Polizeigewalt gegen Jeschiwastudenten

Heute waren wir, meine Frau, mein Sohn und ich, auf einem Ausflug ins „Merkaz“, ins Zentrum Israels. Wir haben auch Givat Shmuel besucht, der Ort neben Bnei Brak und der Coca-Cola-Kreuzung, in dem wir selbst bis vor einem Monat gewohnt haben. Inzwischen sind wir zurück nach Jerusalem gezogen.
Wir gönnten uns in Givat Shmuel noch Schuwarma im Laffa-Brotfladen als Abendessen und trafen dabei zufällig auf Freunde, die gerade ihren vierten Hochzeitjahresstag mit einem Essen im selben Lokal feierten. Satt und zufrieden setzten wir uns ins Auto und machten uns auf den Heimweg, den Berg hoch nach Jerusalem.
An der Coca-Cola-Kreuzung bildete sich in dem Moment ein großer Stau. Unser Navigationsgerät leitet uns daran vorbei und so kamen wir erst kurz nach dieser Kreuzung, eine Auffahrt später auf die Schnellstrasse 4. Und was wir dort sahen, erschreckte uns. Ein paar Jugendliche in weissen Hemden, schwarzen Anzügen und mit Hüten, offenbar Studenten einer orthodoxen Jeschiwa, hatten mitten auf der Autobahnauffahrt, über die wir fuhren, brennende Kisten aufgestellt. Es waren noch halbe Kinder, die dort sich selbst und andere in Gefahr brachten. Wir fuhren langsam im Stau daran vorbei, als auf ein Mal ein Polizeimotorrad mit Blaulicht angefahren kam. Die Kids haben derweil schon damit begonnen, die Kisten wieder zu löschen.
In Israel hat die Polizei keine Motorräder wie in Deutschland. Die Verkehrspolizei fährt üblicherweise zahme Motorroller, jedoch die Motorradpolizei ist deutlich martialischer. Es sitzen immer zwei Polizisten in schwarzer Kluft und schwer bewaffnet auf einer ebenso schwarzen Enduro.
Ein solches Motorrad kam also angefahren. Der hintere von den beiden Polizisten sprang vom Motorrad und prügelte und tritt auf einen der Jungen ohne Vorwarnung los. Der versuchte sich zu retten, rannte weg und wurde verfolgt und gestellt und weiter geschlagen.
Wir waren sprachlos und hilflos im Auto. Wir wollten aber auch nicht den Stau verschlimmern, indem wir gaffend im Schritttempo an der Szenerie vorbeischleichen und daher konnten wir nicht sehen, was weiter passierte.
Ich sass am Steuer. Meine Frau surft mit dem Smartphone auf israelische News-Webseiten um zu sehen, was das gewesen sein könnte. Sie wurde schnell fündig: Die Coca-Cola-Kreuzung wurde durch eine Spontandemonstration, wie sie in vielen Orten Israels heute Abend stattfanden, von Charedim blockiert. Die Jungs waren wohl ein Aussenposten davon.
Die Demonstrationen richteten sich gegen die Inhaftierung eines Jeschiwa-Studenten, der einen Einberufungsbefehl der Armee ignoriert hat. Seit Neustem gibt es ein Gesetz das regelt, dass auch Ultra-Orthodoxe zur Armee müssen und dieser Student war wohl der erste, der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes die Einberufung ignoriert hat.
Hier tobte bis vor Kurzem der Gaza-Krieg und wir alle hoffen, dass er so bald nicht wieder aufflammt. Im Angesicht dieses Krieges, der mal wieder so deutlich machte, dass unsere Soldaten zur Sicherung unseres Landes leider dringend gebraucht werden, waren die Charedim in besonderer Erklärungsnot, warum sie für sich zwar Ausnahmen vom Wehrdienst fordern, den Schutz der Armee aber gerne in Anspruch nehmen.
Deren Argumentation ist alt und schwach. Trotzdem hat einer der größten Torahgelehrten unserer Tage, Rabbiner Moshe Sternbuch, sie am 31. Juli 2014 in einem Kommentar mit dem Titel „Soldiers and armies: who is guarding who?“ sehr unoriginell aufgewärmt und sich dann noch über die Soldaten selbstgefällig erhoben. In den ersten Zeilen schreibt er noch, dass wir für die Soldaten beten sollen und alle Gefallenen als „heilig“ und „fromm“ (chossid) bezeichnet. Danach endet aber die Empathie für die Israelische Verteidigungsarmee. G’tt und nur G’tt allein kann uns retten, sagt er und nur durch intensives Torah-Lernen wird G’tt dazu animiert, das auch zu tun. Die Frage „Wer wacht über wen?“ aus dem Titel beantwortet er also eindeutig: Ohne lernende Jeschiwa-Stundeten würde G’tt den Soldaten keinen Iron Dome und keinen militärischen Sieg geben.
Mein Chavruta, also mein Lernpartner, hat mir den Artikel von Rav Moshe Sternbuch weitergeleitet. Wir haben gerade die Torahstelle über den Angriff von Amalek auf das Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten gelesen, übersetzt und Kommentare von Gelehrten diskutiert, sprich wir haben die Stelle gelernt. Dort steht das junge Volk Israel einer Vernichtungsdrohung gegenüber und muss sich wehren. Moshe Rabbeinu, der gute alte Moses also, schickt Jehoshua Ben Nun als Feldherren und mit ihm viele Junge Männer mit Waffen los, um Amalek zu schlagen. Er betet derweil für sie und wird dabei von seinen Nächsten unterstützt. So lange er seinen Arm zum Himmel hebt, ist das Volk Israel überlegen, wenn er den Arm fallen lässt, behält Amalek die Überhand.
Auf der einen Seite bestätigt diese Torahstelle Rav Moshe Sternbuchs Argumentation: Ohne Gebet und G’ttes Hilfe, verliert die Armee. Aber auf der anderen Seite sagt uns die Torah: Ohne Soldaten hilft auch kein Gebet. Sonst hätten sich die ganzen jungen Männer, die doch eigentlich 40 Jahre durch die Wüste ziehen sollten um die gerade erhaltene Torah zu lernen einfach weiter lernen und beten sollen, und sich nicht in die Schlacht begeben und ihr Leben im Kampf geben!
Ein Grundsatz des jüdischen Glaubens ist, dass man sich nicht auf G’tt alleine verlassen darf. Beispiel: Wer krank ist, soll sich schonen, Medizin nehmen und wenn es sein muss zum Arzt gehen und jede medizinische Hilfe annehmen, die es gibt. Einfach beten und hoffen, dass man von alleine, sprich nur durch G’ttes Hilfe gesund wird, ist keine Option. Geht man selbst den ersten Schritt, dann hilft uns G’tt von da an. Aber nur rumsitzen und beten, auch wenn es in einer angesehenen Jeschiwa ist, ist niemals genug. Und zu glauben, dass das eigene Gebet wertvoller ist als das Gebet eines anderen Juden, nur weil der eben zur Armee und nicht in die Jeschiwa gegangen ist, ist pure Überheblichkeit.
Aber diese Überheblichkeit ist kein Grund, einen wehrlosen Jungen brutal zusammenzuschlagen. Ich habe die Szene auf der Strasse nicht filmen können. Ich hoffe, jemand anderes hat es getan und der Polizist wird zur Rechenschaft gezogen.

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