Ich lese gerade das Buch „Nexus“ von Yuval Noah Harari und dort spricht er viele richtigen Dinge an, aber er verrennt sich auch in manch anderen. Ich werde auf das Buch jetzt nicht eingehen, aber meine Gedanken zum Wort „umstritten“ sind während der Lektüre dieses Buches entstanden. Und so will ich die Nexus, also die Verkettung von dem Buch, das meine Gedanken inspirierte für diesen Text und schlussendlich zu Dir als Leser*in nicht verschweigen und stelle das voran.

Das Wort „umstritten“ transportiert eine Wertung, die neutral bis positiv ist. Positiv deswegen, weil „umstritten“ ja nicht heisst, dass eine Partei der streitenden Lager Recht hat, sondern es lässt es komplett offen. Deswegen wird es gerne zur Euphemisierung genutzt. Etwa, um einen rechtsradikalen Politiker sprachlich aus der radikalen Ecke zu holen, ohne eine offene Unwahrheit zu verbreiten. Oder wenn Leugner des Klimawandels den wissenschaftlichen Konsens dazu als „umstritten“ darstellen.

Wissenschaftliche Erkenntnisse sind im Grunde immer umstritten. Das ist das Wesen der Wissenschaft. Wer als Wissenschaftler:in einen Nobelpreis abstauben will, muss am besten eine bisher als bewiesen erachtete wissenschaftliche These widerlegen. Daher rührt auch die eher positive Wertung, die mit diesem Wort einhergeht. Das heisst aber eben nicht, dass es unter Wissenschaftlern keinen Konsens über den aktuellen Stand der Forschung zu einem Thema geben kann.

Damit etwas oder jemand „umstritten“ ist, reicht es freilich auch nicht, dass wenige Einzelpersonen versuchen, einen Streit vom Zaun zu brechen. Es geht dabei immer um Gruppen, entweder aus verschiedenen oder aus dem selben Lager.

Ob etwas oder jemand umstritten ist, sollte von der Fakten- oder Beweislage abhängen. Es ist etwa nicht umstritten, dass die Erde eine Kugel ist und sich um ihren Stern, die Sonne bewegt. Die Flacherdler sind da zwar gänzlich anderer Meinung, aber dennoch ist diese Frage nicht umstritten. Dafür bräuchte es einen Diskurs um das Thema und Flacherdler und der Rest der Menschheit ignorieren sich einfach weitestgehend gegenseitig.

Aber leider ist das nicht immer so. Die Wirksamkeit der Homöopathie ist wissenschaftlich eindeutig widerlegt. Es gibt nicht nur keinen Beweis, dass sie eine über den Placeboeffekt hinausgehende Wirkung hat, man kann Beweisen, dass sie wirkungslos und damit gefährlich ist. Dennoch ist sie umstritten. Es gibt einen Diskurs, der dazu führt, dass Krankenkassen noch immer wirkungslose Therapien bezahlen.

Aber auch andersherum gibt es Dinge, wo es keine eindeutigen Beweise gibt und dennoch ist das Thema nicht umstritten. Etwa das, ob Madonna oder Michael Jackson die bessere Musik gemacht haben. Hier gilt der Grundsatz: Über Geschmack lässt sich trefflich streiten. Will sagen: Eben nicht. Oder es fehlt einfach die Relevanz.

Aber wir leben in einer Welt von Social Media und auf diesen Plattformen ist alles, einfach alles umstritten. Zumindest wirkt es so. Auch die Frage Madonna vs. Michael Jackson. Wichtig ist, dass wir uns davon nicht mitreissen lassen. Dass wir nicht an sinnlosen Diskussionen teilnehmen, die dann den positiven Anstrich „umstritten“ einem Thema geben, das es nicht verdient hat. Dazu gehören Diskussionen mit Flacherdler genau so wie mit Hamas-Sympathisanten. Sorry, not sorry!

2 Antworten zu „Um•strit•ten”.

  1. Avatar von maddin61

    Großartig!

    … und das ist nicht „umstritten“.

    LG

    Maddin61

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  2. Avatar von protonfix
    protonfix

    Sehr interessant der Aufhänger. Unbestritten ist Streiten ein Dauerthema in der Menschheit.

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