Kommunalwahlen in Israel, deutsche Journalisten und die Neueinwanderer Partei

41294771_10156377614617420_1954149698080079872_n.jpg

Das neue jüdische Jahr hat im September begonnen. In diesem Jahr 5779 stehen Israel zwei wichtige Wahlen bevor: Die Kommunalwahlen, wo am 30. Oktober in den Kommunen die Bürgermeister und der Stadtrat gewählt werden und die Parlamentswahlen für die Knesset, voraussichtlich Anfang 2019.

Bei den Kommunalwahlen sind sowohl Parteien vertreten als auch unabhängige Kandidaten und Listen, die keiner politischen Partei zugehörig sind. Anders als bei den Parlamentswahlen, hat man bei den Kommunalwahlen zwei Stimmen, eine für den Direktkandidaten als Bürgermeister und eine Stimme für eine Liste für den Stadtrat. Außerdem können bei den Kommunalwahlen nicht nur israelische Staatsbürger wählen und gewählt werden sondern auch sogenannte „permanent residents“, also Anwohner mit ständigem Wohnsitz.

Es ist das erste Mal, dass ich mich aktiv an beiden Wahlen beteiligen werde. Bei den Kommunalwahlen helfe ich der Liste meiner Partei Yesh Atid in unserer Stadt Ra’anana bei dem Bürgerdialog. Obwohl in unserer Stadt vieles sehr gut läuft, gibt es dennoch Luft nach oben. Zum Beispiel will die Liste meiner Partei die Stadt attraktiver für junge Menschen machen, eine eigene Polizeistation etablieren und einiges mehr. Bei den Parlamentswahlen wiederum werde ich das Social Media Team für Englische Inhalte von Yesh Atid leiten.

Ich kenne aber auch einige Kandidaten für den Stadtrat in Jerusalem und war enttäuscht zu lesen, dass die einzige Frau ihre Kandidatur zurückgezogen hat. Die Nachricht darüber sah ich zum ersten Mal auf Twitter bei der von mir geschätzten deutschen Journalistin Lissy Kaufmann. Sie Kommentierte:

„Gestern stieg der arabische Kandidat Aziz Abu Sarah aus dem Rennen um den Bürgermeisterposten in Jerusalem aus – jetzt die einzige Frau.“

Dieses Kommentar lässt den Schluss zu, dass man in Israel und im Besonderen in Jerusalem nicht zulässt, dass ein Palästinenser oder eine Frau Bürgermeisterkandidaten bleiben. Die Wahrheit ist aber, dass man in Israel die kosten der Kampagne komplett selbst tragen muss, wenn man nicht eine Mindestzahl an Stimmen geholt hat. Und so passiert es gerade in vielen Städten, dass sich Direktkandidaten zurückziehen, weil sie anhand der Umfragen sich keine großen Chancen ausmalen. Sie verbünden sich oft mit einem anderen Kandidaten und lassen sich und ihr Team auf dessen Liste setzen. So haben sie dennoch eine Chance auf einen Sitz im Stadtrat und können ihre politische Arbeit dort umsetzen. Im Fall der Rachel Azaria in Jerusalem war es wohl so, dass sie nach Umfragen keine Chance mehr für sich sah.

Der palästinensische Kandidat wiederum hat ein juristisches Problem. Er ist zwar Anwohner von Jerusalem ist aber keiner mit ständigem Wohnsitz, was für die Wahl zwingend notwendig ist. Es ist schade, dass beide nicht mehr kandidieren, aber die Suggestion im Tweet, dass sie zurückgetreten sind weil sie arabisch oder weiblich sind, ist nicht zutreffend.

Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie man mit Hilfe von Fakten Unwahrheiten transportieren kann. Und das passiert im Deutschen Journalismus leider viel zu oft.

Aber aus Tel Aviv erreichte mich eine gute Nachricht: Eine gute Freundin, zwei Bekannte von mir und noch ein paar weitere haben sich zu einer Partei zusammen geschlossen und kandidieren für den Stadtrat. Die Partei besteht ausschliesslich aus Neueinwanderern (Olim), etwa aus Deutschland, Russland, USA und anderen Ländern. Sie werden hoffentlich die Bedürfnisse von uns Neuankömmlingen mehr Gehör verschaffen. Denn die Probleme dieser Menschen liegen alle auf kommunaler Ebene.

Deswegen freut es mich, dass die Kommunalwahlen nicht von Parteipolitik der nationalen Parteien bestimmt sind und freie Kandidaten und Listen ihr Glück versuchen.

TAZ mag keine Rabbiner

Dammtor Bahnhof

Ganz in der Nähe des des Bahnhofs Dammtor in der Rothenbaumchausse befindet sich das Chabad Zentrum in Hamburg. Dort wurde mit der finanziellen Unterstützung des jüdischen Unternehmers Garegin Tsaturov das Rabbinerseminar „Or Jonathan“ etabliert. Das Publikationsnetzwerk sz:h hat einen schönen Artikel mit vielen Hintergrundinformationen dazu geschrieben. Ich werde daher die dort genannten Details hier nicht wiederholen.

