Warum UNRWA??

Screenshot der UNRWA Webseite, die auf das Leiden in Gaza hinweist.

Die UNRWA ist eine UN Institution, die sich um die palästinensischen Flüchtlinge kümmert. Sie bietet ihnen medizinische Versorgung, betreibt Bildungseinrichtungen und versorgt sie mit Lebensmitteln wo nötig und mehr. Das klingt alles sehr gut und richtig. Menschen, die unverschuldet in Not geraten, verdienen Hilfe und Unterstützung. Und Krieg hat immer unschuldige Opfer.

Am 7.10.23 hat die Hamas einen bisher noch nie gesehenen Terroranschlag auf die Zivilbevölkerung Israels im Süden des Landes verübt. Die Brutalität war so unfassbar, dass ich sie hier nicht wiederholen mag. Wir Israelis sind seit dem traumatisiert und ich will niemanden retraumatisieren durch das Andeuten von Details. Wer sehr starke Nerven hat, kann hier erfahren, was passiert ist: https://saturday-october-seven.com/ (Link klicken auf eigene Gefahr). Der Anschlag löste einen Krieg und eine massive Bodenoffensive in Gaza aus.

Welches Detail aber wirklich wichtig ist, ist dass die Hamas bei ihrem Anschlag aktiv von Mitarbeitern der UNRWA unterstützt wurde. Nicht nur logistisch, auch durch direkte Teilnahme an den Gräueltaten. Es gibt Beweise, dass UNRWA Infrastruktur terroristisch genutzt wurde oder nur deswegen gebaut wurde. Und diese Infrastruktur beinhaltet auch Schulen und Kindergärten sowie medizinische Einrichtungen in Gaza. Und die Unterstützung begann nicht erst am 7.10.23, sie war strukturell über die letzten Jahrzehnte.

Deutschland und andere Staaten haben auf das Bekanntwerden der Beteiligung am Massaker reagiert und alle Zahlungen an die UNRWA eingestellt. Der durch den Terroranschlag ausgelöste Krieg ist jedoch im vollen Gange und wieder gibt es unschuldige Opfer, die Hilfe verdienen. Andere Organisationen wie Cadus sind eingesprungen, haben aber nicht genügend Ressourcen, um umfassend zu helfen.

Die UN hat eine Untersuchung gestartet um herauszufinden, ob an den bewiesenen Vorwürfen etwas dran wäre und kam wenig überraschend zu dem Ergebnis, dass dem nicht so sei. Es ist, als ob man die Polizei mit der Verfolgung von Polizeigewalt beauftragt. Deutschland hat daraufhin die Zahlungen wieder aufgenommen und bereits 45 Millionen von den für 2024 geplanten 200 Millionen Euro überwiesen an die Terrorhelfer in Gaza.

Aber warum gibt es die UNRWA eigentlich? Sie wurde 1949 gegründet um den palästinensischen Flüchtlingen direkt zu helfen. Und das ist einer der größten Unterschiede zur im selben Jahr gegründeten UNHCR, dem globalen UN Flüchtlingshilfswerk. Diese Organisation hilft indirekt, indem sie lokale Strukturen stärkt und keine eigenen bildet. Dieser Unterschied erklärt aber nicht die Existenz der UNRWA. Oder hat man den Palästinensern etwa keine eigenverwaltete Hilfe zugetraut, dass man das paternalistisch übernehmen musste?

Der Effekt allerdings ist deutlich zu sehen: Dadurch, dass keine eigenen Strukturen geschaffen werden, wird der Flüchtlingsstatus zum Selbstzweck für die UNRWA. Sie könnte einfach nicht mehr agieren, sobald es lokale Infrastruktur gibt und anders als die UNHCR müsste sie sich auflösen. Deswegen wird der Flüchtlingsstatus auch vererbt im Verantwortungsbereich der UNRWA, nicht aber im Rest der Welt. Nicht etwa, weil dort andere Regeln gelten, wer ein Flüchtling ist oder wer nicht (eine weit verbreitete Fehlannahme), sondern weil der Aufbau der Voraussetzungen dafür, dass die Menschen aufhören Flüchtlinge zu sein im Gebiet der UNRWA von ihr aktiv verhindert wird.

Man könnte dem Spuk ein Ende setzen, indem man die UNRWA auflöst. Es ist sowieso nicht erklärlich, warum für Staaten wie Deutschland ein palästinensischer Flüchtling etwa Faktor 70 mal so viel Hilfe verdient wie alle anderen Flüchtlinge der Welt. Der aktuelle Krieg in Gaza ist nicht mal in den Top 5 der Konflikte mit den meisten Flüchtenden. Und dieses Jahr hat Deutschland der UNHCR für deren Hilfe erst 61,2 Millionen USD überwiesen, kaum mehr als der UNRWA.

Ich will Deutschland keinen direkten Antisemitismus unterstellen, wenn sie vermeintlichen Opfern der Juden so überproportional viel Aufmerksamkeit schenken. Es wäre eine schlüssige Erklärung, wenn es nur um Deutschland ginge: Es vermindert die eigene Schuld. Aber dieser Fokus auf Israel ist global.

Und die UNRWA wurde auch nicht von Deutschland gegründet, sondern von der UN selbst. Sie nutzt die Aufmerksamkeitsökonomie der Welt, die dank ihrem internalisierten Antisemitismus (zu dem auch der Philosemitismus gehört) auf Israel guckt wie durch ein Mikroskop. Und es ist eben viel billiger, den Menschen in Gaza überproportional zu helfen, als den anderen Not leidenden Menschen der Welt adäquat.

Warum gibt es also die UNRWA? Ich sage: Damit man ohne politische Konsequenzen die anderen Flüchtenden auf der Welt im Stich lassen kann. Wir Israelis sind nur ein für viele willkommener Kollateralschaden in dem Spiel. Das wird sich rächen, spätestens wenn der Klimawandel Flüchtlingsströme explodieren lassen wird.

Familien aus dem Norden und Süden von Israel zweifeln an der Rückkehr in ihre Häuser

Die Sicherheitslage in Israel ist noch Monate vielleicht sogar Jahre komplett ungewiss. Vor allem im Süden und im Norden des Landes. Familien aus beiden Regionen fragen sich: „Können wir wieder zurück?“

Israel kämpft zur Zeit an zwei Fronten. An zwei Fronten ist unser Land von Terrororganisation bedroht, von zwei Fronten sind Tausende Familien evakuiert worden, an zwei Fronten kämpfen täglich Tausende Soldat*innen und Reservist*innen und verteidigen das Land und ihre Bevölkerung, die jüdische wie die muslimische, drusische, christliche und alle anderen Israelis auch. Doch die Lage scheint nach über 100 Tagen Krieg ungewisser als noch am Anfang des Krieges. Viele Expert*innen gingen davon aus, dass innerhalb weniger Monate die Hamas besiegt sein und dass die Hizbollah aus dem Libanon nicht angreifen wird. Beide Annahmen scheinen sich leider nicht zu bewahrheiten.

Dennoch ist das Vertrauen der israelischen Bevölkerung darin, dass beide Terrororganisationen besiegen werden groß. Doch die aus dem Süden und dem Norden evakuierten Familien fragen sich: „Können wir es mit unserem Gewissen vereinbaren, unsere Kinder dort großzuziehen, wo möglicherweise immer noch immer aktive Terrortunnel neben oder unter unserem Kibbutz sind?“

Letzte Woche war ich viel unterwegs. Ich war sowohl im Süden, im Kibbutz Kissufim direkt an der Grenze zum Gazastreifen, als auch im Norden, in einem Kibbutz, wohin meine Kindheitsfreundin aus dem Kibbutz Misgav Am evakuiert wurde.

Kibbutz Kissufim liegt direkt an der Grenze zum Gazastreifen und ist wie so viele Kibbutzim ein kleines Paradies. Zumindest lässt sich erahnen, dass es mal eines war. Es liegt etwa 7 Kilometer südwestlich von Re’im, wo das Nova Music Festival stattfand, auf dem die Hamas Terroristen 364 junge Menschen abgeschlachtet und über 40 Geiseln nach Gaza verschleppt haben. Im Kibbutz Kissufim lebten vor dem „Schwarzen Schabbat“, wie der 7.10.23 in Israel genannt wird etwa 280 Menschen. 18 von ihnen wurden auf brutalste Art und Weise von der Hamas ermordet und eine Person ist noch immer als Geisel in Gaza. Ich betrat drei der Häuser, die die Hamas Terroristen zerstört haben. Ein Haus war fast vollständig ausgebrannt und man kam nur schwer herein. Dort lebte eine kleine Familie: Mutter, Vater und eine Tochter im Teenager-Alter. Während etwa 60 Terroristen aus zwei Richtungen den Kibbutz stürmten und zeitgleich hunderte Raketen aus Gaza flogen, hat sich die Familie in ihrem Bunkerzimmer versteckt. Aber die Terroristen setzen das Haus in Brand und die Familie wurde lebendig verbrannt in diesem Bunkerzimmer, das zur Falle wurde. Als ich es mit meiner Handytaschenlampe den Weg beleuchtend betrat, versuchte ich nicht zu atmen. Ich hatte Angst, dass mich der Geruch für immer verfolgen wird. Es stand dort noch ein halbverbranntes Bett und von der Decke hing etwas, das wie eine grotesk verkohlte Girlande aus geschmolzenem Plastik aussah.

Der Gang durch den Kibbutz und durch diese Häuser hat sich angefühlt, als liege ich durch ein dystopisches Filmset. Wahrscheinlich ich habe ich mir das selbs eingeredet, um nicht zusammenzubrechen.

