfach so auf Art. 49 bringt uns in dieser Frage nicht weiter. Von wem ist denn deiner Meinung nach das Gebiet besetzt?

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      1. Avatar von Andreas Moser

        Wenn das Westjordanland besetzt im völkerrechtlichen Sinn ist (was man gerne diskutieren kann), dann natürlich durch Israel.

        Wenn ein Staat in einem Gebiet, das er (bislang) explizit nicht annektieren will, Soldaten stationiert, die Grenzen kontrolliert, sich – je nach den unterschiedlichen Gebieten des Oslo-Abkommens – Prärogativen gegenüber der örtlichen Verwaltung vorbehält, dann sieht das schon ein bisschen nach Besatzung aus.

        Ob das Gebiet früher osmanisch oder britisch war, ist historisch interessant, aber ich bin mir nicht sicher, wie relevant das für die faktische Frage der Besatzung ist.

        Vielleicht ist ein Problem, dass der Begriff „Besatzung“ so einen negativen Klang hat, obwohl das juristisch nicht so sein muss. Besatzung ist die faktische Kontrolle über ein Gebiet, das einem nicht gehört. So etwas passiert, und deshalb gibt es Regeln dafür. Diese Besatzung muss nicht illegal, sie kann durchaus gerechtfertigt sein. (Die Deutschen und Österreicher erinnern sich zum Beispiel und hoffentlich mit großer Freude an die einstmalige Besatzung, die gegenüber dem vorhergehenden Status eine enorme Verbesserung der Lebensqualität und der politischen Rechte mit sich brachte.)

        Ein Problem ist, dass all die völkerrechtlichen Regelungen zum Besatzungsrecht natürlich nicht im Auge hatten, dass eine Besatzung länger als 60 Jahre dauern kann. Im Idealfall ist Besatzung nur ein Übergangsstadium bis es eine völkerrechtliche Neuregelung gibt (Annexion, Rückzug des Okkupanten, Friedensvertrag, Entstehen eines neuen Staates, internationales Mandat, u.s.w.).

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