
In Lollar, einem beschaulichen Städtchen nördlich von Giessen, stand mal eine Synagoge. Bis sie zerstört wurde. Jetzt, 80 Jahre später, will man an ihrer Stelle eine Gedenktafel aufstellen. Lokalpolitik hat schon häufig Stilblüten getrieben und ich will mich auch gar nicht über Parteien und was sie dort tun aufregen. Es geht um die Sache.
Um die geht es auch den Lokalpolitikern vor Ort. Einer von der CDU, Herr Markus Wojahn, hat mich auf Twitter angesprochen und mich nach meiner Meinung zu den Vorschlägen für die Inschrift gefragt. Diese drei Sprüche wurden diskutiert:
- Hier Stand in der Zeit von 1848 bis November 1938 die Lollarer Synagoge.
Zur Mahnung und Ermutigung der heutigen und zukünftigen Generationen, zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenhass. - Im Hinterhof der Gießener Straße 23 stand ab 1848 die Lollalrer Synagoge, die während des Progroms (sic!) im November 1938 von den Nationalsozialisten zerstört wurde.
Zur Mahnung und Ermutigung der heutigen und zukünftigen Generationen, zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenhass. - Im November 1938 wurde hier die in 1848 errichtete Synagoge der jüdischen Gemeinde Lollar durch den nationalsozialistischen Terror zerstört.
Wir gedenken aller Opfer von Antisemitismus, Rassismus und politischer Verfolgung.
Es ist und bleibt unsere Verpflichtung:
Nie wieder sollen Menschen wegen ihrer Religion, Nationalität, Hautfarbe und politischer Gesinnung verfolgt werden oder gar ihr Leben lassen müssen.
Ich muss, denke ich, nicht betonen, dass ich alle drei Vorschläge indiskutabel fand. Sie machen Juden zu Fremden und missbrauchen das Gedenken an den eliminatorischen Antisemitismus für Allgemeinplätze gegen Ismen jeglicher Art.
Wir telefonierten, waren der Meinung, dass das so nicht sein kann und er kam mit meinen Argumenten im gestärkten Rücken zurück in die Verhandlung um die Gedenktafel. Die Zeitung „Giessener Allgemeine“ berichtete darüber und nannte dabei auch meinen Namen.
Auch Volker Beck mischte sich auf meine Bitte hin ein und schrieb seinen Parteikollegen vor Ort eine Nachricht. Der Grünen-Lokalpolitiker Wolfgang Haußmann recherchierte daraufhin meine Email-Adresse und schrieb mir:
[…] Wir Grünen Lollar haben unmittelbar nach dem Attentat in Halle die dringende Notwendigkeit gesehen, die Gefahr eines wieder erstarkenden Antisemitismus in Deutschland u.a. durch das Aufstellen einer Gedenktafel am Ort der ehemaligen Synagoge deutlich zu machen. […]
Wenn Sie sich nun den Formulierungsvorschlag Nr. 3 ansehen, werden Sie erkennen, dass dort von Antisemitismus geredet wird, UND von anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die sich im Nationsozialismus verwoben. Dabei soll auf keinen Fall die unermessliche Grausamkeit und Ausmaß der Shoa verkleinert werden. […]
Hier ist meine Antwort:
Ich finde es natürlich richtig, eine Tafel aufzustellen. Das Ausmass der Zerstörung jüdischen Lebens in Deutschland muss sichtbar gemacht werden. Das Projekt „Stolpersteine“, von denen mWn. auch in Lollar welche verlegt wurden, erreicht dieses Ziel sehr gut. Auch hier gibt es Kritikpunkte, aber die Mahnung vor der Vergangenheit wird hier nicht durch plumpe Aufrufe produziert, sondern durch Wiedergabe von Fakten. Wer durch diese Fakten nicht von selbst auf die Idee kommt, dass ein unglaubliches Verbrechen in Deutschland passiert ist und wer erst durch schlaue Sprüche daran erinnert werden muss, dass man Menschen nicht aufgrund von egal welchen Merkmalen in KZs sperrt und vergast, der wird es auch mit erhobenem Zeigefinger nicht verstehen. Daher empfehle ich, anders als im dritten Vorschlag, die Fakten zur Synagoge so detalliert wie möglich darzustellen. Wann erbaut, von wie vielen Juden regelmässig zum Gebet genutzt, wer war der oder die letzte Gemeindevorsteher*in, was ist mit ihm oder ihr und dem Rest der Gemeinde passiert, wann wurde das Gebäude zerstört und von wem („Lollener Nationalsozialisten“ wäre wahrscheinlich die ehrlichste Beschreibung) und dann noch, was auch immer der Historiker, mit dem Sie zusammenarbeiten, noch alles herausfinden kann. Die schonungslose Offenlegung aller Fakten ist wirkmächtiger als alle zur Mahnung rufenden Sprüche.