Shmuel, ein etwa 30-jähriger Mann, führte mich durch den Kibbutz, in dem er geboren und aufgewachsen ist. Seine 90-Jährige Großmutter wurde dort von einem Terroristen in ihrem Haus erschossen. Und dennoch hilft er dabei, den Kibbutz wieder aufzubauen und will dorthin zurückkehren.

Als ich fragte, ob auch alle anderen Bewohner zurückkommen wollen, sagte er: „Naja, im Moment wollen es nicht viele. Damit die Menschen zurückkehren, müssen zwei Dinge passieren: Wir müssen die Hamas zerstören und dafür sorgen, dass die Menschen hier die Gewissheit haben, dass sie hier sicher sind. Zum anderen müssen wir den Kibbutz noch schöner machen als er zuvor war. Deshalb sammeln wir gerade auch Spenden. Ein Paar Menschen aus dem Kibbutz sind wieder hier, um schon mal das Gras neu zu pflanzen. Wenn es grün und schön ist, dann denke ich, dass die Kibbutz Bewohner sich wohler dabei fühlen zurückzukommen.“

Am nächsten Tag fuhr ich dann in den Norden in den Kibbutz Ein Harod, einer der ältesten Kibbuze Israels mit der Sicht auf das Gilboa Gebirge. Ein atemberaubende Aussicht bietet dieser sehr schöner Kibbutz. Dort lebt zurzeit meine Kindheitsfreundin Anna. Seit wir 4 Jahre alt sind wir befreundet und waren auch in der jüdischen Grundschule in der Ukraine in derselben Klasse. Dort trennten sich erst mal unsere Wege: Ich ging als Kontingentflüchtling nach Deutschland, Anna nach Israel. Sie lebte die letzten 10 Jahre im Kibbutz Misgav Am direkt an der Grenze zum Libanon. 

Ich haben sie dort mit meinen Kindern und meinem Mann mehrmals besucht. Es ist ein Kibbutz, in dem vielen jungen Familien lebten, die nun alle evakuiert wurden, weil seit dem 8.10. ohne Unterbrechung mit der Hizbollah gekämpft wird.

Als Anna, ihr Mann und ihre beiden kleinen Töchter am 7.10 gegen 6 Uhr Morgens aufwachten und verstanden, was im Süden passiert ist, sagte ihr Mann bereits um 9 Uhr morgens zu ihr: „Nimm ein paar Sachen und die Mädchen und fahr bitte weg. Es wird gefährlich werden hier.“ Ihr Mann hat bereits in zwei Kriegen gekämpft und ist Sicherheitsverantwortlicher des Kibbutzes. Noch bevor die Aufforderung zur Evakuierung kam, ahnte er, dass der Kibbutz zu einer Kampfzone mit der Hizbollah wird. Und genau so war es auch.

Besuch in Misgav Am in 2017

Sie und der gesamte Kibbutz verbrachten einige Wochen in einem Hotel am See Genezareth. Anna entschied sich dann, ein neues Zuhause zu suchen, ob übergangsweise oder nicht, ist ihr noch nicht klar. „Wenn gewusst hätte, dass der Krieg in 1-2 Monaten vorbei ist, wäre ich noch im Hotel geblieben. Aber die Mädchen müssen zur Schule und in den Kindergarten, das ist doch kein Zustand!“, sagte sie mir neulich am Telefon.

Sie fand also ein freies kleines Häuschen in Ein Harod, wo es auch noch Plätze in der Schule und Kindergarten gab. Als ich sie dort besuchte, umarmten wir uns ganz fest und still. Ich war so froh, dass sie wenigsten ein bisschen Normalität gefunden hat, auch wenn ich weiss, wie schwer sie es hat. Völlig erschöpft und mit täglicher Sorge um ihren Mann versucht sie sich ein Leben im Kibbutz aufzubauen.

„Was erzählt dein Mann aus dem Norden?“, frage ich. „Nicht viel, er darf mir nichts sagen und genau das macht mir Sorgen.“, seufzte sie.

Kibbutz, in dem Anna jetzt lebt

Wir setzen uns mit unseren Bechern Kaffe auf ihre Terrasse und ich fragte, ob die Familien von Misgav Am zurückkehren wollen. Ihre Antwort hat mich erschüttert. „Die meisten haben Angst zurückzukommen. Wir wissen bisher nicht, ob die Hizbollah unter unserem Kibbutz oder in der Nähe Tunnel hat. Kann ich oder meine Freunde aus Misgav Am verantworten, unsere Kinder dort großzuziehen mit dieser Ungewissheit. Ich glaube nicht, dass viele zurückgehen. Zumindest solange die Hizbollah dort ist und der Kampf mit ihr wird länger und schwerer als mit der Hamas“.

Während wir durch Ein Harod spazierten und uns dann im gemeinsamen Essensraum des Kibbutz (Cheder Ochel) Mittagessen holten, sprachen wir auch über die Lage in Europa und der Welt. „Eine Freundin aus Misgav Am wollte vor dem Krieg für ein Paar Jahre in die USA zurück. Jetzt will sie auf keinen Fall dort hin. Der Antisemitismus weltweit ist unerträglich geworden.“ Ich stimmte zu: „Mir geht es auch so, dass ich mich hier in Israel sicherer fühle als in Deutschland. Trotz Krieg.“

Aber wie lange werden wir uns noch sicher fühlen? Wird die Hizbollah einen großen Angriff starten? Wie viele Opfer wird er bringen? Was passiert mit den jüdischen Gemeinden außerhalb von Israel? Werden die Familien das Trauma überwinden können und in die Kibbutzim im Süden und im Norden zurückkehren?

Diese Fragen surren den ganzen Tag, jeden Tag seit dem Schwarzen Schabbat nicht nur in meinem Kopf herum sondern in sehr vielen Köpfen der Menschen hier in Israel. Die Frage über wie sie ihre eigene Traumabewältigung angehen sollen, haben die meisten noch nicht mal angefangen sich zu stellen.

Eine kürzere Version dieses Textes ist am 8.2.24 im Magazin Jungle World erschienen. Klickt auf das Bild unten, dann kommt ihr zum Artikel.

Beerdigung von Daniel Yakov Ben Harosh

Gestern Mittag sah ich in unserer Ra‘anana Stadt WhatsApp Gruppe, dass um 14:30 die Beerdigung von Daniel Yakov Ben Harosh sein wird. Er war ein Physiotherapeut und Reservist, der am Vortag in Gaza gefallen ist.

Wie bereits bei den beiden anderen gefallenen Soldaten aus Ra‘anana, haben die Menschen eine Menschenkette gebildet vom Haus des Verstorbenen bis zum Militär-Friedhof. Sie standen, während die Autos mit dem Sarg und der Familie durch die Stadt fuhren.

Ich fuhr zum Ende der Kette, da ich auch danach zur Beerdigung wollte. 

Mehrere Tausend Menschen aus der Stadt kamen zusammen, um Daniel die letzte Ehre zu erweisen, der uns und unser Land verteidigt hat.

Er hinterlässt eine Frau und einen zweijährigen Sohn. 

Außer den Gebeten gab es bei der Beerdigung mehrere Reden von seinen Geschwistern, Freund*innen und zum Schluss von seiner Frau Hadar.

Viele, inklusive ich selbst, waren die ganze Stunde nur am Schluchzen und Weinen. Die Reden waren sehr bewegend und persönlich.

Hier sind ein Paar Sätze aus Hadars Rede:

„Meine Liebe, seit Beginn des Krieges schreibe ich in meinem Kopf Lobreden für dich. Ich denke darüber nach, welche Lieder bei deiner Beerdigung erklingen sollen. Ich habe es dir erzählt und du hast mich gebeten, dir zu sagen, was ich in der Laudatio sagen würde. Du warst größer als das Leben. Wir hatten genug, wir sind gewachsen und wir haben erlebt. Wie können wir anfangen und wie können wir enden? Du bist nicht mehr an meiner Seite, du hältst mich nicht mehr an der Hand. Es gibt keinen Menschen, in dessen Herz du nicht eingedrungen bist. Wir haben an verschiedenen Orten angefangen und sind ein Wesen geworden. Ich bin stolz auf dich, meine Liebe. Niemand auf der Welt konnte dich brechen. Ich verspreche dir meine Liebe, die ich nicht vergessen werde und ich werde die beste Mutter für meinen Sohn sein. Und er wird glücklich sein. Er ist dir so ähnlich. Gehe zu Gott und rufe ihm zu: „Es reicht, es tut uns weh. Gib uns ein Zeichen.“ Ich liebe dich. Du bist es die größte Liebe in meinem Leben. Danke für alles, was du mir gegeben hast.“

Holocaustvergleiche verbieten sich immer. Immer?

„Vergleiche nichts mit dem Holocaust, ausser es ist der Holocaust“, ist ein Grundsatz, den man nicht ignorieren darf. Wenn etwa PeTA die Massentierhaltung mit den KZs der Nazis vergleicht oder Roger Waters die Politik Israels mit der Nazideutschlands, dann ist eine Grenze überschritten, die man nicht überschreiten darf.

Versuchter Holocaust

Dennoch habe ich in meinem Artikel in der FAZ den Terrorangriff der Hamas als „Versuchten Holocaust“ bezeichnet. Und damit bin ich nicht alleine. In Israel werden immer öfter diese Art von Vergleiche gezogen, wenn es um den 7.10. geht. Dieses Graffiti als Beispiel an einer Wand in Ra’anana ist eine Replik des Aufklebers, den wir jedes Jahr zum Holocaust-Gedenktag auf unsere T-Shirts und Jacken kleben, um unser Gedenken an die Opfer der Shoah (wie der Holocaust auf hebräisch heisst) zu zeigen.