Ich beim Morgengebet zu Gast im Chabad-Zentrum Hamburg

Der Landesrabbiner Shlomo Bistritzky leitet das Rabbinerseminar (Kollel). Er gehört der Chassidischen Gruppe Chabad an, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Jiddischkeit in die Welt zu tragen. Rabbi Shlomo kommt aus Israel und ist mit seiner Frau Chani vor Jahren nach Hamburg gekommen, um dort diesem Ziel und der Gemeinde zu dienen. Als Chabad-Mitglied hat er mit viel Gegenwind kämpfen müssen, vor allem aus dem alten Gemeindevorstand. Aber die Gemeindemitglieder mögen ihn. Sie mögen seine offene Art, die jedem das Gefühl gibt, willkommen zu sein. Was mich nicht überrascht, aber offenbar für manche unvorstellbar ist, es kommt auch ein Hamburger lesbisches Paar, von denen eine der Frauen eine Kippa trägt, gerne zu Rabbi Shlomos Veranstaltungen.

Unvorstellbar ist das offenbar für Petra Schellen von der TAZ. In ihrem Artikel schreibt sie daher gefühlte Wahrheiten (oder auch alternative Fakten) über Chabad und das Rabbinerseminar und gibt schulmeisterlich Ratschläge, wie die Juden in Deutschland und speziell Hamburg zu leben haben.

Ein paar Dinge will ich hier richtig stellen:

  1. Chabad ist orthodox, aber keine „ultra-orthodoxe Sekte“, wie Schellen behauptet. Eine Sekte separiert sich von Rest der Glaubensgemeinschaft. Chabad tut das Gegenteil. Für sich selbst wählen sie einen „ultra-orthodox“ anmutenden Lebensstil, aber sie erwarten von niemandem, das auch auf sich zu nehmen. Das kann ich aus eigener Erfahrung mit Chabad bezeugen.
  2. Chabad sei den Liberalen suspekt und will aus den Einheitsgemeinden „orthodoxe“ Gemeinden machen, schreibt Schellen. Die Einheitsgemeinden in den meisten Deutschen Städten sind seit je her orthodox geführt und dienen allen Juden, egal welcher Ausprägung. Wäre das nicht so, würde man Juden wie mich, die orthodox leben und Juden, die eine andere Entscheidung für sich getroffen haben, voneinander trennen. Das kann in niemands Interesse sein. Vor allem, da wir nur noch so wenige Juden in Deutschland haben. Chabad will und wird das nicht ändern. Wozu?
  3. Das Rabbinerseminar in Hamburg sei nicht nötig, schreibt Schellen weiter. Wie bitte? Wer entscheidet das? Es gibt nur ein Rabbinerseminar in Berlin, das orthodoxe Rabbiner ausbildet. Das ist genug für ein ganzes Land? Und Schellen entscheidet das auf welcher Grundlage? Das beste Gegenargument liefert sie sogar selbst: Alle Absolventen haben sofort eine Stelle gefunden. Bedarf scheint also da zu sein.
  4. Schellen kritisiert, dass die Studenten des Rabbinerseminars aus anderen Städten stammen. Wie absurd dieser Vorwurf ist, wird jedem bewusst, der sich seine Uni nach Inhalten und nicht nach Standort aussucht. Garegin Tsaturov hat das Seminar finanziert und sich für Hamburg entschieden. Ich kenne seinen persönlichen Grund dafür, aber der tut nichts zur Sache.
  5. Chabad unterstütze laut Schellen radikale Siedler in Israel. Das ist absolut falsch. Chabad ist unpolitisch. Das „Kvar Chabad“ in Israel (Chabad-Dorf) ist in der Nähe Tel Avivs neben dem Flughafen und weit weg von der „Grünen Linie“. Das hat sich Schellen einfach ausgedacht, um Chabad zu diskreditieren. „Siedler“ ist ein Schimpfwort unter Linken.
  6. Zu guter Letzt nimmt Schellen noch das Wirt „gleichgeschaltet“ in den Mund. So ekelhaft es ist, diese Bezeichnung zu verwenden, so sehr verwundert es, da sie doch weiter oben im Text kritisierte, dass es jetzt verschiedene Rabbinerseminare gibt.

Falls irgendjemand bei der TAZ das hier liest: Euer Text ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Und wenn ihn jemand antisemitisch nennt, dann werde ich nicht widersprechen. Ihr nennt ja auch jeden, den ihr nicht mögt einen Siedler. Totschlagargumente unter sich.

Update 25.5.2018

Die TAZ hat den Artikel kommentarlos offline genommen. Immerhin.