Gedanken zum 8. Mai

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© Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Sammlung Iwan Schagin

Heute ist der 8. Mai 2016. Heute ist:

Und als ob das noch nicht genug wäre, ist dieser Tag eingerahmt von den Tagen Jom Hascho’ah, Jom Hasikaron und Jom Ha’atzma’ut.

Ich bin in der DDR geboren und in West-Deutschland und Frankreich aufgewachsen. Wie der 8. Mai in diesen drei Ländern begangen wurde, kann unterschiedlicher nicht sein. Die DDR feierte die Befreiung vom Hitlerfaschismus, kurz „Tag der Befreiung“. Mein Vater telegrafierte daher am 8. Mai 1975 an seine Mutter: Heute hat sich Felix selbst befreit. Etwa anderthalb Jahre später haben meine Mutter und ich uns auch selbst in den Westen befreit. Dort wurde und wird der Feiertag überhaupt nicht begangen. Immerhin haben wir meinen Geburtstag regelmässig weiter gefeiert. Als wir dann, ich war inzwischen elf Jahre alt, nach Frankreich zogen, feierten die Franzosen an meinem Geburtstag den Sieg über Deutschland mit sehr vielen Tricolores und ein paar verschämt aufgestellen Sternenbannern dazwischen.

Das ist doch alles absurd. Die DDR wurde nicht befreit, sie hat ein Regime nur gegen ein neues getauscht. Die BRD wiederum wurde tatsächlich befreit, feiert das aber nicht, weil sie wohl lieber auf diese Freiheit verzichtet hätte. Ausgerechnet Frankreich, das den Krieg als einer der ersten verlor und von Amerikanern befreit werden musste, feiert ausgelassen den eigenen Sieg über ein Deutschland, mit dem sie vorher noch (zugegeben gezwungenermassen) kollaboriert hatten. Und dafür, dass man geboren wurde, kann man nichts. Trotzdem feiert man sich dafür, dabei sollte man doch seine Eltern, allem voran seine Mutter feiern, die einen geboren hat.

Heute ist auch Muttertag, also kann ich meine Mutter doppelt feiern. Doch vor allem kann ich mich freuen, dass ich frei bin, frei mich zu entfalten, auch frei von Deutschland und Frankreich und ihren verqueren (nicht-)Feiern, in meiner neuen Heimat Israel. Ich bin jetzt 41 Jahre alt, verheiratet, habe mit meiner wundervollen Frau zwei ebenso wundervolle Söhne und lebe in einem traumhaft schönen Land. Um mein Glück heute perfekt zu machen ist die olle Honnecker noch gestorben beerdigt worden (danke dafür!) und ich habe in der Synagoge heute morgen zum Neumod (Rosch Chodesch) die Ehre eines Aufrufs zur Torah bekommen.

Diese Woche wird eine kurze Arbeitswoche, denn wir feiern unsere Freiheit als Juden in unserem eigenen Land am Jom Ha’atzmaut. Und das ist für mich der viel gewichtigere Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus und allen anderen Antisemiten dieser Welt. Heute aber ist daher hauptsächlich mein Geburtstag. Glückwünsche dazu sind natürlich willkommen!

UPDATE

Meine Mutter, der ja meine Glückwünsche für heute gelten, weiss es mal wieder genauer: Die Honnecker ist bereits vorgestern gestorben. Die Nachrichten dazu gab es aber erst heute, denn heute landete sie als Festschmauss für die Würmer unter der Erde. Ob die sie mögen werden?

8 Gedanken zu “Gedanken zum 8. Mai

  1. Eliyah: „Die Honnecker ist bereits vorgestern gestorben. … heute landete sie als Festschmauss für die Würmer unter der Erde. Ob die sie mögen werden?“

    Sofern die Würmer keine Sozialisten sind, werden ihre Ansprüche wohl nicht ausufern. Sofern doch, müssen sie eben warten, bis die nächsten Hummer bestattet werden.

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  2. Hmm, die Befreiung der DDR von den Nazis… Doch, schon, die waren danach dort deutlich weiter weg vom Fenster, als in der BRD, wo es ein verlorener Krieg war, mit immer noch Nazis hier und da, als hohe, hohe Tiere, beamtet und begehrt…

    Das, was dann in der DDR kam, war sicher hässlich und hätte mir in hohem Maße missfallen, wenn ich dort hätte leben müssen, aber ein Regimetausch schlicht um schlicht war es nicht. Ein Upgrade? Ich denke, es war in einigen Aspekten sicher eine Befreiung, in vielen dann eine Enttäuschung und schließlich auf sehr zählebige Weise sklerotisch, aber schließlich doch ohne sonderliche Gewaltexzesse kollabiert.

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    1. Die Altnazis waren im Westen wie im Osten weiter in Lohn und Brot. Und natürlich war das Regime in der DDR lange nicht so mörderisch wie das Naziregime. Aber von einer Befreiung war es weit entfernt, und nicht nur, weil die Reisefreiheit eingeschränkt wurde.

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      1. Von der Gülle unter die Traufe, vielleicht? Also: Befreiung von der Herrschaft der Nazis, aber nicht zur Freiheit, sondern zum real existierenden Sozialismus?

        Altnazis in der DDR? Ich lebte immer in der Vorstellung, dass dort weniger flexibel mit denen umgegangen worden wäre?

        Wenn ich die Geschichte vom Ärzteprozess nachlese, dann sind die 7 Todesurteile vollstreckt worden, die lebenslänglichen Haftstrafen aber waren in den frühen 50ern vorbei, und nicht, weil die Doktores gestorben wären…

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        1. @Clas Lehmann: „Altnazis in der DDR? Ich lebte immer in der Vorstellung, dass dort weniger flexibel mit denen umgegangen worden wäre?“

          Diesbezüglich war leider auch die DDR ziemlich flexibel. Noch Ende der 60er-Jahre waren in der DDR-Volkskammer 53 Altnazis aktiv, darunter leibhaftige Mörder.

          http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-18178/sed-ex-nazis-an-fuehrenden-stellen_aid_505958.html
          http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/ns-verbrecher-und-stasi-wer-nazi-war-bestimmen-wir-a-397473.html
          http://www.antifa-nazis-ddr.de/n/10019451.011.php

          Ehrlich gesagt, erscheint mir diese Tatsache auch nicht besonders überraschend. Warum sollte die Teilung eines Landes dazu führen, dass es in der östlichen Hälfte plötzlich keine Nazis mehr gibt?

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          1. Nein, natürlich nicht dazu, dass es sie dort nicht mehr gebe, aber dass sie weniger exponiert in Erscheinung treten könnten: Das hatte ich schon gedacht. Und eben, dass die Strafen, zu denen sie verurteilt worden waren, nicht gar so schnell in berufliche Förderung von Spätheimkehrern umgeschlagen wäre…

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