Ein Graffiti aus zwei Hälften, links ein Feld mit roten Blumen vor blauem Himmel, darunter hebräische Schrift, rechts eine einzelne rote Blume und ein hebräischer Schriftzug und das Datum 7.10.23

Der rechte Teil des Bildes gleicht diesem Aufkleber, ergänzt um das Datum 7.10.23, an dem das Massaker der Hamas losbrach. In Israel wird der Tag der „Schwarze Schabbat“ genannt.

„Free Palestine“ ist das neue… ich sag’s lieber nicht

Auch der jüdisch-deutsche Rapper Ben Salomo scheut sich nicht vor dem Vergleich mit den Nazis. Er rappt in seinem Lied „Kämpf allein“ von dem Antisemitismus, der sich in Deutschland und der Welt Bahn gebrochen hat nach dem 7. Oktober und zieht die Parallelen zum 3. Reich.

Doch auch Ben Salomo überschreitet eine Grenze nicht. Er rüttelt nur heftig an ihrer Tür, an dem Schlagbaum, der den Holocaust vor der Beliebigkeit der Argumente im politischen Diskurs schützt. „Ich sag’s lieber nicht“, rappt er, und wahrscheinlich wäre er sonst auch einen kleinen aber wichtigen Schritt zu weit gegangen in seinem gedichteten Rant.

Holocaust als singuläres Verbrechen

Der Holocaust ist ein singuläres Ereignis in der Geschichte der Menschheit. Niemals wurde ein Massenmord, ein Genozid so präzise geplant, so gewissenhaft durchgeführt, industriell umgesetzt und so umfangreich wie universell durch die Täter legitimiert: Deutschland befreie nicht etwa nur sich selbst vom Juden, sondern die ganze Welt. Es opfere sich auf, diese Aufgabe im Interesse der Welt umzusetzen.

Parallelen zum Hamas-Massaker

Und schon sehen wir die erste Parallele. Und es kommen noch einige andere dazu. Ich will sie hier tabellarisch anordnen, um eine Übersicht zu geben. Natürlich erhebt diese Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ebenso können manche Vergleiche weit hergeholt oder gar zufällige Parallelen sein. Die geneigte Leserschaft soll sich aus der Liste herauspicken, was Zustimmung bekommt und verwerfen, was nicht sein kann, weil es nicht sein darf.

ParalleleNazideutschlandHamas
AkteurStaatlich organisiertes Verbrechen unter Einbeziehung der eigenen Zivilbevölkerung und die der besetzten Staaten.Von der Regierung organisiertes Verbrechen mit Unterstützung einer Schutzmacht (Iran) unter Einbeziehung der Zivilbevölkerung.
ZielJuden sowie mit Juden assoziierte Menschen („Halbjuden“) unabhängig von der Religion sowie Homosexuelle, Sinti/Roma, „Asoziale“ und politische Gegner.
Absoluter Vernichtungswille.
Jüdische Israelis sowie mit Israel assoziierte Menschen (Israelische Araber und Beduinen) unabhängig von ihrer Religion oder Religiosität. Die meisten jüdischen Opfer lebten nicht religiös.
Absoluter Vernichtungswille.
MotivationRassisch konstruierter Antisemitismus und die Idee, die Welt von der „Krankheit“ des Weltjudentums zu befreien.Religiös konstruierter Antisemitismus und die Idee, die Welt von der „Krankheit“ des Weltjudentums zu befreien.
AnkündigungDas Buch „Mein Kampf“ von A.H. beschreibt genau seine Ideen von der „Endlösung der Judenfrage“, aber sie wurden von zu wenigen ernst genommen.Die Charta der Hamas beschreibt sehr genau die selbst gesteckten Ziele, die unter anderem die Vernichtung des Staates Israel sowie die Tötung aller Jüd:innen beinhalten, aber sie werden von zu wenigen erst genommen.
Planung und RessourcenDer Massenmord wurde minutiös geplant und eine staatliche Infrastruktur geschaffen inklusive eines weit verzweigten Bahnnetzes für den Transport sowie Arbeits- und Vernichtungslager gebaut. Kriegsrelevante Ressourcen wurden dem Mord an den Juden in ihrer Wichtigkeit nachgestellt.Das Massaker wurde minutiös geplant und eine staatliche Infrastruktur geschaffen inklusive eines weit verzweigten Tunnel-Netzes sowie Raketen und Waffenlager. Krankenhäuser und Schulen wurden vorsätzlich in Gefahr gebracht, um den Mord effektiver zu machen.
EntmenschlichungRassifizierung und Entmenschlichung der Juden durch die Idee der Rassenschande bei Paaren von Juden und Nichtjuden.Juden werden als Schweine dargestellt, die im Islam als unrein gelten und Israel dämonisiert.
BrutalitätEs gab keine Hemmungen, weder bei Kindern noch bei Greisen oder Frauen noch bei der Art der Tötung. Medizinische Experimente brutalster Art wurden durchgeführt, die fast immer einen Qualvollen Tod nach sich zogen. Mordmethoden waren: Tod durch Arbeit, Todesmärsche, Vergasung und Erschiessung, Verhungern lassen, lebendig Begraben werden, erschlagen, etc.Es gab keine Hemmungen, weder bei Kindern noch bei Greisen, selbst Holocaust-Überlebende sind unter den Opfern. Frauen wurden gezielt gejagt und brutalstmöglich vergewaltigt und verstümmelt. Kinder mussten miterleben, wie ihre Eltern getötet wurden und wurden seelisch wie körperlich gefoltert. Mord durch Verbrennen am lebendigen Leib, Misshandlung und Folter uvm.
Methoden 1Juden wurden katalogisiert und in Listen eingetragen und dann aus ihren Häusern abgeholt.Jüdische Ortschaften wurden ausgekundschaftet und Juden aus ihren Häusern abgeholt.
Methoden 2SS und SA sowie Wehrmachtsoldaten, die sich für den Judenmord gemeldet haben, wurden unter Drogen gesetzt, um besser und länger morden zu können.Hamas-Kämpfer, die sich für den Judenmord gemeldet haben, wurden unter Drogen gesetzt, um besser und länger morden zu können.
GeiselnEs gab „Vorzugslager“ wie das im französischen Vichy, wo Juden mit Pässen von Ländern, die Kriegsgegner waren interniert wurden und gegen Kriegsgefangene und andere Nazis getauscht wurden.Geiseln wurden getauscht gegen palästinensische Attentäter in Israelischer Haft, Juden mit Pässen von westlichen/nichtmuslimischen Ländern wurden gegen Hilfszusagen aus diesen Ländern freigelassen.
DokumentationHäftlinge wurden nummeriert und Bücher geführt über den Judenmord sowie den Raub ihrer Güter.Die Morde wurden mit Go-Pro Kameras und Handys gefilmt und dokumentiert.
MörderDie Mörder waren stolz auf ihre „Arbeit“ und haben Postkarten nach Hause geschrieben und damit geprahlt. Nazis haben sich darum gestritten, wer den besten Zuschauerplatz am Fenster zur Gaskammer bekommt, um Juden beim Sterben zuzusehen.Die Mörder waren stolz auf ihren „Kampf“ und haben während des Abschlachtens Videotelefonate geführt und vor ihren Verwandten/Eltern mit der Zahl der jüdischen Opfer und der angewandten Brutalität geprahlt.
Zivilbevölkerung Deutsche Zivilisten haben Juden verraten und ihre Häuser, Unternehmen und Habseligkeiten gestohlen oder ersteigert. Nicht mal 0,2% aller Deutschen haben Juden geholfen.Haben Geiseln versteckt und gefoltert und sind nach den Kämpfern in die verwüsteten Kibbutze geströmt um zu Plündern und haben auch selbst noch gemordet.
Leugnung und PropagandaDer Holocaust wird ganz geleugnet oder die Zahl der Opfer als übertrieben dargestellt. Gleichzeitig wird er gefeiert und legitimiert, indem man eine Täter-Opfer Umkehr betreibt.Das Massaker wird als False Flag Aktion Israel angelastet oder zumindest die Brutalität und die Vergewaltigungen werden geleugnet. Gleichzeitig wird es gefeiert und legitimiert, indem man eine Täter-Opfer Umkehr betreibt.

Nie wieder ist jetzt!

Wer „Nie wieder ist jetzt!“ sagt, rüttelt an der Singularität des Holocaust. Der ehemalige Auschwitz-Häftling Primo Levi sagte bereits den berühmten Satz: „Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen„. Und etwas, das wieder geschehen kann, bleibt in diesem Moment auch nicht mehr singulär.

Das Brandenburger Tor in Berlin angestrahlt mit den Worten "Nie wieder ist jetzt".
Foto vom Artikel aus der Jüdischen Allgemeinen

Das Hamas-Massaker vom 7.10.23 war kein neuer Holocaust. Denn es gibt eine IDF die verhindert hat, dass es diese Dimension erreichen konnte. Noch ist der Holocaust ein singuläres Verbrechen. Noch.

Wollen Palästinenser Frieden?

West Side Gallery Israel-Deutschland-Palästina-Fahne mix. Foto von Otzberg: https://www.flickr.com/photos/mount_otz/158859911 Lizenz CC BY-NC-SA 2.0 DEED

Um die Frage gleich zu Anfang zu beantworten: Ich hoffe es noch immer. Ich hoffe tatsächlich, dass die Palästinenser, will sagen, die Mehrheit der in Gaza und in der sog. Westbank lebenden Menschen Frieden wollen. Allerdings gibt es deutlich mehr Indizien, die dagegen sprechen als dafür. Das gilt leider auch für die Palästinenser, die im Exil leben.