Herr Haußmann war nicht so ganz meiner Meinung, wie eine weitere Email von ihm bewies. Und das ist sein gutes Recht. Ich finde aber dennoch, dass er sich irrt und das auf dem Rücken der Juden. Auch auf meinem Rücken, denn auch wenn ich ein Konvertit bin, so bin ich auch ganz ohne Rabbinatsbrief ein direkter Nachkomme von Shoah-Opfern.
In Lollar wird noch diskutiert und lokalpolitisiert. Ich wünsche den Menschen dort, dass sie eine Lösung finden, die Juden weder missbraucht noch zu Fremden im Land macht. Die Diskussion läuft und braucht diesen meinen Blogpost hoffentlich nicht mehr.
Aber es gibt noch viele Ruinen von Synagogen in Deutschland, die bis heute brach liegen oder anonym überbaut wurden und mindestens eine Gedenktafel verdienen. Und dort sollen sie die Fehler aus Lollar bitte nicht wiederholen.
Hey Eliyah,
Deiner Haltung in dieser Angelegenheit möchte ich nur zustimmen. Und einen (vierten?) Vorschlag, möglicherweise direkt an hier mitlesende Interessierte aus Lollar, habe ich verfaßt:
Hier stand in der Zeit von 1848 bis November 1938 die Synagoge von Lollar.
Sie wurde 1938 von einem nationalsozialistisch getriebenen Mob, auch unter Beteiligung von Bürgern Lollars, zerstört. Die (–hier sei die Anzahl der in Lollar lebenden Juden genannt–) Juden von Lollar wurden in derselben Zerstörungswut misshandelt, beraubt und ermordet. Die überlebenden Juden verloren ihre Heimat in Lollar, wurden interniert und im Namen des nationalsozialistischen Deutschen Reichs zwischen 1938 bis 1945 ermordet.
Jene, die trotz allem das Grauen bis 1945 überlebten, waren verdammt selbiges Grauen in ihren Herzen fortan zu tragen und zu erleiden. Die Schwere und Unbegreiflichkeit dieses Schreckens erfüllte und erfüllt auch die Herzen ihrer Kinder und Kindeskinder bis heute.
(Datum der Aufstellung der Mahntafel.)
Anmerkung.
Wie es präzise in Lollar zuging weiß ich nicht, ob dort auch im Zuge des Pogroms Juden ermordet wurden, etwa. Das mag dann ein Historiker mit Ortskenntnis präzisieren. Zweifellos ist die Präsenz des großen Schreckens anzumerken, wenn man auch dazu bedenkt, daß das Deutsche Reich bereits seit 1933 nationalsozialistisch regiert wurde. Meine angefügte Mahnung (die Beschreibung der Vorgänge) läßt sich relativ mühelos nachweisen an vielen/den meisten Orten des damaligen Deutsch-Nationalsozialistischen Reichs während der Pogrome im Jahre 1938.
Hoffe, daß ich damit, etwas verspätet, weiterhelfen kann.
Insbesondere Dir, Eliyah, sei gesund we Schabat schalom!
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