Viele Menschen glauben aber, dass sie nichts mehr als Frieden für sich wollen. Und das ist verständlich, denn man schliesst von seinen eigenen Bedürfnissen auf die der anderen. Will nicht jeder Mensch in Frieden leben? Will nicht jeder Mensch seine Kinder in Sicherheit aufwachsen sehen? Ja, jeder will Frieden für sich und die meisten ausserdem Frieden für alle anderen Menschen der Welt. Oder etwa nicht?

Wollen Palästinenser einen eigenen Staat?

Beantwortet man die Frage nach Frieden mit „Ja“, dann ist die nächste Frage: Wollen die Palästinenser einen eigenen Staat? Wollen sie selbstbestimmt sein als Teil der Staatengemeinschaft? Oder wollen sie freie, gleichberechtigte Bürger eines bestehenden Staates sein? Wenn ja, welches?

Diese Frage ist nicht neu, auch wenn sie im Zuge des Gaza-Krieges neue Aktualität hat. Sie stellte sich bereits der Britische Aussenminister Ernest Bevin im Februar 1947. Darauf ist die ehemalige MK (Member of Knesset, Abgeordnete im israelischen Parlament) der Arbeiterpartei Dr. Einat Wilf im Zuge ihrer Recherchen für ihr Buch „The War of Return: How Western Indulgence of the Palestinian Dream has Obstructed the Path to Peace“ gestossen.

Ernest Bevin war kein Freund der Juden oder gar des Israelischen Staates. Er hat beispielsweise aktiv die Einwanderung von Juden aus Europa ins Britische Mandatsgebiet Palästina erschwert. In seinen Verantwortungsbereich fiel auch das Mandat im Nahen Osten und er besuchte es und sprach mit den Leuten. Er hat (ja, vor der Gründung Israels) festgestellt, dass zwei Völker in diesem Land leben: Die Araber und die Juden. Und von beiden hat er ihre oberste Priorität für ihre gemeinsame Zukunft im Mandatsgebiet herausfinden wollen. Er kam zu dem folgenden Ergebnis: Die höchste Priorität für Juden ist es, einen eigenen Staat zu haben. Die höchste Priorität für die Araber ist es, dass Juden keinen eigenen Staat bekommen.

Wenn man den Konflikt vor diesem Hintergrund betrachtet, erscheinen die vielen „Neins“ zu Friedensplänen und Angeboten, einen eignen Palästinensischen Staat zu bekommen in einem ganz anderen Licht. Und die Hamas macht auch heute noch sehr deutlich, dass „Kein Staat für Juden“ (oder eher „gar keine Juden“) ihre oberste Priorität ist. Die Formel „Land für Frieden“, die etwa im Krieg mit Ägypten sehr gut funktionierte, kann gar nicht aufgehen, wenn ein eigenes Land gar nicht das strategische Ziel des Gegners ist. Das hatte auch Ernest Bevin verstanden und hielt den Konflikt für unlösbar. Deswegen hat Großbritannien beschlossen, das Mandat and die Vereinten Nationen zurückzugeben, die dann den Teilungsplan beschlossen.

Ernüchternde Umfragewerte

Doch zurück zur Ausgangsfrage. Wollen die Menschen in den Palästinensischen Autonomiegebieten Frieden? Es gibt dazu tatsächlich Umfrageergebnisse von einem Institut mit dem Namen „Arab World for Research and Development“ (AWRAD). Die Umfrage basiert auf Antworten von 668 Teilnehmern. Statistisch gesehen ist eine Stichprobe von 400 oder mehr Leuten repräsentativ, solange die Stichprobe zufällig ist. Die Dokumentation erweckt zumindest den Anschein, dass hier sauber gearbeitet wurde. Die Daten über die Stichproben sind im Dokument.

In der Umfrage haben sie unter anderem gefragt, ob die Bevölkerung in Gaza und Westbank die Terrortaten der Hamas von 7.10.23 unterstützen oder nicht. Das Ergebnis ist ernüchternd: 59% der Befragten äusserten volle Unterstützung für den Terrorangriff (68% in der Westbank, 47% in Gaza), während nur 13% sie komplett ablehnen. Die anderen stehen entweder teilweise dahinter oder sie haben keine Meinung dazu. Das sind keine Menschen, die Frieden mit Juden wollen, höchstens Frieden von Juden.

Umfragen sind verzerrte Bilder der Wirklichkeit

Umfragen zeigen nie die Wahrheit, sondern immer nur ein Bild davon. Das Bild ist, je nachdem wie die Umfrage durchgeführt wurde, mehr oder weniger verzerrt. Als ich etwa in der Umfrage der Friedrich Ebert Stiftung gelesen habe, dass etwa 11,2% der AfD-Mitglieder (und 11,5% der FDP) Antisemitische Einstellungen haben, dachte ich: Moment mal! Ich würde solche Einstellungen deutlich über 95% aller AfD-Mitglieder nachsagen! Wo fängt den Machern der Studie nach Antisemitismus überhaupt an? Erst bei dem Ruf nach Gaskammern oder doch schon etwas früher?

Screenshot aus der Studie der FES.

Auch die Umfrage unter den Palästinensern kann man anzweifeln. Man muss auch bedenken, dass die Hamas die Menschen in Gaza gewaltsam indoktriniert seit 20 Jahren. Ich habe allerdings kaum Indizien gefunden, die Gegenteiliges vermuten lassen. Es gab zwar Proteste gegen die Hamas in Gaza letztes Jahr, die teils blutig niedergeschlagen wurden, aber wie viele von denen, die protestiert haben Frieden mit Israel wollen und nicht einfach eine weniger korrupte Regierung, ist völlig unklar. Mir zumindest.

Hoffnung bleibt

Dennoch darf man die Hoffnung nicht aufgeben. Ich hoffe auf einen Frieden. Nur eines muss klar sein: Diesen Frieden kann es niemals mit der Hamas geben, nur ohne sie.

Covid „Pirola“: Wir wärden alle stärben!

Die Corona Virusvariante „Pirola“ BA.2.86 ist in Deutschland angekommen. Im Umgang mit der drohenden nächsten Welle sehe ich im Grunde nur zwei Fraktionen. Also, bei denen, die nicht die ganze Pandemie einfach leugnen. Die kölsche Fraktion mit dem Lebensmotto (oder Sterbensmotto) „Et hätt noch immer jot jejange“ und die apokalyptische Fraktion, die das komplette Scheitern im Umgang mit der Pandemie und das Zusammenbrechen des Gesundheitssystems voraussagen, mindestens!

Kölsche Fraktion

Die kölsche Fraktion kann ich gut verstehen. Es gibt das „Survivor Bias“, das uns sagt, dass es tatsächlich gut gegangen ist, zumindest für einen selbst. Und die Massnahmen waren teilweise tatsächlich übertrieben und ihr Erfolg oder Misserfolg nicht einfach nachvollziehbar. Dazu kommen noch die Angstmacher, die von Impfschäden schwafeln und so einen Keim des Zweifels sähen, der dazu führt, dass man agnostisch und sich seinem Schicksal ergeben in die nächste Welle stürzt.

Apokalyptiker

Die Apokalyptiker dagegen malen ein Bild, das so schwarz ist, dass man Angst bekommt. Und das ist bei manchen auch das erklärte Ziel. Denn man denkt, man braucht ein Gegengewicht gegen dem kölschen Frohsinn, um Leute wachzurütteln. Doch man erreicht ein gegenteiliges Verhalten. Man befeuert den Drang, alles zu ignorieren und einfach zu hoffen, dass es „jot“ gehen wird.

Post-Mortem?

Die letzten Wellen wurden nicht wirklich aufgearbeitet. Zumindest nicht so, dass die Mehrheit der Bevölkerung versteht, was schief gegangen ist und was gut lief. In der Geschäftswelt macht man nach dem Abschluss eines Projektes, das teilweise oder ganz gescheitert ist oder auch nur nicht gut genug lief eine sogenannte „Post-Mortem“ Analyse. Man nennt es auch „Lesson-learned“, um die selben Fehler möglichst nicht zu wiederholen. Das haben wir verpasst. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Das ist schade, denn wenn man weiss, wie es gelaufen ist, dann muss man weder unter- noch übertreiben bei den Bewertungen der Gründe. Kölsche und Apokalyptiker haben keinen Platz in diesem Prozess.

Pre-Mortem!

Wie wäre es, wenn man schon vorher wüsste, warum ein Projekt schief gehen wird? Wenn man eine Pre-Mortem Analyse machen könnte, die genau so sachlich und unaufgeregt zu Ergebnissen kommt wie die Post-Mortem Analyse? Es klingt unmöglich, ist es aber nicht! Der Coach und Produktmanager Shreyas Doshi hat das Konzept der Pre-Mortem Analyse zwar nicht erfunden, aber doch in wichtigen Punkten weiterentwickelt. Die Grundidee ist, dass man so tut als wäre ein laufendes Projekt bereits schief gegangen und man dann im Team eine Post-Mortem Analyse macht um herauszufinden, woran es lag (also: gelegen haben wird). Dabei muss jedes Mitglied des Teams Gründe finden für das Scheitern, die in drei verschiedene Kategorien passen:

  1. Tiger
    Ein Tiger ist ein echtes Problem, ein echter Grund für ein Scheitern
  2. Papiertiger
    Es gibt Probleme, die eigentlich gar keine sind, die aber von anderen als solche gesehen werden
  3. Elefant
    Der „Elefant im Raum“ ist ein Problem, das niemand anzusprechen wagt oder unter den Tisch kehrt und dessen Auswirkungen unklar sind

Benennt eine Person ein Problem als Tiger und eine andere als Papiertiger, dann hat man eine Diskussionsgrundlage ohne die übliche Konfrontation. Denn einen Papiertiger zu benennen ist implizit das Eingeständnis, dass dieses Problem eine echte Sorge ist, die man nicht ignorieren kann. Und zumindest in der Geschäftswelt hat sich statistisch gezeigt, dass Projekte mit laufender Pre-Mortem Analyse seltener scheitern. Und das beinhaltet auch die Projekte, die aufgrund von anwesenden Apokalyptikern aufgegeben wurden, bevor sie wirklich angefangen haben.

Pre-Mortem im gesellschaftlichen Diskurs

Die Methoden von Shreyas Doshi lassen sich natürlich nicht 1:1 auf politische Projekte wie die Abwendung einer drohenden Pandemie anwenden. Aber die Entspannung des Argumentation, die Konzentration auf die Sachebene und das Ausblenden der Agnostiker und Apokalyptiker, bringt jeden Diskurs voran. Es wäre eine echte Aufgabe, Methoden für die Implementierung von Pre-Mortem Analysen in der gesellschaftlichen Diskussion zu entwickeln. Vielleicht in Form eines neuen Fernsehformats?

Challot selbst backen

Es begann in einem Sommerurlaub in Deutschland an der Ostsee vor zwei Jahren. Wir verbrachten Schabbat irgendwo im jüdischen Nirgendwo und es gab nicht nur keine Gemeinde oder gar Synagoge in der Nähe, es gab nicht mal Challot zu kaufen. Das sind meist leich süßliche Hefezöpfe, die man traditionell an Schabbat isst. Also machte ich mich daran, selbst welche zu backen. Der erste Versuch war etwas mau. Ich vergaß Salz und Zucker.

Der zweite Versuch hat geklappt und die Kinder hatten große Freude daran, Hefeteig als Knetmasse für Figuren, die man backen und essen kann zu nutzen. Von da an haben wir jeden Freitag auch zurück in Israel, wo jeder Supermarkt frische verkauft unsere eigenen Challot gebacken.

Das Rezept ist dabei gar nicht kompliziert. Man braucht auch keine Küchenmaschine. Ich knete immer von Hand.

  • 1kg Mehl
  • 120g Zucker
  • 20g Trockenhefe
  • 14g Salz
  • 80g (100ml) Mandelöl oder Sonnenblumenöl
  • 450-500ml sehr warmes Wasser

Das Mehl sieben, die trockenen Zutaten zugeben und vermengen. Dann Öl und 450ml Wasser hinzugeben und alles von Hand kneten. So lange Wasser zugeben, bis der Teig feucht, aber nicht klebrig ist. Falls zu viel Wasser im Teig ist, mit Mehl korrigieren.

Dann den Teig mit einem Tuch abgedeckt an einem warmen Ort gehen lassen, bis der Teig etwa doppelt so groß ist. Dann nochmals kneten und wieder gehen lassen. Nach dem zweiten Aufgehen ist der Teig deutlich größer als beim ersten Mal.

Teig nach dem zweiten Gehen

Den Teig wieder kneten und zu Strängen rollen (ich mache das in der Hand in der Luft), Zöpfe daraus flechten und diese abgedeckt auf einem Backblech mit Backpapier 10 min gehen lassen.

Die Dicke der Stränge hat Einfluss auf den Geschmack, einfach mal experimentieren!

Dann die Zöpfe bzw. die eigenen Kreationen mit Eigelb (oder veganer Alternative) bestreichen. Danach kann man sie mit verschiedensten Dingen bestreuen. Beispielsweise Mohnsamen, Kürbiskerne, Sesamsamen, Sonnenblumenkerne, Mandelsplitter und vieles mehr!

Jetzt kommen die Bleche für 24 Minuten bei 175°C Umluft in den vorgeheizten Ofen!

So sehen die Challot aus dem eben gemachten Teig nach dem Backen aus!

Wir haben viele verschiedene Challot gebacken in allen möglichen Formen und auch Farben (Lebensmittelfarbe in den Teig eingeknetet). Hier gibt es eine Sammlung an Bildern, die hoffentlich dazu animiert, auch selbst mal den Ofen anzuwerfen und leckere Challot zu backen!

Marry X-Mas und Frohe Y-Nachten 2022

weihnukka-kippa

Wie jedes Jahr in diesem Blog wünsche ich den Lesern Merry X-mas und frohe Y-nachten. Das ist also schon eine Tradition! Und Traditionen soll man pflegen.

Leider gibt es auch unschöne Traditionen und eine davon ist die von Nazi-Sifftwitter, mir ihre heuchlerischen Weihnachtswünsche ins Postfach zu rotzen. Wer sich die Weihnachtsstimmung nachhaltig versauen will, der klicke einfach hier:

Aber davon will ich mich nicht beirren lassen. Dieses Jahr fallen die letzten Kerzen Channukkahs mit Weihnachten zusammen und ich wünsche schon jetzt allen, die es feiern, von ganzem Herzen und ohne Sifftwittervibes: Frohe Weihnachten!

Mein Freund Matthias antwortete mal auf die Frage, wie er und seine Familie denn Weihnachten feiern werden: Wir essen viel, streiten uns und schenken uns Dinge, von denen wir in spätestens zwei Wochen wissen, dass wir sie nie gebraucht haben. Also, so oder so ähnlich hat er es gesagt.

Und so ähnlich habe ich auch Weihnachten in meiner Kindheit in Erinnerung. Streit und Essen gab es quasi immer. Geschenke auch, um die es dann auch oft noch mehr Streit gab. Der Baum war hübsch, das Essen gut, immerhin.

Der Name des Festes ist interessant. Hier eine Tabelle in verschiedenen Sprachen:

SpracheWortBedeutung
Englisch
Christmas
Christus (Messias) Fest
FranzösischNoëlGeburtsfest
SpanischNavidadGeburtsfest
Hebräisch (Chag HaMoled) חג המולדGeburtsfest
ItalienischNataleGeburtsfest
DänischJulGermanischer Kalendermonat Dezember
HolländischKerstmisChristus (Messias) Fest
DeutschWeihnachtenChanukkah

Die meisten Sprachen nennen das Weihnachtsfest nach dem, was der Überlieferung nach passiert ist: Der Messias (Christ) wurde geboren. Schließlich feiert man seinen Geburtstag (und acht Tage später, nach guter jüdischer Tradition, seine Beschneidung am 1. Januar). Die Dänen stechen heraus, da sie den Festnamen am Kalender fest machen. Und die Deutschen? Die nennen ihr Lichterfest im Winter einfach Chanukkah!

Das hebräische Wort Chanukkah bedeutet Weihe. Es geht dabei um die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem nach der Entweihung durch die Griechen. Zur Weihung braucht man Olivenöl für den Leuchter und davon war nur noch so wenig da, dass es nur einen Tag gereicht hätte. Aber wie durch ein Wunder, hielt das Öl ganze acht Tage. So lange hat es gedauert, neues Öl zu besorgen.

Das ist in etwa so, wie wenn ihr morgens auf dem Smartphone noch 10% Batterie habt, aber es dennoch den ganzen Tag durchhält.

Warum ich das erzähle? Damit deutlich wird, dass nicht nur der Name fast gleich ist, auch die Bräuche von Weihnachten in Deutschland und Channukkah ähneln sich stark:

  • Datum: Beides wird am 25. des Monats gefeiert, der im jeweiligen Kalender üblicherweise in die Wintersonnenwende fällt. Also 25. Dezember oder 25. Kislev.
  • Abends: In den meisten Ländern wird am 25. tagsüber beschert. In Deutschland aber am 24. Abends. Jüdische Tage und damit auch Feiertage wie Chanukkah beginnen abends.
  • Kerzen 1: Die Chanukkah-Kerzen müssen ins Fenster gestellt werden, da ihr Zweck die öffentliche Verkündung des Chanukkah-Wunders ist. In Deutschen Haushalten werden zu Weihnachten die Fenster traditionell mit Kerzenständern und anderen Lichtern geschmückt.
  • Kerzen 2: Jeden Tag während des acht Tage andauernden Chanukkahfestes zündet man eine zusätzliche Kerze. Im Advent zündet man jeden Adventssonntag eine weitere Kerze.
  • Adventskalender: Auch hier werden die Tage gezählt, genau wie bei den acht Chanukkah-Kerzen.
  • Geschenke: Auch an Chanukkah bekommen die Kinder Geschenke oder einfach Chanukkah Gelt (mit t, weil es jiddisch ist) und man isst Karotten in Scheiben, die an Geldstücke erinnern sollen.
  • Familie: An Chanukkah feiert man mit der ganzen Familie. Jeder bekommt seinen eigenen Leuchter. Weihnachten ist ein Familienfest.
  • Glühwein: Zugegeben, eher eine zufällige Parallele. Juden trinken eigentlich zu jedem Anlass Wein.
  • Weihnachtsmann: Also, wenn Du mich fragst, sieht der aus wie ein Rabbi, dessen Klamotten rot gefärbt sind. Und daran ist ja nur Coca Cola (koscher) schuld (ich weiß, stimmt nicht). Und Bommelmützen tragen die Anhänger von Rabbi Nachman auch.
  • Messias: Das ist vielleicht ein wenig weit hergeholt. Aber hey, warum nicht, es geht schließlich um Religion, da ist argumentativ meist kein Weg zu weit. Chanukkah feiert das Olivenölwunder und das hebräische Wort Moschiach (Messias) bedeutet: Der Gesalbte. Die Salbung erfolgt mit Olivenöl.
  • Essen: Immer im Januar sind Frauen- und Männerzeitungen voll mit Diättipps. Im Rest des Jahres zwar auch, aber im Januar geht es im Besonderen darum, den sog. Weihnachtsspeck wieder los zu werden. An Chanukkah essen wir lauter in Öl gebratene oder gebackene Dinge: Kartoffelpuffer, Berliner (Pfannkuchen, Kreppel, etc.), gebratene Karottenscheiben (s.o.) und vieles mehr. Das Öl setzt sich dann im Körper gerne als Hüftgold ab.
  • Ch: Christkind und Channukkah fangen beide mit „Ch“ an. Das ist wohl eher zufällig und es ist deshalb eine Erwähnung wert, weil viel zu viele Menschen unser Fest falsch aussprechen. Das Ch klingt wie das in „Bach“. Und wenn ihr das nicht endlich lernt, sage ich ab heute „Schristkind“

Wie eng und vor allem, wie viel enger als andere Völker die Deutschen und die Juden bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts zusammengelebt haben, erahnt man, wenn man sich diese Parallelen ansieht. Nicht umsonst ist das alte hebräische Wort für Deutschland „Medinat Aschkenas“. Aschkenasen sind die nord- und osteuropäischen Juden.

Ich wünsche allen, die dieses Fest feiern, dass es besinnliche Tage werden, mit schönem Baum, sinnvollen Geschenken, wenig Streit und gutem Essen!

P.S.: Zugegeben, dieser Text erschien fast wortgleich bereits letztes Jahr und die Jahre davor, aber warum ihn so weit unten im Blog versauern lassen, wenn er doch heuer wieder so gut passt!

Energiewendewenden jetzt.

Eliyahs Kopf mit Batterien und Wind- und Sonnenenergie

Ein neues Konzept, um von fossilen Energieträgern wegzukommen. Ein Produktmanager-Blickwinkel

Es stimmt. Ich bin kein Experte für Energieversorgung. Auch kein Ingenieur in der Energieindustrie, kein Kaufmann für Energieprodukte und auch kein erfahrener Energiepolitiker. Ich bin nicht mal ein ausgesprochener Energie- oder Klimaaktivist. Ich bin Produktmanager im Hightechsektor in Israel. Aber dennoch (oder genau deswegen) habe ich eine Idee, die das Problem der fehlenden Energiespeicher lösen kann.

Was ist das, ein Produktmanager?

Denn meine Aufgaben als Produktmanager kann man so umreissen: Ich manage keine Mitarbeiter, ich manage eine Produkt, also die Ziele des Produkts, die Ideen, die es dort hin bringen und habe die Ressourcen, die man dafür benötigt sowie den Markt, den es erreichen soll im Blick. Wäre ich Teil einer Schiffscrew, wäre ich weder Kapitän noch Steuermann, Maschinist oder Matrose sondern der Navigator, der vom Kapitän das Ziel vorgegeben bekommt, die Wetterlage vom Meteorologen einholt und dann an den Rest der Crew die Aufgaben weitergibt und deren Status und Auslastung kennt. Ich selbst muss dafür weder Maschinen bedienen, ein Schiff steuern oder Crewmitglieder managen können. Aber ich muss dafür sorgen, dass alle miteinander synchronisiert arbeiten, muss allen immer zuhören und dann abwägen, wie ich welche Zwischenziele priorisiere. Und um schnell auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren zu können, muss ich ständig Ideen entwickeln oder sammeln, wie das Ziel, das der Kapitän vorgibt, doch noch erreicht werden kann. Nicht alle Ideen funktionieren und ob eine Idee gut ist oder nicht, sagt mir selten der Kapitän sondern eher der Matrose, den ich gerade auf Deck treffe und frage, was er davon hält, einfach mal gen Westen über den Atlantik zu schippern und der mir die Insel zeigt, die auf keiner Karte verzeichnet ist, in die wir gleich hineindonnern, wenn wir weiter unseren Kurs fahren.

Das Produkt Strom: Alle wichtigen Faktoren

Doch zurück zur Energiewende. Meine Idee betrachtet Energieversorgung als Produkt und versucht viele Gesichtspunkte im Blick zu haben, um dieses Produkt neu zu denken. Und eure Aufgabe als Leser:innen dieser Ideen ist die des Matrosen, der mir sagt, ob ich eine Insel übersehen habe.

Die Voraussetzungen für das Produkt Energie, die ich dabei beachten muss, sind die folgenden:

  1. Das Ziel

Das Ziel ist die (fast) vollständige Abkehr von fossilen Brennstoffen für den Energiebedarf der Bevölkerung und der Industrie. Im Energiekuchen ist die Stromversorgung nur ein kleinerer Bestandteil, aber einer mit Wachstumspotential und vorhandener Technologie und Infrastruktur für erneuerbare Energien. Daher fokussiere ich mich auf diese Energieform.

  1. Der Markt

Die Zielsetzung ist nicht unternehmerisch, sondern politisch, und daher besteht der Markt für das Produkt im Grunde aus den Wählern, denn alle brauchen Strom. Wenn es keine politische Akzeptanz findet, ist das Konzept zum Scheitern verurteilt. Der sogenannte Product-Market-Fit muss daher zu den Wählern passen.
Veränderungen im Markt werden auch durch parallele Entwicklungen vorangetrieben, hier etwa der wachsende Markt für Elektromobilität.

  1. Geschäftsführung

Die Regierung der Bundesrepublik ist die Geschäftsführung, das Engergieministerium, in Deutschland das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, leitet den Geschäftsbereich. Sie hat das Ziel vorgegeben.

  1. Forschung und Entwicklung (RnD)

Das RnD stellt die Industrie dar, die das Konzept umsetzen muss. Anders als in einem klassischen Unternehmen, kann die Geschäftsführung nur bedingt der Entwicklungsabteilung sagen, was sie zu tun hat. Gesetzliche Rahmen und finanzielle oder steuerliche Anreize dienen der Steuerung.

  1. Marketing

Das Marketing oder die Kommunikation sorgt dafür, dass der Markt das Produkt versteht und annimmt. Diese Kommunikation kann auf verschiedensten Wegen erreicht werden. Es beginnt mit der Bekanntmachung der Strategie über die Presse bis zu Info-Broschüren und auch Direktmarketing durch Hersteller und Zulieferer. Das beste Marketing aber sind zufriedene Kunden und ein großes Medienecho.

  1. Zulieferer

Ohne ein Ökosystem an Zulieferern und Lösungsanbietern kann ein System nicht rund laufen. Diese sind sowohl die Hersteller von stromverbrauchenden Geräten, als auch Unternehmen, die Hausinstallationen machen, sprich Elektriker:innen.

  1. Zwischenhändler und Großverbraucher

Die Netzbetreiber und die Industrie, die große Mengen Strom abnimmt, sind Teil des Systems. Ohne sie funktioniert nichts.

  1. Der technologische Rahmen

Innovation kann Evolution der vorhandenen Rahmenbedingungen sein oder eine Revolution. Ersteres ist meistens schmerzfrei, aber langwierig und letzteres bringt Umwälzungen mit sich. Ob man den evolutionären oder revolutionären Weg einschlägt, hängt davon ab, wie weit das Ziel von der Wirklichkeit, also dem technologischen Rahmen entfernt ist. Zum Rahmen gehört der Bestand und die Entwicklungen, die im Markt passieren. Bei der Stromversorgung ist leider, verstärkt durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine, die Wirklichkeit viel weiter vom Ziel entfernt, als wir es alle wahr haben wollen. Deswegen ist eine Evolution, die auf die Kunst der Ingenieure setzt (wie es die FDP gerne tut), hier der falsche Weg.

Die Technologie: Alles im 50 Hz Takt

tl;dr: wem das jetzt alles zu technisch wird, kann jetzt bis zur Überschrift “Die soziale Komponente” springen und bis dahin nur Überschriften lesen. Die sind aber wichtig!

Herstellung = Verbrauch, immer!

Das Stromnetz speichert nicht. Das bedeutet, es wird immer genau so viel Strom produziert, wie in diesem Moment genutzt wird. Wenn also jemand zuhause eine Lampe anschaltet, muss in diesem Moment das Netz die Energie, die diese Lampe benötigt mehr produzieren.

Allerdings hat die Lampe keine Möglichkeit, ihren Stromverbrauch irgendwo anzumelden, deswegen wird die Stromerzeugung über einen klassischen Regelkreislauf kontrolliert. Und das geht so: Generatoren an Turbinen liefern eine Wechselspannung von 50 Hz. Wenn die Last im Netz steigt, steigt auch der Widerstand der Generatoren und die Turbine dreht langsamer. Die Frequenz sinkt kurzzeitig unter 50 Hz, das Kraftwerk erhöht den Druck auf die Turbine und die Frequenz steigt wieder. Gibt es einen Lastabfall, funktioniert es genau umgekehrt. (Diese Darstellung ist sehr verkürzt, es gibt noch mehr Netzelemente, die den Regelkreislauf unterstützen, etwa Großverbraucher in der Industrie)

Höchst-, Hoch-, Mittel- und Niederspannung

Das Stromnetz besteht grob aus drei verschiedenen Hochspannungsebenen, Höchstspannung (220-1150 kV) Hochspannung (60kV, 110kV) und Mittelspannung (3kV-30kV) sowie aus der Niederspannungebene (400V Drehstrom/230V), die alle durch Transformatoren voneinander getrennt sind. Vereinfacht gesehen geschieht die Erzeugung und Transport in den Höchst- und Hochspannungsebenen, die regionale Verteilung in Mittelspannung und der Endverbraucher nutzt Niederspannung. Es ist faszinierend, wie dieser Regelkreislauf über diese Ebenen hinweg funktioniert.

Transformator von Hoch- auf Mittelspannung
Hier wird in Kaltenkirchen von Hoch- auf Mittelspannung transformiert

Das Europäische Power-Grid ist in Gefahr

Um Ausfälle von Kraftwerken abzufangen, sind die Europäischen Netze miteinander verbunden. Sie sind alle über die 50 Hz synchronisiert. Wenn ein Kraftwerk ausfällt, fällt die Frequenz ab und die anderen Kraftwerke regeln sofort hoch. Und da diese Regelung alle vier Spannungsebenen durchläuft, kann man zuhause an der Steckdose in der Küche messen, wie der aktuelle Zustand des Stromnetzes ist. Es gibt sogar Open Source Softwareprojekte, die mit Hilfe von etwas Elektronik und einem einfachen Microcomputer (etwa einem Raspi) Stromnetzüberwachung von zuhause ermöglichen. Der Grund, warum ich die Küchensteckdose als Beispiel genommen habe ist, weil fast jeder in seiner Küche ein solches Messgerät betreibt: Die Uhr auf dem Küchenherd. Sie nutzt die Netzfrequenz als Taktgeber und wenn es viele Netzausfälle gibt, geht sie mit der Zeit nach.

Entfernt sich die Frequenz in einem Teilbereichs des Netzes zu weit von den 50Hz, kann es zu einem Desaster kommen: Der Netzzerfall. Das europäische Gesamtnetz zerfällt dann in kleine Netze, die so nicht mehr über genügend Redundanzen verfügen und es folgen Blackouts. Zerfallene Netze wieder zu synchronisieren ist sehr schwierig und dauert lange.

Das Grid unter Hochspannung

Sonne und Wind sind Erzeuger-Aliens

Man merkt, dass dieses Stromnetz für große turbinengetriebne Generatoren als Erzeuger gebaut ist, die Hochspannung mit stabilen 50Hz produzieren. Gas, Kohle, Atom und Wasserkraftwerke sind turbinenbasiert. Und jetzt kommen plötzlich neue Erzeuger, die sich nicht an die Spielregeln halten: Solar und Wind.

Photovoltaikanlagen liefern Gleichstrom, der auf die benötigten 50 Hz wechselgerichtet werden muss. Windkraftanlagen drehen so schnell, wie der Wind pustet und beide Energielieferanten können nur schwer regulieren, wenn überhaupt. Die dezentralen Erzeuger sitzen oft in der Mittelspannungs-, manchmal sogar in der Niederspannungsebene und werden quasi von der Seite in das Stromnetz eingespeist, was große Herausforderungen an die Transformatoren stellt, wenn erneuerbare für überregionalen Verbrauch genutzt werden sollen. Für all das gibt es technische Lösungen, die die Einspeisung ermöglichen, aber für die genaue Regulierung braucht man dennoch Turbinen im Netz, damit es stabil bleibt.

Da Wind und Sonne nicht immer bereit stehen und das regional sehr verschieden ist, braucht es große Stromtrassen um die Überschüsse, die etwa im Norden per Wind erwirtschaftet werden in den Süden zu transportieren, wenn die Sonne gerade nicht scheint und der Sonnenstrom aus dem Süden muss in den Norden, wenn eine Flaute herrscht. Und was passiert bei windstiller Nacht?

Wir brauchen Speicher! Mehr Speicher!

Um Erneuerbare effektiv nutzen zu können, muss man also speichern. Es gibt Pumpspeicherkraftwerke, die bei Überproduktion überschüssigen Strom nutzen, um Wasser in Staubecken auf Bergen zu pumpen und bei Stromknappheit wird das Wasser durch Turbinen abgelassen und Strom aus dieser Wasserkraft ins Netz zurückgeben. Die Wirkungsgrad liegt bei 75%, also unter dem von modernen Akkusystemen, aber dafür sind die Kapazitäten enorm und sie sind 100% kompatibel mit dem Wechselstromnetz. Sie reichen aber nicht mehr aus und für einen Ausbau der Kapazitäten fehlen in Deutschland die geologischen Voraussetzungen. Deswegen suchen viele Ingenieure, Erfinder, Tüftler, Visionäre, Industrie, Scharlatane und im Schlepptau Politiker nach Speichersystemen für Stromnetze.

Elektromobilität als antizyklischer Großverbraucher

Derweilen bahnt sich eine weitere Entwicklung den Weg: Elektromobilität. Die Antriebswende im Automobilbereich stellt ganz neue Herausforderungen an die Stromnetze, for allem was Kapazitäten angeht. Um komplett von Verbrennern auf Elektro umzusteigen, braucht es große Investitionen in das Stromnetz. Und: Elektroautos setzen auf Batterien und ändern damit das Paradigma vom gleichzeitigen Verbrauch und Erzeugung. Das Auto verlangt, ganz anders als die Lampe aus dem Eingangsbeispiel, genau dann nach Strom, wenn es gerade NICHT benutzt wird. Also antizyklisch. Das trifft eingeschränkt auf alle Verbraucher mit Batterien zu, etwa Handys und Laptops. Was diese Verbraucher auch gemein haben ist, dass sie keine stabile Stromversorgung benötigen. Sie sind übergangsweise autark.

Menschen sind Egoisten

Es gibt Ideen, die Autobatterien oder auch private Hausbatterien zu nutzen, um für alle den Strom zu speichern und wieder an das Netz abzugeben, wenn gerade Bedarf ist. Aber diese Idee hat ein grundsätzliches Problem: Den Egoismus der Batteriebesitzer. Warum sollen sie ihre Ladezyklen anderen zur Verfügung stellen? Was ist, wenn das Auto nicht mehr genügend Strom in der Batterie hat, nur weil der Nachbar dringend Wäsche waschen wollte und gerade kein Wind weht?

Ja, die Lampe braucht stabilen Strom. Sonst flackert sie oder leuchtet gar nicht. Aber es gibt ausser den batteriebetriebenen noch mehr Geräte, die mit instabilem Strom klar kommen könnten. Etwa ein Kühlschrank. Der hat zwar keine Batterien, aber er speichert Kälte und kann so, zumindest theoretisch, Zeiten ohne Strom überbrücken.

Die soziale Komponente

Deswegen sage ich: Wir brauchen ein instabiles, dezentrales Stromnetz mit hoher Kapazität. Zusätzlich. Aber bevor ich die Einzelheiten dazu beschreibe, gibt es noch ein weiteres Problem, das die Erneuerbaren in Deutschland mit sich gebracht haben und das von individueller Elektromobilität noch verstärkt wird: Das soziale. Die vor kurzem abgeschaffte EEG-Umlage und die Abnahmegarantie von Erneuerbarer Energie zum Festpreis, war im Grunde eine Umverteilung von unten nach oben. Einfache Mieter in einem Wohnblock finanzierten die Photovoltaikanlage auf dem Dach eines Eigenheimbesitzers. Der lädt mit dem fremdfinanzierten und dadurch billig selbst produzierten Strom seinen Tesla-Sportwagen und die Unglücklichen, die keine Ladesäule in ihrer nichtvorhandenen Tiefgarage haben zahlen für ihren 15 Jahre alten Kleinwagen bei jeder Fahrt Mineralölsteuer, ganz im Gegensatz zum Teslafahrer. Das ist nicht nur ungerecht, es ist ein politischer Fehler.
Und die Windkrafträder im Wald nebenan? Die nerven die Anwohner mit ihrem Surren und verdienen derweil Geld für Leute, die weit, weit weg wohnen.

Dezentral und instabil und dennoch gut?

Viele dezentrale, instabile Stromnetze lösen diese Probleme. Anstelle in den Ausbau des stabilen Netzes zu investieren, könnten Kommunen regionale Parallelnetze für erneuerbare Energien bauen, die das Prinzip des Regelkreises umdrehen: Es wird verbraucht, was produziert wird und nicht andersherum.

Verbrauchen, was produziert wird!

Dieses Netz stellt eine Spannung zwischen 5 und 800V bereit, je nach Verfügbarkeit. Es ist steuerbevorzugt und erreicht dadurch kWh-Preise von 5 – 10 Cent, die sogar bei hoher Produktion dynamisch darunter liegen können. Das stabile Netz wiederum wird mittelfristig immer teurer. 50 Cent oder mehr pro kWh sind das Ziel. Die erwartbaren Effekte sind folgende:

  • Ladestationen für Autos werden als erstes an dieses Netz angeschlossen. Die Autos fungieren damit ganz automatisch als dezentrale Energiespeicher, ohne jemals etwas ins Netz zurückzugeben und belasten das existente Stromnetz nicht weiter.
  • Investitionen in dezentrale Speicher lohnen sich plötzlich für jede Einkommensklasse. Vermieter können mit billigem Strom dank eigener Batterieanlagen im Hauskeller punkten
  • Der Ausbau von Erneuerbaren in Wohnortnähe wird plötzlich zum Standortvorteil. Es gibt mehr billigen Strom für mich dank mehr Windrädern in der Nachbarschaft? Ich bin dafür!
  • Stadtversorger werden nicht mehr zum Spielball der großen Energiekonzerne und betreiben ihre eigenen Netze.
  • Es wird nicht mehr nur Wettervorhersagen, sondern auch Stromvorhersagen geben, die erlauben, Verbrauch zu planen.
  • Hersteller von Geräten werden sie billigstromkompatibel umbauen. Der Kühlschrank bekommt einen Spannungswandler und einen größeren Kompressor und Kühlmitteltank und kann so Kälte bereitstellen, wenn die Spannung im Netz gerade niedrig ist. Verbunden mit der Stromvorhersage kann die Temperatur dynamisch reguliert werden und bei Stromüberschuss das Eisfach auf -28˚C gekühlt werden, damit es bei wenig Strom sich auf nicht mehr als -15˚C erwärmt.
  • Klimaanlagen, die prädestiniert sind für die Nutzung von Solarenergie, da es üblicherweise dann heiss ist, wenn die Sonne scheint, nutzen die selben Techniken in groß.
  • Waschmaschinen, Spülmaschinen und viele andere Haushaltsgeräte haben endlich einen echten Grund, smart zu werden. Sie können ihre Arbeit planen, indem sie die Stromvorhersage aus dem Internet abfragen.
  • Hausanschlüsse für das stabile Stromnetz werden auf 16A reduziert und stabiler Strom wird nur noch dort eingesetzt, wo es zwingend erforderlich ist. Und als Backup, falls der Kühlschrank doch droht zu warm zu werden
  • erneuerbare Energien werden weiter in das stabile Stromnetz eingespeist
  • Eigenheimbesitzer mit Photovoltaikanlage auf dem Dach bekommen weiter billigen Strom. Aber nicht mehr nur sie, sondern alle

Nötige Rahmenbedingungen

Die Politik muss die steuerlichen Rahmenbedingungen schaffen und dafür sorgen, dass diese Netze gebaut werden und dass der Anschluss an diese für die Eigentümer von Mietshäusern verpflichtend wird. Die Netze können mit Krediten an die Kommunen aufgebaut werden, die über die Einnahmen der höheren Steuern auf das stabile Netz getilgt werden. Und sie muss den vielen Ingenieur:innen, Erfinder:innen, Tüftler:innen, Visionär:innen, und Scharlatan:innen nicht mehr hinterher laufen, sondern gibt ihnen eine Herausforderung: Diese Netze zu entwerfen, zu bauen und zu betreiben und die elektrischen Verbraucher dafür anzupassen.

Visionär oder Pragmatiker, Egomane oder Teamplayer?

Und ich? Bin ich ein Visionär mit dieser Idee? Vielleicht. Aber vor allem bin ich ein Produktmanager, der alle Beteiligten an einem Produkt und ihre Wünsche analysiert, um ihnen dann nicht das zu geben, was sie wollen, sondern das, was sie brauchen. Oder das, was ich meine, das sie brauchen.

Und das ist übrigens eine der besonderen Fähigkeiten, die ein Produktmanager mitbringen muss: Das Selbstbewusstsein und Ego, eine Idee, ein Konzept, einen Plan, eine Roadmap oder ein Feature als die Beste aller Möglichkeiten anzupreisen. Und dann, wenn sich herausstellet, dass man eben doch nicht alle Beteiligten und ihre Bedürfnisse und Möglichkeiten bedacht oder seine eigenen Kenntnisse überschätzt hat und die Idee sich als doch nicht so gut oder sogar schlecht darstellt, das ohne Zögern und ohne verletztes Ego einzugestehen. Und dann mit einer besseren Idee wiederzukommen.

Gebt mir Feedback!

Daher, werte Leser:innen. Holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück und zerreisst meine Idee vom instabilen Stromnetz in den Kommentaren. Ich kann das nicht nur ab, ich brauche das! Oder findet Wege, die Idee zu verbessern oder auszubauen.
Aber Zuspruch finde ich auch nicht so übel. Ich bin auch nur ein Mensch.

(Bei Interesse, diesen Text oder Auszüge davon in eurer Publikation zu veröffentlichen, kontaktiert mich bitte! Links hierher sind natürlich immer willkommen!)

Ukraine – Russland: Wie „Chauvinismus der Großmacht“ beide Länder eint und teilt

Jenny mit fünf Jahren in Dnepr, Ukraine

Europa und die USA sind zurecht besorgt über die aggressive Haltung Russlands. Putin zeigt seit Jahren, dass für ihn Grenzen nur auf dem Papier existieren, Widerspruch nicht geduldet wird und Einhaltung von Menschenrechten in Russland keinen Stellenwert für ihn hat.

Wir konnten beobachten, wie er, seine Parteifreunde, Freunde und Familie sich vom Steuergeld und durch Korruption bereichert haben.

Er saugt wie ein Vampir seine Bevölkerung aus und versucht durch Kriege Stärke zu zeigen um so von den daraus resultierenden innenpolitischen Problemen abzulenken und befeuert Patriotismus zum Machterhalt.

Dieser Mann ist gefährlich für Europa und demokratische Werte und leider hat er auch etwas sehr wertvolles kaputt gemacht, was auch mich persönlich betrifft.

Er zerstört seit ein Paar Jahren bereits die enge Beziehung zwischen der russischen und ukrainischen Bevölkerung. Diese Beziehung ist ganz besonders. Ich will keine Geschichtsstunde abhalten, aber seit Jahrhunderten sind Russland und die Ukraine politisch, wirtschaftlich und kulturell extrem eng verbunden.

Vom Sowjetbürger zum Ukrainer

Als ich 4 Jahre alt war zerbrach die Sowjetunion und wir wurden zu Ukrainern. Nun waren wir ein eigenständiges Land, das sich aus der kommunistischen Diktatur gelöst hat und die eigene Geschichte und Kultur wiederbeleben musste.

Und nicht nur eine eigene Kultur, die Ukraine hat auch eine eigene Sprache, die ich ehrlich gesagt nicht besonders mag. In der jüdischen Grundschule in Dnepr habe ich versucht den Ukrainisch Unterricht zu schwänzen, weil mir die Sprache fremd war. Die Industriestadt Dnepr liegt am gleichnamigen Fluss im russischsprachigen Teil der Ukraine und trotzdem fühlten sich Die Menschen im Osten des Landes als Ukrainer und nicht als Russen. Auch wenn es besonders in den ersten Jahren nach der Eigenständigkeit für viele im Osten der Ukraine nicht leicht war, sich auf Ukrainisch umzustellen.

1996 sind meine Mutter, Großmutter, Urgroßmutter und ich nach Deutschland ausgewandert. Wir haben jedes Jahr unsere Familie in Dnepr besucht und ich sah, wie sich das Land wie selbstverständlich immer mehr auf die neue, nicht-sowjetische, sondern ukrainische Identität umgestellt hat.

Trotzdem blieb immer die enge Beziehung zu Russland erhalten, vor allem im kulturellen Bereich.

Diese enge historische Beziehung zwischen Russland und der Ukraine hat außerdem eine ideelle Gemeinsamkeit.

„Chauvinismus der Großmacht“

Im Russischen gibt es den Begriff „Chauvinismus der Großmacht“, der laut meiner Eltern von allen, die in der Sowjetunion aufgewachsen sind, mit der Muttermilch aufgesogen wurde. Dieses Konzept bedeutet, dass die Interessen des Landes wichtiger als die eigenen, privaten Interessen sind. Das klingt für Europäer*innen seltsam. In Europa und vielen anderen Ländern ist dem Menschen das eigene Wohl und das Wohl der Familie am wichtigsten.

Dieses Konzept hat sich sehr stark in das Unterbewusstsein der Russen und Ukrainer eingebrannt. Doch genau dieser „Chauvinismus“ hilft Putin im eigenen Land und ist kontraproduktiv, um die Ukraine einzunehmen. Denn für die Ukrainer ist dieses Konzept ebenso wichtig.

Der Maidan als Wendepunkt

Ukrainer*innen wollten nie und wollen auch jetzt nicht zu Russland gehören, obwohl für sie Russen wie Schwestern und Brüder sind. Putin hat nach den Maidan Protesten, die unmissverständlich deutlich gemacht haben, dass die Ukraine sich Richtung Europa orientieren will, mit Hilfe der russischen Medien deswegen eine aggressive Propaganda in den Regionen Donezk und Lugansk gestartet.

Meine Tante erzählte mir, dass als sie 2014 kurz vor dem Krieg in Donezk Freunde besucht hat, sie ihr erzählt haben, dass die ukrainische Führung jetzt nachdem, was auf dem Maidan passiert ist, Soldaten nach Donezk schickt, um ihnen Arme und Beine abzuschneiden.

Hochgebildete Menschen in Donezk sind Opfer russischer Propaganda geworden.

Die russischen Separatisten gingen damals so weit, die Juden in der Region aufzurufen, sich registrieren zu kommen, damit die Separatisten sie beschützen können.

Den Wunsch nach einer Öffnung Richtung Westen gibt es bei jungen Russen und jungen Ukrainern gleichermaßen. Und doch hat Putin es geschafft zwei Völker, die freundschaftlicher nicht sein können, langsam auseinander zu reißen. Die Ukrainer und Russen sind sogar in der Diaspora mittlerweile zerstritten. Es herrscht eine eiskalte Stimmung zwischen den Völkern.

Während ich früher, wenn mir jemand sagte, dass sie oder er aus Russland stammt, ich mit Freude antwortete: „Ich bin in der Ukraine geboren, in Deutschland aufgewachsen und lebe jetzt in Israel“, zögere ich jetzt damit.

Zelenskiy

Doch das gefährlichste ist das, was Zelenskiy bei der Münchener Sicherheitskonferenz gesagt hat und wofür er in der Ukraine große Unterstützung bekommen hat.

Er sagte, dass wenn Budapester Memorandum nicht mehr gilt, weil die Ukraine keine Sicherheit nach der Abgabe der Atomwaffen erhalten hat, sie sich nun auch nicht mehr an das Memorandum halten müsse. In Dnepr, wo ich geboren bin, wurden Atomraketen für die Sowjetunion gebaut und in der Nähe von Dnepr in der Stadt „Gelbes Wasser“ gibt es Uranerz.

Das Szenario, dass sich die Ukraine wieder atomar bewaffnen wird, ist also realistisch, was die ganze Situation noch explosiver macht.

Meine Tante sagt: 

Denn worüber sich die Ukrainer*innen einig sind, ist dass der Westen ihnen nicht helfen wird. Die Sanktionen zurzeit betreffen nur die wirtschaftlichen Beziehungen zu russischen Akteuren in Donezk und Lugansk. Meine Tante dazu: „Wollen sie uns verarschen? Welche wirtschaftlichen Beziehungen hat der Westen mit Donbass. Das sind keine Sanktionen, sondern heiße Luft“.